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Kampf gegen Holocaust-Verharmloser

19. Juli 2020

Die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) will das Gedenken an den Holocaust stärken. Deutschland hat den Vorsitz übernommen und möchte damit aktiv der Relativierung der Schoah entgegentreten.

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Deutschland Bayern verbietet Gelben Stern auf Corona Demos
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Wenn ein Mann die Worte nuschelt, "ich denke, den Holocaust hat es nie gegeben", und dann versucht, mit Schusswaffen in eine Synagoge einzudringen, dann sind Holocaust-Leugnung und Judenhass unübersehbar. Doch nicht immer ist Antisemitismus so brutal und offensichtlich wie beim Anschlag von Halle im Oktober 2019. Denn meist wird nicht offen gehetzt, wird die Schoah, der Völkermord an sechs Millionen Juden während des Zweiten Weltkriegs, nicht geleugnet, sondern relativiert. Und diese Form des Antisemitismus greift immer weiter um sich.

Einer der prominentesten Fälle der vergangenen Jahre war die Holocaust-Relativierung des Gründers der Klimabewegung "Extinction Rebellion". Roger Hallam bezeichnete in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit" im vergangenen November den Holocaust als "ein weiterer Scheiß in der Menschheitsgeschichte". Genozide habe es immer wieder gegeben. Hallam wurde massiv dafür kritisiert, den Holocaust damit verharmlost zu haben. Andere Formen der Relativierung können sein, Juden selbst die Schuld an dem Völkermord zu geben, Opferzahlen zu verfälschen oder die Verantwortung des nationalsozialistischen Deutschlands an der Planung und Durchführung des Holocaust zu verschleiern.

Kampf gegen Relativierung und Leugnung

Gegen diese Verfälschung der Geschichte kämpft die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) seit mehr als 20 Jahren an. Die Organisation mit 34 Mitgliedsstaaten erinnert an den Holocaust und hat eine Definition seiner Leugnung und Relativierung erarbeitet. In diesem Jahr hat Deutschland den Vorsitz übernommen. Ein Schwerpunkt der deutschen Amtszeit soll darauf liegen, Lügen, Verdrehung der Fakten und Trivialisierung des Holocaust online und offline zu bekämpfen. Dafür wurde bereits eine sogenannte Taskforce aus rund einem Dutzend internationaler Experten und Expertinnen ins Leben gerufen. "Internationaler Austausch und Kooperation sind unerlässlich", sagt Michaela Küchler, die den deutschen IHRA-Vorsitz leitet, der DW.

Berlin Michaela Küchler Gedenkplakette Britische Botschaft
Derzeit Präsidentin der IHRA: Michaela Küchler, Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amts für Beziehungen zu jüdischen Organisationen, Holocaust-Erinnerung, Antisemitismus-Bekämpfung und internationale Angelegenheiten der Sinti und RomaBild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Deutschland hat Jahrzehnte gebraucht, um als Täternation einen Umgang mit der Erinnerung an den Holocaust zu finden. Eine wirkliche kollektive Auseinandersetzung begann erst in den 1980er Jahren, ausgelöst durch die US-amerikanische Fernsehserie "Holocaust", die am Beispiel einer Familie die Geschichte des Völkermords aufzeigt. Die Erinnerung an die Schoah hielt dann Einzug in das "kollektive Gedächtnis" der Deutschen - ein Begriff, den die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann geprägt hat.

Zu diesem kollektiven Gedächtnis gehört die Erkenntnis, dass der Holocaust "präzedenzlos" war, ein "Zivilisationsbruch". Beide Begriffe beschreiben, dass die industrielle Ermordung von sechs Millionen Juden einen nie dagewesenen Einschnitt bedeutete. "Der Vernichtungsdrang ging bis zur Ausschaltung des Selbsterhaltungstriebs der Täter", sagt Jan Gerber, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Simon-Dubnow-Institut, der DW. Das bedeutet, selbst als Züge mit Nachschub an der Front fehlten, rollten sie weiter nach Auschwitz. Die Opfer waren damit in einer ausweglosen Situation. "Sie konnten Aufstände proben, sie konnten sich unterwerfen, aber sie wählten damit nur unterschiedliche Formen des Todes", sagt Gerber.

Judensterne auf Anti-Coronademonstrationen

Diese Präzedenzlosigkeit, dieser Zivilisationsbruch, sind es, die im Mittelpunkt der deutschen Erinnerungskultur stehen. Beides wurde auf Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Frage gestellt. Vor allem im Mai und im Juni, als Tausende in verschiedenen deutschen Städten auf die Straße gingen, mischten sich auch Holocaust-Relativierer unter die Demonstranten. Einige trugen, wie beispielsweise in Berlin, Kassel und München, ein T-Shirt mit einem nachempfundenen Judenstern, wie ihn Juden im nationalsozialistischen Deutschland tragen mussten. Anstelle des Schriftzugs "Jude" prangte jedoch "ungeimpft" im Stern, aus Protest gegen eine befürchtete Impfpflicht gegen das Coronavirus. München verbot daraufhin das Tragen eines solchen nachgeahmten Judensterns.

Coronavirus - Demonstrationen in Köln
Auf die KZ-Inschrift "Arbeit macht frei" spielt dieser Holocaust-Relativierer auf einer Demonstration gegen Corona-Einschränkungen in Köln anBild: picture-alliance/dpa/D. Young

"Das ist eine drastische Relativierung des Holocaust, respektlos und verletzend gegenüber Schoah-Opfern, Überlebenden und ihren Nachkommen", sagt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein der DW. Auch die IHRA-Vorsitzende Michaela Küchler findet deutliche Worte: "Das Leid der Überlebenden, die noch unter uns sind, wird damit verhöhnt. Das darf nicht geschehen."

Streit um postkoloniale Theorien

Weniger Einigkeit in den Reaktionen herrscht, wenn der Holocaust nicht so offensichtlich relativiert wird wie mit einem imitierten Judenstern. Das zeigte zuletzt die erbitterte Debatte darüber, ob postkoloniale Theorien, also Theorien, die sich mit der Geschichte von Ausbeutung und Eroberung auseinandersetzen, und insbesondere der postkoloniale Denker Achille Mbembe den Holocaust relativieren. Mbembe hatte in seinen Schriften die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete als schlimmer als das Apartheidsystem in Südafrika bezeichnet. Demnach betreibe Israel eine "fanatische Zerstörungspolitik", die das Leben der Palästinenser in einen "Müllhaufen" verwandle, bestimmt für eine "ethnische Säuberung". In einem anderen Text schreibt er, Israel nehme "den Platz der Mörder" ein.

Achille Mbembe - Theoretiker des Postkolonialismus
Der kamerunische Historiker und Philosoph Achille Mbembe gilt als einer der wichtigsten Theoretiker des PostkolonialismusBild: picture-alliance/dpa/M. Bockwoldt

Die postkolonialen Theorien, so ihre Kritiker, hätten insgesamt eine Leerstelle, wenn es um Antisemitismus gehe. Da die meisten postkolonialen Theoretiker Antisemitismus als eine Unterform des Rassismus verstehen, fehle ihnen ein adäquates Verständnis für die besonderen Ausprägungen des Antisemitismus. Mbembe selbst weist den Vorwurf der Holocaust-Relativierung entschieden zurück, seine Unterstützer sehen ihn zu Unrecht verunglimpft und sprechen von einem "Klima der Verdächtigung".

Wo beginnt die Relativierung?

Die Debatte wirft viele Fragen auf: Ab wann beginnt eine Holocaust-Relativierung? Wird der Vorwurf genutzt, um Meinungen und Perspektiven zu unterdrücken? Wie viel Vergleichen verträgt das beispiellose Verbrechen? Zumindest bei letzterem sind sich die Beteiligten im Grunde einig. Aleida Assmann, die sich nach der Verteidigung Mbembes selbst mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert sah, sagt im Gespräch mit der DW, der Mensch brauche den Vergleich, um ein Ereignis überhaupt bewerten zu können: "Wenn man jetzt unterstellt: Wo jemand verglichen hat, wird er sicher auch relativieren wollen, dann ist das eine Keule der Zensur, die die Meinungsfreiheit und vor allem die Denkfreiheit beschränkt. Das macht die Auseinandersetzung mit diesem Verbrechen inhaltslos und leer."

Autorin Aleida Assmann
Die Autorin Aleida Assmann hat jahrzehntelang zur Erinnerungskultur geforschtBild: picture-alliance/dpa

Dem stimmt Antisemitismusbeauftragte Felix Klein, der Mbembe öffentlich kritisierte, teilweise zu. "Ich finde es überhaupt nicht relativierend gegenüber dem Holocaust, wenn man auch andere Verbrechen stärker in den Fokus nimmt. Empathie kann man auch dadurch erzeugen, dass heutige Ausgrenzungserfahrungen, bis hin zu heutigen Völkermorden thematisiert werden", sagt Klein der DW.

Kein Verbrechen unter vielen

Problematisch werde es erst, wenn es nicht beim Vergleichen bliebe, sagt Gerber vom Simon-Dubnow-Institut. Denn meist werde nicht verglichen, sondern gleichgesetzt. "Die Spezifika des Holocaust werden nicht mehr zur Kenntnis genommen. Der Holocaust wird im Grunde genommen zu einem Verbrechen unter vielen Verbrechen gemacht", sagt Gerber der DW. Gerber ist schon jetzt der Ansicht, dass die Bedeutung des Holocaust im kollektiven Gedächtnis der Deutschen nachlasse und sieht in den Angriffen auf die Präzedenzlosigkeit der Schoah von postkolonialer Seite eine größere Gefahr als in der von rechts.

Dem widerspricht Aleida Assmann entschieden. Für sie, die die deutsche Erinnerungskultur maßgeblich mitprägte, ist die Erinnerung an die Schoah rechtlich und institutionell fest verankert. Das könne kein einzelner Vergleich aus dem Weg räumen. Der Vorwurf der Holocaust-Relativierung werde von Kritikern Mbembes als "Spielball des Diskurses" genutzt, während die wahre Gefahr von rechts ausgehe.

Die Gräben sind mittlerweile tief. Felix Klein wurde aufgefordert zurückzutreten, Aleida Assmann selbst als Holocaust-Relativiererin bezeichnet. Währenddessen bricht 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Zeit an, in der die Holocaust-Erinnerung bald ohne Zeitzeugen wird auskommen müssen. Die Taskforce der IHRA unter deutschem Vorsitz will den Weg in diese neue Zeit ebnen und zunächst untersuchen, welche Mittel sich im Kampf gegen Holocaust-Relativierung, beispielsweise im Internet oder in Museen und Gedenkstätten, bewährt haben. Ende des Jahres sollen dann konkrete Handlungsempfehlungen vorliegen.