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Gesellschaft

"Verweile doch, du bist so schön"

Zhang Danhong
25. Januar 2019

Nach Abschluss des Germanistik-Studiums in Peking unterzog Zhang Danhong ihre Deutschkenntnisse einem ersten Praxistest. Was sie dabei erstmals kennenlernte: die deutsche Industrie und deutsche Touristen.

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Zhang Danhong
Bild: Volker Glasow

Als ich 1987 das Germanistik-Studium mit einer Arbeit über Stefan Zweig abschloss, hatte ich bereits neun Jahre meines Lebens der deutschen Sprache gewidmet. Mit Inbrunst und Ausdauer hatte ich die Flatterzunge zum Rollen gebracht, Deklination und Konjugation bis zum Exzess geübt, Verse von Goethe und Heine auswendiggelernt und Franz Kafka interpretiert. Im letzten Studienjahr stellte ich beruhigt fest, dass ich meine Deutschkenntnisse durchaus gewinnbringend einsetzen konnte: Mit ein paar Wochenstunden Unterricht in der Erwachsenenbildung der Peking-Universität verdiente ich monatlich genauso viel wie meine Mutter als Beamtin.

Doch die Komfortzone der Schule und der Uni hatte ich bis dahin nie verlassen. Ich konnte mir also nicht einmal sicher sein, dass außer dem Bremer DAAD-Dozenten und großen Mao-Fan mich auch andere Deutsche verstehen würden. So entschloss ich mich, mein Deutsch in zwei Aushilfsjobs auf seine Praxistauglichkeit zu prüfen.

Eine trinkfeste Dolmetscherin

Im ersten Job war ich als Dolmetscherin auf der Werkzeugmaschinen-Messe in Peking tätig. Mein Auftraggeber, die Kölner Firma Otto Wolff, kann im Nachhinein als eine Art Vorsehung für die Domstadt als meine heutige Wahlheimat gesehen werden. Da aber Werkzeugmaschinen nur selten eine Rolle in der klassischen Literatur spielen, hatte ich Sorge, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Klaus Reh, der damalige Asien-Leiter der Otto Wolff Industrie-Anlagen GmbH, nahm mir die Sorge bereits am ersten Tag. Für mich war es ein Glücksfall, diesem schlanken Deutschen mit einer dicken Brille zu begegnen. Dazu im nächsten Text mehr.

In dieser einen Woche habe ich nicht nur jede Menge über Werkzeugmaschinen erfahren, sondern auch gelernt, dass eine gewisse Trinkfestigkeit bei der Zusammenarbeit mit den Deutschen von unschätzbarem Vorteil sein kann. Nachdem der Versuch der deutschen Kollegen, die junge Dolmetscherin beim Peking-Ente-Essen betrunken zu machen, fehlgeschlagen war, stieg mein Ansehen rapide. Bei dieser Gelegenheit muss ich endlich mit einem Gerücht aufräumen: Uns Asiaten fehlt ja angeblich ein Enzym in der Leber, um den Alkohol abzubauen. Dabei kenne ich kaum ein trinkfreudigeres Volk als die Chinesen. In einem Ranking würden vielleicht nur die Russen noch vor den Chinesen liegen.

China Flaschen Kweichow Moutai - Likör
Maotai: Den Lieblingsschnaps der Chinesen tranken wir zur Peking-EnteBild: picture-alliance/Imaginechina/W. Lei

Wenig Arbeit, große Verantwortung

In meinem zweiten Ferienjob war ich eine Art Nanny für knapp 30 deutsche Touristen. Im Fachjargon heißt das "ständige Reisebegleitung". Für die Organisation der Tagesausflüge und die Vorstellung der örtlichen Sehenswürdigkeiten waren die lokalen Reisebegleiter zuständig. Meine Verantwortung bestand allein darin, dass die Gruppe bis zur Rückreise möglichst keine Toten und Verletzten zu beklagen hatte und keiner im chinesischen Menschenmeer unterging.

Das war jedoch leichter gesagt als getan. Für Aufregung sorgte zum Beispiel eine sehr blasse Frau, die auch sonst jederzeit umzukippen drohte und in der brütenden Augusthitze einen Kreislaufkollaps erlitt. Doch mein besonderes Augenmerk galt einem egozentrischen jungen Mann, der zu keinem verabredeten Zeitpunkt pünktlich war und in jedem Kunstladen mehr einkaufte, als er tragen konnte. Später erfuhr ich, dass für die ausgedehnten Einkäufe und überhaupt für diese für die damaligen deutschen Verhältnisse sehr teure China-Reise sein Vater aufkam. Das Ganze war ein Geschenk zum Abitur.

Dramatik am Ende der Reise

Als in Kanton (Guangzhou), der letzten Station der 20-tägigen Reise durch zehn chinesische Städte, meine Ferientätigkeit ein glückliches Ende zu nehmen schien, meldete der junge Mann bei mir den Verlust seines Reisepasses. Immer noch besser als der Verlust der ganzen Person, dachte ich spontan. Dann fuhr ich mit ihm zur Polizeistation, um Ersatzpapiere zu beantragen. Vier Tage müsse er auf darauf warten, es sei kein Expressservice möglich, wurde mir klar beschieden. Das bedeutete, dass er nicht mit der Gruppe zusammen die Rückreise würde antreten können. Ich frage mich: Kann ich ihn hier allein lassen? Nein. Kann ich mir mit ihm zusammen die Tage vertreiben? Erst recht nein! Völlig verzweifelt fing ich zu heulen an. Der Polizeibeamte kam sichtlich durcheinander: "Bitte nicht weinen. Ich schaue, was ich tun kann." Ein paar Minuten später kam er mit der freudigen Nachricht zu uns, dass wir das Ausreisepapier in vier Stunden abholen könnten. Zwar habe ich in Kanton außer der Polizeistation nichts wirklich gesehen. Aber die Erleichterung, dass ich - wenn auch mit der Waffe einer Frau - eine schwierige Aufgabe gemeistert hatte, überwog alles andere.

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Von den zehn besuchten Städten hat mir Guilin am Li-Fluss am besten gefallenBild: Bai Rong

Insgesamt hatte ich viel Freude mit der Gruppe. Da war die lustige pensionierte Bahnbeamtin aus Köln, die mir ein paar Fetzen Kölsch beibrachte; oder der nachdenkliche Wiesbadener Ingenieur, mit dem ich über die griechische und chinesische Mythologie philosophierte. Beim letzten Abendessen in Kanton schloss ich meine kleine Rede mit den Worten: "Ich weiß, es ist etwas aus dem Kontext gerissen. Aber mir fällt gerade ein Satz von Goethes Faust ein, der gut meine momentane Stimmung beschreibt: 'Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön!'" Da flüsterte mir der Ingenieur ins Ohr: "Mache Dir keine Gedanken. Die meisten der Anwesenden haben den 'Faust' nicht gelesen. Da bin ich mir sicher."

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit 30 Jahren in Deutschland. In der Serie "Deutschsein ist kein Zuckerschlecken" schreibt sie einmal wöchentlich über ihre ersten Kontakte mit der deutschen Sprache und ihre Integration in Deutschland.