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Deutschlands unerfüllte Vermittlerrolle

Heiner Kiesel12. Mai 2012

Deutschland hat bei der Raketenabwehr lange Zeit für eine Beteiligung Russlands geworben. Doch die Berliner Vermittlungsbemühungen zwischen Russland und der NATO blieben bislang fruchtlos.

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Ein Patriot-Raketenabwehrsystem wird am Ausbildungsstandort Warbelow aufgebaut (Foto: Bernd Wüstneck/dpa)
Bestandteil des neuen Verteidigungssystems: deutsche Patriot-RaketenBild: picture-alliance/dpa

Die offiziellen Verlautbarungen aus Moskau zum NATO-Raketenschild hören sich so an, als drohe ein neuer Kalter Krieg. Außenminister Sergej Lawrow spricht von einem Keil, den das Projekt zwischen den Westen und Russland treibe. Noch in seinem Amt als Ministerpräsident hatte Wladimir Putin eine "beispiellose Aufrüstung" angekündigt, sollte das Projekt realisiert werden. Die deutsche Politik reagiert darauf mit Beschwichtigung. "Kein Interesse haben wir daran, die strategische Partnerschaft zwischen der NATO und Russland durch einen Streit über die Raketenabwehr zu beeinträchtigen", verspricht Außenminister Guido Westerwelle. Deutsche Sicherheitspolitiker leiden darunter, dass die Unmutsbekundungen aus Moskau nicht abreißen.

Vermittlerrolle Berlins

Zu gerne sieht man sich in Berlin in der Rolle des Vermittlers zwischen dem Westen und Russland. Besonders eng waren die Beziehungen während der Regierungszeit von Gerhard Schröder. Als Bundeskanzler pflegte der Sozialdemokrat eine enge Männerfreundschaft zu Wladimir Putin - mit gemeinsamen Familienfeiern und Ausflügen ohne viel Protokoll. Deutsche Politiker spielten eine Sonderrolle in Moskau - bis die Beziehungen mit dem Amtsantritt Angela Merkels etwas abkühlten. Mit dem Raketenschild der NATO könnten sie richtig kalt werden.
"Das könnte einen neuen Rüstungswettlauf auslösen", fürchtet Paul Schäfer, der sich in der oppositionellen Bundestagsfraktion der Linken um Verteidigungspolitik kümmert. Auch Rainer Arnold von den Sozialdemokraten warnt: ”Auch wenn die Russen heute nicht mehr die große Macht sind, als die sie sich selbst sehen - auf ihre Befindlichkeiten muss man dennoch ein Stück weit achten", so der verteidigungspolitische Sprecher der SPD im Bundestag im Gespräch mit der DW.

Begrenzter Beitrag Deutschlands

Die Angst vor dem Ärger Russlands hat auch historische Gründe. Das Thema Raketenschild ist stark aufgeladen, seit es im Kalten Krieg auf die politische Agenda gelangte. In den 1980er Jahren forderte der damalige US-Präsident Ronald Reagan die Sowjetunion zum entscheidenden Rüstungsduell heraus. Dazu sollte auch der "Krieg der Sterne" - so der populäre Name für das Verteidigungsprojekt mit satellitengestützten Laserkanonen und Lenkwaffen - seinen Beitrag leisten.

Das derzeitige NATO-Projekt hat kaum noch etwas damit zu tun. In Chicago soll die erste Aufbauphase für abgeschlossen erklärt werden - das System sei dann begrenzt einsatzfähig. In acht Jahren sollen die Abwehreinrichtungen in der Lage sein, ganz Europa vor Raketen aus Staaten wie dem Iran oder Nordkorea zu schützen. Erreicht wird das vor allem durch die Zusammenlegung vorhandener nationaler Verteidigungseinrichtungen. Deutschland will in der ersten Phase einen Teil seiner Patriot-Raketen einbringen, wie Verteidigungsminister Thomas de Maizière Anfang 2012 erklärte. Die Luftwaffe verfügt über 24 dieser Systeme, deren Anzahl aber um die Hälfte reduziert werden soll.

Wie bei nahezu allen europäischen Mitgliedern der NATO ist der deutsche Beitrag zur ersten Ausbaustufe der Raketenabwehr zunächst begrenzt. Das hat viele Vorteile, denn der Verteidigungsminister muss sich nicht mit dem Finanzminister um das Budget streiten und eine öffentliche Diskussion über den Sinn eines Raketenschildes hat auch wegen der ausbleibenden Verteilungskämpfe bisher kaum stattgefunden. Außerdem kommt die Leitzentrale des Raketenschildes nach Deutschland - der US-Stützpunkt in Ramstein wurde zur gemeinsamen Kommandozentrale der NATO für die Raktenabwehr bestimmt. Das wiederum gibt deutschen Regionalpolitikern die Gelegenheit, die Vorzüge des Verteidigungsprojekts für Arbeitnehmer und Wirtschaft zu preisen.

Bleibt die außenpolitische Komponente: der Ärger Russlands, verpackt in aggressive Wortmeldungen und Drohungen. Deutschland möchte aktiv werden, um die europäische Sicherheitsarchitektur möglichst mit Russland zu bauen. "Das geht nur durch Dialog und Transparenz", mahnt Arnold und fordert von der Bundesregierung konkrete Schritte in diese Richtung.

Schwierige Forderungen Moskaus

Wie die Schritte aussehen sollen, wissen bislang weder Arnold noch die Bundesregierung. Kein Wunder: Die Forderungen Russlands machen einen Ausgleich der Interessen schwer.”Moskau möchte zum einen an der Kommandostruktur beteiligt sein und Zugang zu der westlichen Raketenabwehrtechnologie haben. Zum anderen verlangt Moskau völkerrechtlich verbindliche Garantien, dass das eigene Raketenpotential nicht durch die NATO-Abwehr betroffen sein wird”, fasst Sicherheitsexpertin Svenja Sinjen von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zusammen. ”Darauf haben sich die Amerikaner bisher nicht eingelassen.” Und auf die USA kommt es entscheidend an - weil sich Europa und auch Deutschland so verhalten am Raketenschild beteiligen. ”Das war schon immer so”, sagt Sinjen, "wer die entscheidenden Fähigkeiten beisteuert zur Verteidigung des Bündnisgebietes, der hat auch das Sagen.” Die Vermittlungsfähigkeit der Deutschen zwischen den Amerikanern und den Russen beim Raketenabwehrsystem ist relativ gering. Deutschland hat sich für den Raketenschild entschieden und bekennt sich zu einem guten Verhältnis zu Russland. Zum jetzigen Zeitpunkt passt das schwer zusammen und Deutschland hat kaum etwas in der Hand, um den Widerspruch aufzulösen.

SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold (Foto: Deutscher Bundestag/Lichtblick/Achim Melde)
Sieht die Bundesregierung am Zug: SPD-Verteidigungsexperte Rainer ArnoldBild: Deutscher Bundestag/Lichtblick/Achim Melde
Außenminister Guido Westerwelle (Foto: Axel Schmidt/dapd)
Außenminister Guido Westerwelle: Dialog mit Moskau fortsetzenBild: dapd