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Politik

"Anhörung unter hohem Zeitdruck"

Sabrina Pabst
24. Oktober 2016

Schnelle Asylverfahren und rasche Integration - das hatte die Regierung bei der Einführung des Asylpakets versprochen. Doch das Ergebnis seien Abschiebungen und soziale Isolation, sagt Sebastian Ludwig von der Diakonie.

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Deutschland Asylbewerber in Gießen
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Deutsche Welle: Vor einem Jahr hat die Bundesregierung im Schnellverfahren das Gesetz mit dem sperrigen Namen "Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz" verabschiedet. Asylverfahren sollen je nach Herkunftsland auf bis zu eine Woche verkürzt werden. Was hatte dieses Gesetz bisher für Auswirkungen?

Sebastian Ludwig: Bundeskanzlerin Merkel hat im September 2015 gesagt: "Wir schaffen das." Nach ihrer nun kürzlich geäußerten Forderung nach einer nationalen Kraftanstrengung zur Rückführung derer, die abgelehnt wurden, frage ich mich: Was meinte sie damit? Alle dachten, wir schaffen es, die Flüchtlinge aufzunehmen. Wenn wir uns das Ergebnis jetzt angucken, müssen wir feststellen, dass ihre Worte anders gemeint waren. Wohl eher: Wir schaffen es, dass keine Flüchtlinge mehr kommen und dass wir diejenigen, die abgelehnt worden sind, schnell außer Lande bringen.

Das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz und das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren sind keine Regelungen, um Asylverfahren tatsächlich zu beschleunigen, sondern sie enthalten Passagen, die dafür sorgen, dass Abschiebungen schneller durchgesetzt werden können. Die Mitarbeiterzahl des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist von 3000 auf fast 10.000 gestiegen. Das ist für jede Organisation eine extreme Herausforderung. Die Mitarbeiter leisten dort Schwerstarbeit. Aber durch die Ansage des BAMF-Chefs, eine Million Asylverfahren in diesem Jahr bewältigen zu wollen, geht es nur noch um Quantität und nicht um Qualität.

Wie kann das BAMF bei der Vielzahl der Anträge noch eine sorgfältige Prüfung der Verfahren gewährleisten?

Lange Zeit wurden die Asylverfahren durchgeführt, während die Menschen in Erstaufnahmeeinrichtung waren. Dadurch, dass immer mehr Menschen in Deutschland ankamen, stauten sich beim BAMF die Anträge. So verließen viele Menschen die Einrichtungen, ohne überhaupt einen Antrag gestellt zu haben. Mit der Folge, dass das BAMF nicht mehr wusste, wen es noch zur Antragsstellung einladen musste. Auch wurden die Einladungen zur Antragsstellung und zur Anhörung teilweise erst zugestellt, nachdem der Termin bereits abgelaufen war. Wichtig im Asylverfahren ist die Anhörung, während der die Flüchtlinge darstellen können, warum sie geflohen sind und warum sie meinen, dass sie Schutz brauchen. Wenn aber diese Anhörung unter Zeitdruck stattfindet, dann öffnen viele sich nicht und erzählen nur, dass sie Angst haben zu sterben oder getötet zu werden, ohne das näher auszuführen. Dabei entstehen Widersprüche. Doch aufgrund von Widersprüchen werden Asylanträge abgelehnt. Ein Verfahrensstandard ist auch, dass ein Flüchtling, wenn sein Asylantrag aufgrund von Widersprüchen abgelehnt wurde, die Möglichkeit erhalten muss, diesen Widerspruch aufzulösen. Aber dazu kommt es überhaupt nicht mehr.

Diakonie Deutschland - Sebastian Ludwig, Flüchtlings- und Asylpolitik
Sebastian Ludwig: "Flüchtlinge können Widersprüche in ihren Asylanträgen nicht mehr klären"Bild: Bundesverband der Diakonie Deutschland/Foto: Hermann Bredehorst

Kann man den Menschen unter diesem Druck noch eine vernünftige Verfahrensberatung ermöglichen?

Es gibt Registrierungsstraßen. Dort wird der Antrag gestellt und kurze Zeit später findet die Anhörung statt und wenige Stunden später ist der Bescheid da. In dieser Phase Flüchtlinge noch zu beraten und noch zu erläutern, was das Asylverfahren ist und ihnen zu erläutern, dass die Anhörung kein Verhör der Polizei ist, sondern dass sie detailliert darlegen müssen, warum sie Schutz suchen in Deutschland, ist kaum noch gewährleistet. Die Schnellverfahren in diesen Registrierungsstraßen sind für einfache Fälle gedacht, also solche, die einfach abzulehnen oder einfach anzuerkennen sind. Das ist beispielsweise bei Menschen aus sicheren Herkunftsländern der Fall, oder solchen, die als sichere Herkunftsländer definiert wurden. Dazu zählen zum Beispiel Bosnien, Albanien und Kosovo. Es bleiben dann noch die sogenannten komplexen Fälle. 

Ist diese Aufteilung nach Nationalitäten nicht höchst problematisch?

Sie soll dem Ziel dienen, möglichst viele Anträge schnell abarbeiten zu können. Bei einer Million Anträge im Jahr zieht sich das BAMF die Fälle vor, bei denen der Zeitaufwand gering ist. Das führt aber dazu, dass schutzbedürftige Flüchtlinge lange warten müssen, bis sie anerkannt werden. Wir haben Fristen von bis zu zwei Jahren, bis der Bescheid eingeht.

Dass man Menschen entsprechend ihrer Nationalität unterscheidet ist ein Problem, ganz unabhängig davon, wie der Ausgang des Asylverfahrens ist. Menschen mit einer guten Bleibeperspektive haben Zugang zur Arbeitsmarktintegration nach dem Sozialgesetzbuch oder Zugang zu Integrationskursen. Zum Beispiel darf ein anerkannter Syrer schon während des Asylverfahrens in den Integrationskurs, ein anerkannter Afghane nicht. Das führt auch zu Problemen in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Dort müssen die Menschen aus sicheren Herkunftsländern bis zum Ende ihres Asylverfahrens und bis zu ihrer Ausreise leben. Das führt zu totaler Isolation. Nach anfänglicher Isolation die Integration aufzuholen, ist viel aufwendiger und kostenintensiver. Jeder sollte diese Aufwendungen erhalten. Selbst wenn ein Asylbewerber in sein Herkunftsland zurückgehen muss, kann ihm eine Schul- oder Ausbildung nutzen. Das ist auch eine Form der Entwicklungszusammenarbeit.

Sebastian Ludwig ist Referent für Flüchtlingsfragen beim Bundesverband der Diakonie in Deutschland.

Das Interview führte Sabrina Pabst.