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Gesellschaft

Vom Zimmermädchen zur Dolmetscherin

Zhang Danhong
30. Mai 2019

Bei ihren Ferienjobs kam Zhang Danhong mit Menschen aller Schichten aus Deutschland und Asien in Berührung. Vor allem hat sie erfahren, für welche Arbeiten sie nicht wirklich geschaffen ist.

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Zhang Danhong Portrait
Bild: vvg-koeln

Meine beste Freundin zog es ein Jahr vor mir nach Deutschland, genauer gesagt nach Mannheim. Sie berichtete mir von ihren Ferienjobs am Fließband einer Fabrik. Ich, die bis dahin noch nie im Leben körperliche Arbeit geleistet hatte, stellte mir das sehr romantisch vor.

In Köln angekommen, war ich erst mal damit beschäftigt, ein Dach über dem Kopf zu haben und so viel wie möglich von meinem Germanistik-Studium in China hier anerkannt zu bekommen. Die Sache mit dem Fließband geriet in Vergessenheit. In den Weihnachtsferien ging ich mit meiner Mannheimer Freundin jugoslawisch essen. Der Restaurant-Inhaber, ein kleiner, rundlicher Mann von Anfang 60, sprach uns an: "Hey, Ihr Hübschen, studiert Ihr hier in Köln?" "Sie ja", zeigte meine Freundin auf mich. Er brauche für die Abendstunden eine zweite Kellnerin und er zahle gut - acht Mark die Stunde plus Trinkgeld. Ich nahm das Angebot an. Meine Eltern hatten mich zwar mit ihren ganzen Devisenersparnissen ausgestattet. Es war aber gewiss nicht verkehrt, etwas dazu zu verdienen.

Nie hätte ich gedacht, dass das bisschen Herumlaufen in einem überschaubaren Restaurant so sehr in die Beine gehen würde. Nach dem ersten Abend fühlte ich mich erschöpfter als nach einem Halbmarathon. Die größte intellektuelle Herausforderung, die ganzen jugoslawischen Gerichte auswendig zu lernen, meisterte ich am zweiten Tag. Und wenn ich den meist freundlichen Gästen in die Augen schaute, machte Nervosität Zuversicht Platz. Eines Abends kam ein großer schlanker Mann, bestellte eine Portion Cevapcici plus ein Kölsch und blieb den ganzen Abend da. Es war wenig los, so dass er immer ein paar Worte mit mir wechselte, wenn ich vorbeiging. Er sei ein Spielzeugmacher, sagte er und zog einen Hampelmann aus der Tasche, der hoch und nieder sprang und dabei lustig tanzte. Am Ende gab mir der geschickte Handwerker ein Trinkgeld von fünf Mark, was rund 30 Prozent seiner Rechnungssumme ausmachte. Und er bestand darauf, mich zum Studentenheim zu begleiten. Beim Abschied schenkte er mir den Hampelmann und wünschte mir alles Gute in Deutschland. Es waren Menschen wie er, die mir mit Wärme und Anstand das Leben in der Fremde versüßten. Meine Karriere als Kellnerin nahm aber nach nur einer Woche ein abruptes Ende, nachdem mir der Chef bei erster Gelegenheit unverhohlen signalisierte, wozu er mich eigentlich eingestellt hatte.

Wenig Solidarität unter dem arbeitenden Volk

Bei meinem nächsten Ferienjob wurde ich intellektuell noch weniger gefordert. Mein Freund Christian, der damals als Concierge in einem Luxushotel jobbte, ermutigte mich, dort als Zimmermädchen anzufangen. Es würde mir gut tun, den Elfenbeinturm mal zu verlassen, behauptete er. Ich bekam eine Asiatin als Vorarbeiterin zugeteilt, die mir das professionelle Betten machen beibrachte und mir zeigte, wie man alle freien Flächen blitz und blank hin bekam. Schon im vierten Zimmer stellte ich fest, wie müde monotone Arbeit macht. Da war ich froh, mich nicht um eine Stelle am Fließband bemüht zu haben. Es war wohl doch alles andere als romantisch.

Einmal schaute Christian in seiner schicken Concierge-Uniform vorbei. "Na Prinzessin, wie fühlt es sich an, sich unters arbeitende Volk zu mischen?" Als er merkte, dass seine Ironie gar nicht gut ankam, versuchte er, mir Trost zu spenden: "Die Gäste in diesem Hotel geben gutes Trinkgeld." Wie bitte? Trinkgeld? Wo wird es versteckt? Auf einmal verstand ich, warum die Vorarbeiterin immer mir den letzten Rest der Arbeit überließ und schon mal das nächste Zimmer aufschloss. Enttäuschung machte sich in mir breit. Ich war mit Parolen wie "Proletarier aller Welt, vereinigt Euch" großgeworden und dachte, dass die Proletarier solidarisch miteinander umgehen, zumindest nicht einander betrügen.

Zimmermädchen an einer Steckdose
So eine gute Laune macht der Zimmermädchen-Job in der Regel nichtBild: picture-alliance/Denkou Images

Solidarität erhielt ich dann doch noch - völlig unerwartet. Ein Gast mit Anzug und Koffer sah mich durch die offene Tür staubsaugen und kam auf mich zu. Ich stellte den Staubsauger ab und wischte etwas verlegen den Schweiß von der Stirn. Er fragte mich, woher ich komme und ob ich Studentin sei. Was an mir hat mich bloß verraten? Meine Brille? Mein ungeschickter Umgang mit dem Staubsauger? Ich beantwortete seine Fragen wahrheitsgemäß. Da strahlte er und erzählte, dass er beruflich viel in China zu tun habe und gleich nach Shanghai fliege. Dann drückte er mir einen 20-Mark-Schein in die Hand: "Alles Gute für Ihre Zukunft!" Ich bekam feuchte Augen.

Meine Laufbahn als Zimmermädchen endete ebenfalls nach nur einer Woche. Ich schmiss hin, nachdem im Hotel meine Uniform samt Essensmarken im Wert von 30 D-Mark geklaut wurde. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder Vertrauen in das arbeitende Volk fasste.

Dolmetschen liegt mir mehr als Betten machen

Auch der dritte Ferienjob flog mir zu. Ein Landsmann fragte mich, ob ich Lust hätte, in Braunschweig acht Tage lang (davon fielen zwei auf ein arbeitsfreies Wochenende) für eine dreiköpfige Gruppe von Ingenieuren zu dolmetschen. Das Honorar betrug sage und schreibe 3000 Mark, wovon ein sparsamer Student damals fast ein Jahr leben konnte. Ich breitete die Deutschlandkarte aus: Braunschweig liegt in der Nähe vom Harz, wo Lessing und Heine ihre Spuren hinterlassen hatten. Mit anderen Worten: Zum fetten Honorar würde eventuell noch geistige Nahrung hinzukommen. Ich zögerte nicht lange und sagte zu.

Eine Fabrik aus dem Nordosten Chinas hatte elektrische Waagen Made in Germany importiert und nun drei Ingenieure nach Braunschweig geschickt, um die Bedienung der Waagen zu erlernen. Die drei Herren fühlten sich gleich heimisch und spuckten abwechselnd und lautstark in der deutschen Firma herum. Immerhin nahmen sie auf Teppiche Rücksicht. Am liebsten wäre ich im Boden versunken. Ralf, ein junger Mann mit blonden Haaren, den uns die Firma als Betreuer zur Seite gestellt hatte, flüsterte mir am zweiten Tag ins Ohr: "Es hat sich bereits herumgesprochen, dass eine feine schöne Chinesin für drei nicht so feine Landsmänner dolmetscht." Ich wusste nicht, ob ich mich bedanken oder schämen sollte. Er fragte mich, was ich am Wochenende vor hätte. Ich verriet ihm meinen Plan: Die Erkundung des Harzes und Besichtigung des Lessing-Hauses in Wolfenbüttel. "Darf ich Dein Fahrer sein?" fragte Ralf und blickte mich dabei erwartungsvoll an - da konnte ich nicht "Nein" sagen.

Lessinghaus Wolfenbüttel
Das im Jahr 1733 erbaute Lessing-Haus in WolfenbüttelBild: picture-alliance / dpa

Der gute Ralf erwies sich als perfekter Reiseführer. Zwischen den kulturellen Angeboten nahm er mich mit zur Geburtstagsfeier seiner Tante. "Damit Du siehst, wie das normale deutsche Volk lebt", lautete seine Begründung. Die ältere Dame begutachtete mich lange und fragte schließlich: "Woher kommst Du?" "China." "Ist China Japan?" Auf solch eine Frage war ich nicht vorbereitet - ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte zu erklären.

Am Ende der Reise war ich mir nicht sicher, ob ich eventuell die einzige war, die die Bedienung der Waagen verstanden hatte. Beim Abschied am Bahnhof heulte Ralf wie ein Schlosshund. Er habe sich unsterblich verliebt und wolle mich wiedersehen. Als sich der Zug langsam bewegte, winkte Ralf mit Tränen im Gesicht und gab mir unzählige Luftküsse. Ich hoffte so sehr für ihn, dass bald die nächste Delegation aus China vorbeikommt - mit einer hübschen Dolmetscherin.

Zhang Danhong ist in Peking geboren und lebt seit 30 Jahren in Deutschland. In der Serie "Deutschsein ist kein Zuckerschlecken" schreibt sie einmal wöchentlich über ihre ersten Kontakte mit der deutschen Sprache und ihre Integration in Deutschland.