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Ruf nach Führung

3. Februar 2012

Was erwartet Europa, was erwartet die Welt von Deutschland in Zeiten der Krise? Zurückhaltung oder Führungsstärke? Politiker aus dem In- und Ausland diskutierten darüber zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz.

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Eine Fahne der Europäischen Union weht hinter einer Deutschlandfahne (Foto: Arno Burgi dpa/lsn)
Bild: picture-alliance/dpa

"Mehr denn je sind nicht-militärische Themen entscheidend für unsere Sicherheit" - mit dieser Feststellung leitete Konferenzleiter Wolfang Ischinger nicht zufällig die 48. Münchner Sicherheitskonferenz ein. Denn die Eurokrise hat diese Tendenz noch verstärkt: Deutschland ist als Führungsnation stärker denn je gefragt. Gleichzeitig aber gibt es Vorbehalte gegenüber einer politischen Bevormundung durch Deutschland, wenn es um die Bedingungen für eine Lösung der Schuldenkrise geht.

Es ist ein ebenso heikles wie ungewöhnliches Thema für eine Sicherheitskonferenz, mit dem sich die Teilnehmer gleich zu Beginn auseinander setzten. Eingeladen war unter anderem der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski. Er hatte sich im Dezember in einer Rede in Berlin dahingehend geäußert, dass ihn als polnischen Staatsbürger deutsches Nicht-Handeln mehr beunruhige als deutsche Führungskraft. In München erneuerte Sikorski seine Bereitschaft, die Bundesregierung bei der Lösung der europäischen Krise zu unterstützen. Das sei vor allem in Deutschlands eigenem Interesse. "Ich möchte, dass Deutschland zugibt, dass es der größte Nutznießer dieses Europas ist, und dass es seiner Verantwortung entsprechend gerecht wird", sagte Sikorski. Praktisch im gleichen Atemzug wies der polnische Außenminister darauf hin, dass Deutschland dazu Partner und Koalitionen brauche: "Die bestmögliche Koalition hierfür ist die Europäische Union."

Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski (Foto: REUTERS/Michaela Rehle)
Sieht Deutschland in der Pflicht: Polens Außenminister Sikorski (l.)Bild: Reuters

Weltbankchef äußert sich kritisch

Nicht nur innerhalb der Europäischen Union ist die Erwartung an Deutschland, in der Krise Führungskraft zu beweisen, gestiegen. Der amerikanische Chef der Weltbank, Robert Zoellick, wusste in München zu berichten, dass auch im Kreis der Schwellenländer die Erwartungen an Deutschland hoch seien. "2012 könnte ein Jahr werden, in dem Deutschland Führung übernimmt oder aber ins Stolpern gerät", sagte Zoellick. Vor allem im Hinblick auf die öffentliche Meinung in Deutschland zeigte er sich unsicher, welchen Kurs die Bundesregierung künftig einschlagen wird. "Ich habe den Eindruck, dass alles stärker von innenpolitischen Erwägungen überlagert wird", so Zoellick.

Für den Weltbankchef bleibt Deutschland in der Pflicht, Länder wie Italien und Spanien bei der Lösung ihrer Schuldenprobleme zu unterstützen. Hochverschuldeten Staaten müssten laut Zoellick Unterstützung und Anreize angeboten werden, wenn sie Haushaltsdisziplin übten und strukturelle Reformen verwirklichten. Wiederholt empfahl der Weltbankchef in München die Einführung von Eurobonds. Die Bundesregierung lehnt die Einführung solcher Schuldverschreibungen bisher ab, weil Deutschland damit im Rahmen der Europäischen Zentralbank auch für die Schulden anderer EU-Länder haften würde.

Weltbankchef Robert Zoellick (Foto: REUTERS/Michaela Rehle)
Vorsichtige Kritik am deutschen Kurs: Weltbankchef ZoellickBild: Reuters

Führung, aber in welche Richtung?

Mit seiner vorsichtigen Kritik am Kurs der Bundesregierung hatte Zoellick einen natürlichen Verbündeten in Frank-Walter Steinmeier, den SPD-Fraktionschef im deutschen Bundestag. Steinmeier argumentierte: "Ausgabendisziplin allein ist noch kein Weg aus der europäischen Krise, weil es allein nicht zu Wachstum führt."

Ganz anders Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU): Er kritisierte, wenn von Deutschland Führung verlangt werde, gehe es letztlich häufig nicht um Führung, sondern um Geld. Die Frage sei, ob deutsche Führung auch dann noch erwünscht sei, wenn sie in Richtung Haushaltsdisziplin gehe. De Maizière wies daraufhin, dass die Diskussion um eine deutsche Führungsrolle in Europa und der Welt noch vor wenigen Jahren ein Tabu gewesen sei. "Für meinen Geschmack wird in Europa derzeit eher zu viel als zu wenig von Führung geredet", so de Maizière in seiner Münchner Eröffnungsrede. Immerhin nahm er für den Kurs der Bundesregierung in Anspruch: "Ohne die bisherige deutsche Haltung wären wir mit der Verbreitung einer Stabilitätskultur in Europa nicht so weit wie jetzt."

Verteidigungsminister Thomas de Maizière (Foto:Matthias Schrader/AP/dapd)
Ihm wird zuviel von Führung geredet: Verteidigungsminister de Maizière (r.)Bild: dapd

Dem fügte der britische Historiker Timothy Garton Ash hinzu: Die Diskussion sei ein beredtes Zeugnis dafür, dass sich Deutschland seit der Wiedervereinigung zu einem ganz normalen Nationalstaat entwickelt habe: "Vor 20 Jahren war Deutschland vor allem der europäischen Integration verpflichtet. Inzwischen handelt es verstärkt im eigenen Interesse, so wie Frankreich oder Großbritannien eben auch."

Autor: Daniel Scheschkewitz, zurzeit München
Redaktion: Klaus Dahmann