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Die Ägypter verdienen unsere Solidarität

29. Januar 2011

Nach Tunesien erheben sich auch in Ägypten weite Teile der Bevölkerung gegen ihren autoritären Herrscher. Die demokratischen Kräfte in allen Ländern der Region verdienen Europas Solidarität, meint Rainer Sollich.

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Kommentar (Foto: DW)
Bild: DW

Die ägyptische Bevölkerung hat drei Jahrzehnte benötigt, um sich gegen den mächtigen Hosni Mubarak zu erheben. Drei Jahrzehnte, die geprägt waren von Freiheitsbeschränkungen und handfester Unterdrückung, von Korruption, Menschenrechtsverletzungen und ansteigender Wut über soziale Ungerechtigkeit. Jetzt sind die Ägypter auf den Straßen, seit Tagen schon. Und die Bilder aus Kairo und Alexandria gleichen denen aus Tunesien: Die Menschen fordern den Rücktritt ihres ungeliebten Herrschers. Sie lassen sich nicht mit hohlen Versprechungen abspeisen. Sie lassen sich nicht einschüchtern. Sie trotzen der Gewalt. Sie sind mutig. Sie riskieren sogar ihr eigenes Leben.

Drei Jahrzehnte weggeschaut

Rainer Sollich (Foto: DW/Per Henriksen)
Rainer SollichBild: DW

Und was riskieren wir? Deutlich weniger. Drei Jahrzehnte haben wir meistens weggeschaut oder allenfalls leise protestiert, wenn unsere eigenen Werte in Partnerländern des Westens mit Füßen getreten wurden. Die jetzigen Debatten in Europa kreisen um mögliche Domino-Effekte und ihre Folgen. Wenn der tunesische Herrscher gefallen ist und das ägyptische Schwergewicht Mubarak vielleicht bald folgt: Gerät dann die ganze Region ins Wanken? Drohen Chaos und Instabilität in Europas Nachbarschaft, drohen Machtübernahmen durch radikale Islamisten? Entsteht ein verschärftes Bedrohungsszenario für Israel?

Niemand kann das ausschließen. Die Dynamik der Protestwelle, die immer mehr arabische Länder erfasst, ist schwer berechenbar, ihr Ausgang völlig ungewiss. Er kann auch von Land zu Land völlig unterschiedlich ausfallen.

Ruf nach Freiheit

Eine Entwicklung hin zu mehr Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie ist jedoch überall möglich. Sie hat in Ägypten ebenso zahlreiche Unterstützer wie in Tunesien und anderen Ländern. Der Ruf nach Freiheit erschallt in allen Bevölkerungsgruppen: von der städtischen Mittelschicht und der jungen Facebook-Generation bis hin zu den konservativen muslimischen oder auch christlichen Milieus. Das sind die Kräfte, die Europa und die USA deutlich unterstützen müssen. Viel zu lange haben wir jedoch den Eindruck erweckt, Unterdrückung und Ungerechtigkeit in arabischen Ländern interessiere uns nur dann, wenn sie von anti-westlichen Regimen ausgeht oder wenn sie prominente Demokratie-Aktivisten oder einzelne Minderheiten wie die Christen betrifft.

Es ist ein positives Zeichen, dass westliche Politiker unter dem Druck der Ereignisse langsam umdenken. Leider sehr spät - und hoffentlich nicht zu spät. Jeder Anschein von Kumpanei mit autoritären Herrschern beschädigt unser Ansehen in der Region im Bewusstsein ganzer Generationen. Politiker müssen hier vielleicht diplomatische Spielregeln beachten. Ein politisch denkender Bürger muss das nicht: Ich erkläre mich solidarisch mit allen demokratischen Kräften in Ägypten und in der Region. Wenn wir unsere eigenen Werte nicht verraten wollen, dann verdienen sie unsere uneingeschränkte Unterstützung.


Autor: Rainer Sollich

Redaktion: Dirk Eckert