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Gesellschaft

Essen ist der Himmel des Volkes

Zhang Danhong
5. April 2019

Sprachlich war Zhang Danhong optimal vorbereitet auf die Reise nach Deutschland. Kulinarisch gar nicht. Und dann noch das Besteck! Sie stand vor der Wahl: Anpassen oder verhungern. Oder endlich kochen lernen?

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Zhang Danhong Portrait
Schweinshaxe mit Stäbchen essen ist unmöglichBild: vvg-koeln

Bevor ich nach Deutschland kam, habe ich einer Deutschen Chinesischunterricht im Holiday Inn in Peking gegeben. Das Hotel galt damals als eine Art deutsche Kolonie, deren markantestes Zeichen ein Laden mit deutschen Lebensmitteln war. Das Geschäft befand sich direkt hinter dem Eingang des Hotels. Als ich das erste Mal zu meiner Schülerin ging, wurde ich fast ohnmächtig von dem stechenden Käsegeruch. Danach holte ich jedes Mal vor dem Hotel tief Luft, um dann den Atem einzuhalten, bis ich oben in der siebten Etage ankam.

In Deutschland war ich erst einmal erleichtert, dass mir nicht überall Käsegeruch in die Nase stieg. Auch die Speisen in der Mensa wurden meistens ohne Käse zubereitet. Dennoch waren sie keine pure Freude für den chinesischen Gaumen. Meine deutschen Kommilitonen hielten mich sicherlich für eine nervige Meckertante, die beim Essen alles in Frage stellte. "Muss man das Gemüse so zerkochen, bis es nach nichts mehr schmeckt?" "Wieso besteht die ganze Mahlzeit aus einer einzigen Suppe?" "Warum ist der Milchreis kalt und dann auch noch ohne Beilagen?"  Wenigstens kam man bei Suppe oder Milchreis ohne Messer aus.

Frankreich Käserei in den Savoyen
Diese Arbeit wäre sicherlich nichts für unsere AutorinBild: picture-alliance/blickwinkel/P. Royer

Der Umgang mit Messer und Gabel will gelernt sein

Der Umgang mit Messer und Gabel fiel mir nicht leicht. Ob Kasseler oder Rinderbraten, von Schweinshaxe ganz zu schweigen - die schiere Größe dieses Fleischstücks nötigte mir Respekt ab. Ich betrachtete das Fleisch von links nach rechts: Wo sollte ich mit dem Messer beginnen und wie sollte ich diese Menge jemals bewältigen?

Schon bald stellte ich fest, dass das Essen von Kasseler oder Rinderbraten nur eine Aufwärmübung war. Die echte Herausforderung erwartete mich mit dem ersten Steak. Mein zaghaftes und ungeschicktes Hantieren mit dem Besteck trieb mir Schweißperlen an die Stirn. Das zähe Fleisch fühlte sich an wie eine Schuhsohle.

Beim nächsten Mal bestellte ich wie meine deutschen Freunde mein Steak medium gebraten. Als das Essen kam, rutschte mir fast ein "Igitt" heraus: Zwischen den Fasern des rosa Fleisches sah ich zuerst Blut, dann vor meinem geistigen Auge das lebendige Tier. Wie barbarisch!

Symbolbild Steak
Für Zhang Danhong ist Steak entweder Schuhsohle oder BarbareiBild: HLPhoto/Fotolia.com

Fauxpas mit Ansage

Da ich vorher nur mit Stäbchen gespeist hatte, war ein Fauxpas programmiert. Beim ersten Frühstück mit der Familie meines ersten deutschen Freundes leckte ich das Messer ab, nachdem ich damit Marmelade aufs Brötchen geschmiert hatte. Sein Bruder schaute mich amüsiert an und fragte: "Leckt man in China immer das Messer ab?" Da wusste ich, dass ich etwas Falsches gemacht habe. Schamesröte stieg mir ins Gesicht. Für eine Entschuldigung sah ich allerdings keinen Grund - woher sollte ich das wissen und wer weiß, ob nicht Reiskörner in Deiner Nase landen, wenn Du mal mit Stäbchen essen musst, antwortete ihm meine innere Stimme. Um die Ehre meines Volkes zu retten, sagte ich tapfer: "In China gehören Waffen wie Messer auch nicht auf den Esstisch."

Zärtlich dachte ich bei diesem Satz an meine Heimat, an die leckeren Gerichte meiner Oma und meiner Mutter, an Hühnerfleisch Gongbao-Art und an Peking-Ente. Das Angebot in den deutschen China-Restaurants war damals meist eingedeutscht und daher nur pseudo-chinesisch. Bitter bereute ich, dass ich zu Hause meiner Mutter beim Kochen nicht über die Schulter geschaut hatte. Ein alter chinesischer Spruch lautet: "Essen ist der Himmel des Volkes." Nun drohte für mich der Himmel einzustürzen.

Peking-Ente
Dagegen ist Peking-Ente ein Fest für Auge und MagenBild: picture-alliance/dpa/M. Wilson-Smith

Kochkurs per Telefon

Bevor ich verhungern musste, fiel mir die Lösung ein: Ich musste ganz einfach kochen lernen! Schwieriger als die deutsche Sprache konnte das doch auch nicht sein. Ich kaufte also Fleisch, Gemüse, Salz und Pfeffer ein und rief meine Mutter an. Das Geld für den Crashkurs verdiente nicht sie, sondern die Deutsche Telekom. Damals hatte die Telekom noch eine Monopolstellung inne und griff den Kunden beim Telefonieren tief in die Tasche.

Einige Wochen später fing ich an, mein eigenes Essen zu genießen. Eigentlich ist die Zubereitung von chinesischen Gerichten relativ einfach - Salz und Pfeffer reichen als Gewürze vollkommen aus. Naja, vielleicht noch etwas Sojasoße dazu. Nachdem meine Lebensgefahr gebannt war, fand ich sogar Gefallen an manch deutscher Hausmannskost, wie zum Beispiel Kohlroulade mit Kartoffelpüree, Kohlroulade mit Wirsing, oder ebenfalls Kohlroulade mit Rotkohl.

Essen in Deutschland Kohlroulade mit Kartoffelpüree
Kohlrouladen mit Kartoffelpüree - das würde Zhang Danhong vermissen, sollte sie wieder in China lebenBild: picture-alliance/dpa/Stockfood

Mit der Zeit habe ich eine Schwäche für deftige Sachen entwickelt, wie dicke Bohnen mit Speck, geschmorten Schweinenacken, Entenkeule mit Rosenkohl und Bratwurst mit Sauerkraut. Natürlich auch Bratwurst mit Wirsing und Bratwurst mit Rotkohl. Die Auswahl an Gemüse ist hierzulande wirklich nicht groß.

Das wird aber durch die Vielfalt an Kuchen und Torten kompensiert - wenn auch mit deutlich mehr Kalorien. Bienenstich und Schwarzwälder Kirsch zählten bald zu meinen Lieblingskuchen. Sogar Käse habe ich ganz vorsichtig enttabuisiert. Aber nur solche Sorten, die wie Käse aussehen, und nicht nach Käse riechen.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit 30 Jahren in Deutschland. In der Serie "Deutschsein ist kein Zuckerschlecken" schreibt sie einmal wöchentlich über ihre ersten Kontakte mit der deutschen Sprache und ihre Integration in Deutschland.