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Diamanten-Nacht in Oberhausen

26. November 2017

Manuel Charr ist der erste deutsche Schwergewichts-Champion seit Max Schmeling. Für den gebürtigen Libanesen beginnt damit doch noch die ganz große Karriere - nach vielen Irrwegen und Rückschlägen.

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Boxen: Profis WBA-WM Schwergewicht Charr Weltmeister
Bild: picture-alliance/dpa/Guido Kirchner

Es war 00:06 Uhr am Sonntagmorgen, als der WBA-Champion den Presseraum der Oberhausener Arena mitsamt Manager Christian Jäger betrat. Und Charr und seine Crew wussten die Stunde des Triumphes nach allen Regeln der Kunst zu nutzen. Minuten verstrichen, der allgemeine Trubel ließ ein Statement des Weltmeisters zunächst gar nicht zu. Charr und Jäger genossen die Szenerie sichtlich.

Medienvertreter, Weggefährten, Fans und die obligatorischen Gestalten aus der Boxwelt - eine Applausgesellschaft bereitete Charr nach der Nacht seines Lebens den Empfang seines Lebens. WM-Kampf im Schwergewicht, die große Bühne. Karikaturen, Figuren, kontrollierter Wahnsinn - ein Hauch von Las Vegas im Ruhrgebiet. Als sich alles ein wenig beruhigt hatte, ergriffen der Weltmeister und sein Macher das Wort.

Abend für die Geschichtsbücher

"Wir haben heute Geschichte geschrieben”, resümierte der stolze Manager des "Diamond Boy” und übertrieb damit nicht. Denn auch wenn Charr vs. Ustinov nicht das Duell der ganz großen Namen, nicht der Fight der globalen Aufmerksamkeit, kein Kampf à la Tyson vs. Holyfield war, so ist Manuel Charr nicht weniger als der erste deutsche Schwergewichts-Champion seit Max Schmeling vor 85 Jahren.

Charr hatte seine bisherigen Titelkämpfe gegen Vitali Klitschko (2012) und Alexander Powetkin (2014) verloren, war 2015 durch einen Bauchschuss lebensgefährlich verletzt worden und bekam im Mai 2017 künstliche Gelenke in beiden Hüften eingesetzt. Bis vor wenigen Wochen schien ein Schwergewichts-Champion Manuel Charr unmöglich. Auch gegen den zehn Zentimeter größeren Russen Ustinov wurde er im Vorfeld als Außenseiter gehandelt. Doch Charr belehrte Gegner und Kritiker eines Besseren.

Immer an seinen Diamond Boy geglaubt hat Manager Jäger. Auf der Pressekonferenz kommt er aus dem Grinsen nicht mehr raus, sein Outfit mit dicker Silber-Kette und mit Strass-Steinen gespicktem Shirt unter dem Sakko erinnern ein wenig an Don King, wenngleich auch Ringe, Brille und noch eine ganze Menge Groteske fehlen. Aber die Richtung stimmt. Auch beim Schützling, den er erst seit dem Bauchschuss betreut. "Der Junge war am Boden und ich dachte mir, komm dem musst du jetzt, wo all die Schulterklopfer weg sind, helfen”, sagte Jäger vor dem Kampf. Mit 50:50 hatte der Manager im Vorfeld die Chancenverteilung beziffert und gesagt, dass er "davon ausgehe, dass Manuel gewinnt”. Er behielt in beiden Punkten Recht.

Enge Angelegenheit im Ring

Eine Stunde vor seinem großen Auftritt hatte Charr nach Ende der 12. Runde die Fäuste hochgerissen. Das Publikum war sich genauso sicher und feierte den 33-Jährigen lautstark. Augenblicke später hob Ringrichter Weeks aus den USA eine Hand in die Höhe. Triumph perfekt! die Punktrichter votierten einstimmig mit 115:111, 116:11 und 115:112 für Charr.

Vorausgegangen war ein enger Kampf, in dem er einstecken musste, schon in Runde 2 einen Cut kassierte. In Runde 3 schaffte er die Wende, konnte immer wieder Treffer landen, bewegte sich ab da mehr und besser. Einmal aber hatte er Ustinov am Boden. Nach einem satten Treffer in der 8. Runde ging der Russe kurz auf die Knie und trug einen heftigen Cut davon.

Boxen: Profis WBA-WM Schwergewicht Charr Weltmeister
Charr, UstinowBild: picture-alliance/dpa/Guido Kirchner

Mit jeder abgelaufenen Runde fühlte sich Charr dem Sieg näher, schwebte am Ende durch den Ring, tanzte den Sternen entgegen, so wie er es sich erträumt hatte "Ich verspreche, dass ich Weltmeister werde”, hatte der Diamond Boy angekündigt. Er hielt Wort und schrieb in Oberhausen deutsche Box-Geschichte.

Riesige Schmerzen, riesiger Triumph

"Manuel hat in der Vergangenheit Fehler gemacht”, hatte Jäger vor dem Kampf gesagt. "Aber jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient. Vor allem, wenn man so hart dafür arbeitet.” Harte Arbeit, die für Charr nach der OP schon mit Trainingseinheiten im Krankenbett begann. Harte Arbeit seines Managers, der nach dem geplatzten WM-Kampf Oquendo vs. Briggs handelte, den Kampf um den vakanten WBA-Titel auf die Beine stellte und seinem Schützling nach den Niederlagen gegen Klitschko und Povetkin eine dritte und letzte Chance auf einen WM-Gürtel verschaffte.

"Ihr glaubt nicht, was ich für Schmerzen hatte nach diesen Operationen, doch ich kann euch sagen, wenn man an etwas glaubt, dann kann man es schaffen”, so die Botschaft des Diamond Boy. Es wirkt wie eine Standard-Platitüde und doch klingt es glaubhaft. Charr erzählt ruhig und aufgeräumt von seiner Leidenszeit, zeigt dabei Emotionen und wirkt authentisch statt abgehoben. Es ist genau diese Authentizität, die er für die persönliche Storyline braucht.

 

DW Kommentarbild David Vorholt
David Vorholt Redakteur, Reporter und Autor in der DW-Sportredaktion