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Musterschüler am Pranger

23. Juli 2010

Die deutsche Exportwirtschaft brummt, als hätte es die Krise nie gegeben. Doch die Kritik am deutschen Geschäftsmodell wird lauter. Wir sollten weniger Lohnzurückhaltung üben und mehr importieren, heißt es.

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Ein Container wird von der Straße auf die Schiene umgeladen (Foto: dpa)
Die Exportstärke Deutschlands sorgt in Europa für StreitstoffBild: picture-alliance/ dpa

Vor kurzem noch ächzte der Export unter dem Einbruch der Wirtschaft - doch heute ist das fast vergessen: Der Außenhandel boomt wie schon lange nicht mehr. Im Mai haben sich die deutschen Exporte mehr als doppelt so stark erholt wie erwartet. Die Unternehmen verkauften Waren im Wert von 77,5 Milliarden Euro ins Ausland. Mit einem Zuwachs von fast 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr war das der höchste Anstieg seit zehn Jahren.

Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz SE (Foto: Allianz)
Michael Heise: "Das Exportmodell Deutschland funktioniert gut"Bild: Allianz

"Das Exportmodell Deutschland funktioniert sehr gut", sagt Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz-Gruppe. Aber: Wer Investitionsgüter exportiert - und das ist nun mal unser Verkaufsschlager - muss im Abschwung stärker leiden als andere. "So erklären sich die minus fünf Prozent im letzten Jahr, die weit aus höher waren als in vielen anderen Ländern", sagt Heise. Umgekehrt heißt das aber auch: Im Aufschwung profitieren die deutschen Exporteure überproportional. Wobei sich die Gewichte allmählich verschieben: Die Exporte ins nichteuropäische Ausland sind zuletzt doppelt so stark gewachsen wie die Exporte in unsere europäischen Nachbarländer. Vor allem die Ausfuhren in Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien wachsen überdurchschnittlich stark.

Nicht nur Freunde

Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde (Foto: AP)
Christine Lagarde: "Deutsche Exportüberschüsse unhaltbar"Bild: AP

Doch unsere einseitige Exportorientierung hat uns nicht nur Freunde eingebracht. Denn der Handelsüberschuss des einen ist das Defizit des anderen. Angefangen mit der Kritik am einseitigen Geschäftsmodell Deutschlands hatte die französische Finanzministerin Christine Lagarde. Sie nannte die deutschen Exportüberschüsse, die auf zu geringe Lohnerhöhungen zurückzuführen seien, unhaltbar für die europäischen Nachbarn. Ähnliche Äußerungen kamen auch aus den USA. Eine Kritik, die Michael Heise teilweise nachvollziehen kann: "Deswegen ist es erforderlich, dass wir die Säule der Binnenkonjunktur und der Inlandsnachfrage in Deutschland stärken. Das wird vom Ausland gefordert als Beitrag zur Beseitigung von Ungleichgewichten - und da müssen wir auch Aktion zeigen."

Der Kern des Streits dreht sich um die Frage, ob nur die im Wettbewerb nachhinkenden Schuldner in Südeuropa sich ändern müssen. Oder ob nicht auch die erstarkten Deutschen dazu beitragen können, dass Europa wieder zu einem stabilen Gleichgewicht zurückfindet. Trotz der wachsenden Stärke der Einheitswährung gegenüber dem Dollar hat Deutschland zwischen 2000 und 2008 seine Exporte um 65 Prozent verbessert, weil die Löhne der Produktivität hinterherhinkten, was einer realen Abwertung gleichkam und die Wettbewerbsfähigkeit stetig verbessert hat.

Die rauf, wir runter?

Hamburger Hafen (Foto: dpa)
Der Exportmotor brummt wieder - Soll Deutschland ihn drosseln?Bild: picture-alliance/ dpa

Doch welche Strategie sollte Deutschland wählen, um die Ungleichgewichte abzumildern? Neue Konjunkturpakete kommen jedenfalls nicht in Betracht. "Die Strategie kann nicht darin liegen, dass wir jetzt noch mehr Staatsschulden aufnehmen und künstlich Staatsnachfrage entfalten", glaubt Heise. "Wir müssen die private Konsum- und Investitionsnachfrage ankurbeln." Und da, sagt Heise, gebe es eine Menge Möglichkeiten. "Etwa im Bereich der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, auch bei Strukturfragen in unserem Steuersystem. Auch bei den Investitionsbedingungen kann man einiges verbessern, man kann den Bürokratieabbau beschleunigen, wir können noch technologiefreundlicher werden."

Andere Ratschläge sind da weitaus drastischer, und sie zielen darauf ab, dass Deutschland freiwillig etwas von seiner Wettbewerbsfähigkeit abgibt. "Es ist absurd, dass die Deutschen ihren Nachbarn anraten, die deutschen Tugenden zu kopieren", sagt zum Beispiel Martin Wolf, Chefökonom der britischen Financial Times. Das Gegenteil wäre besser, folgert er - die Deutschen sollten etwas europäischer werden.

Wettbewerbsfähigkeit wird gemeinhin an den Lohnstückkosten gemessen. Das Europäische Statistikamt Eurostat hat sich einmal die Mühe gemacht und den Index der Lohnstückkosten verschiedener Euroländer im Jahr 2000 künstlich auf 100 gesetzt. Ergebnis: Nach neun Jahren lag der Index der südlichen Euroländer irgendwo bei 130, Frankreich bei 118 und Deutschland bei 105. Mit anderen Worten: Seit fast zehn Jahren haben die meisten Euroländer gegenüber Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Und das lässt sich schlecht ungeschehen machen - wozu auch? "Dort, wo wir stark sind, werden wir unsere Stärken nicht aufgeben", ließ denn auch Kanzlerin Angela Merkel der französischen Finanzministerin ausrichten: "Das wäre die falsche europäische Antwort auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents."

Autor: Rolf Wenkel

Redaktion: Zhang Danhong