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Die öffentliche Demontage eines Helden

Sebastian Schlegel30. August 2007

Er kam aus der Gosse, arbeitete sich nach oben, um am Ende abzustürzen. Michael Vick, gefeierter Football-Star, ist erst 27 und doch schon am Ende seiner Karriere. Ein ungewöhnliches Hobby wurde ihm zum Verhängnis.

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Bild: DW

Den Kopf gesenkt, die Augen auf den Boden gerichtet, die Lippen zusammengekniffen. "Ich war nicht offen und ehrlich. Ich bitte um Vergebung", presst der reumütige Michael Vick irgendwo aus seinem Innersten hervor. Dieser Anblick des Football-Helden ist so weit entfernt von den üblichen Darstellungen auf Sammelbildchen und Autogrammkarten, auf denen er selbstsicher lächelnd und gelassen den amerikanischen Traum verkörpert, dass man von zwei verschiedenen Personen ausgehen könnte. Ikarus ist gefallen. Und die amerikanische Mediengesellschaft – die selbsternannte Stimme des Volkes – half kräftig beim Flügelstutzen.

Aufstieg und Fall

Wer war Michael Vick? Er war der Michael Ballack des American Football mit einem 10-Jahresvertrag über 130 Millionen Dollar. Er kam aus der Gosse und schaffte es zum Star eines ganzen Landes. Er war Werbeikone der Sportschuhhersteller, Aushängeschild der Liga, Vorbild der Kinder und vor allem Liebling der Medien. Die Presse schrieb ihn hoch: Michael Vicks Leben – was für eine Story!

Auf Ruhm und Geld folgten Übermut und Langeweile. Anders scheint ein Hobby wie Hundekampf kaum erklärbar, zumal es in den USA mit einer Gefängnisstrafe von ein bis fünf Jahren belegt ist. Zunächst bestritt Vick die Vorwürfe bis Beweislast und Mediendruck ihn zum Geständnis zwangen. Die Presse schrieb ihn runter: Michael Vicks Absturz – eine noch viel größere Story!

Beichte vor dem Volksmob

Es war nicht nur ein Geständnis. Es war eine Bloßstellung, der Höhepunkt einer medialen Demontage, eine öffentliche Beichte vor der Nation, die mit der Bitte um Vergebung abschloss. In Szene gesetzt durch eine Live-Übertragung auf mehreren Fernsehkanälen. Vicks Gang zum Gebäude, wo die Mikrofone warteten, wurde begleitet von überschwänglichen Jubelorgien und vereinzelten Buhrufen eines Volksmobs, der es aber nicht schaffte, die Aufmerksamkeit der Kameraobjektive zu erlangen.

Vicks Rede enthielt alle wichtigen Inhalte, um die amerikanische Mediengesellschaft zu besänftigen: Entschuldigung, Selbstanklage, Reue, Ehrfurcht vor Gott und Gnadengesuch. Der Angeklagte holte eben Rat bei seinen Medienprofis ein. Der gefallene Stern entschuldigte sich bei "jeder Person auf der ganzen Welt", die durch seine Missetaten in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Diese "Welt" beschränkte sich bei genauerem Blick auf einen Saal voller Journalisten. Vick bezeichnete sich selbst als "unreif", als Kind, das schnellstens erwachsen werden müsse. Er habe zu Gott gefunden und bitte um Vergebung. Zwecklos. Das Urteil wurde mit Hilfe von Schlagzeilen gefällt, schon lange bevor ein offizieller Richter auch nur ein Wort gesagt hatte: Lügner!

Vorwurf Rassismus

Soweit die Medien. Und die reale amerikanische Bürgergesellschaft? Was sagen die Leute zum Fall Vick? Eine Straßenumfrage und Privatgespräche zeichnen ein eher differenziertes und pragmatisches Bild: Der Publikumsliebling hat eine Straftat verübt, dafür soll er von einem Gericht verurteilt werden – fertig! Kein übertriebener Schutz, keine voreilige Verachtung. Und dann kommt es wieder hoch, das von den Medien so gefürchtete Thema: Rassismus. Michael Vick ist Afroamerikaner. Die einzige wirkliche Aufstiegschance für Afroamerikaner aus der Unterschicht bleibt weiterhin der Sport.

Und zwei Anrufer in einer Radioshow sprechen aus, was so mancher hier denkt: "Wäre Vick weiß, dann hätte die Berichterstattung einen ganz anderen Weg genommen." Pflichtbewusst diskutiert der Fernsehsender FOX das Thema in einer Expertenrunde und kommt zum Ergebnis: Die Sache hat nichts mit Rassismus zu tun. Das Plenum besteht aus fünf Weißen. Der Einzige, der diese Entscheidung hinterfragt, wird durch höhnische Kommentare der Anderen mundtot gemacht.

Wer ist Michael Vick? Er ist ein Bürger, der ein Gesetz gebrochen hat. Die gerechte Strafe wird er durch ein Gericht erhalten. Experten rechnen mit 18 Monaten und einer hohen Geldsumme. Darüber hinaus ist er ein 27-jähriger Sportler vor dem Ende seiner Karriere: die nationale Footballliga hat ihn suspendiert, sein Club verlangt ein Teil seines Gehalts zurück, Nike hat die gesamte Vick-Kollektion inklusive Trikot bereits aus dem Sortiment gestrichen.

"Im Namen der Medien" – die vierte Gewalt hat ihr Urteil gesprochen!