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Politik

Die alte und die neue Realität in Israel

Dana Regev Haifa / ehl
10. April 2019

Durch Israels Gesellschaft geht ein immer tieferer Graben. Das zeigt sich auch im Wahlergebnis. Premier Netanjahu siegt zum fünften Mal, die Linke ist geschwächt, viele Araber wählten gar nicht. Aus Haifa Dana Regev.

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Parlamentswahl in Israel Wahlparty Netanjahu Jubel
Bild: picture-alliance/dpa/O. Weiken

Es ist sicher kein neues Israel, in dem die Menschen an diesem Mittwoch aufgewacht sind. Das warme, sonnige Wetter in Israels drittgrößter Stadt Haifa passt nicht so recht zur Enttäuschung, die viele ihrer Bewohner verspüren. Hier hätten viele gerne einen Machtwechsel gehabt - und zwischenzeitlich hatte es auch danach ausgesehen. Bis zum Schluss der Stimmenauszählung blieb es ein knappes Rennen zwischen Benjamin Netanjahus regierenden Likud-Partei und dem Oppositionsbündnis Blau-Weiß von Herausforderer Benny Gantz, der seine Niederlage inzwischen eingeräumt hat. Der 59-jährige frühere Stabschef der Streitkräfte, die in Israel hohes Ansehen genießen, hatte als neuer Stern am politischen Himmel Bewegung in die Umfragen gebracht. 

An manchen Social-Media-Posts der Likud ließ sich am Wahltag ablesen, wie die Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren. Um mögliche Likud-Wähler noch in letzter Minute zu motivieren, gab es Posts wie: "Ein erschreckendes Update zur niedrigen Wahlbeteiligung in den Likud-Hochburgen, wir müssen das Recht schützen!" oder "Wenn du nicht willst, dass die Linken an die Regierung kommen, gehe jetzt raus und wähle Likud!"

 Am Ende gewannen beide Kontrahenten jeweils 35 Sitze. Fast alle übrigen rechten Parteien haben schon angekündigt, Netanjahu bei der Bildung einer Koalition zu unterstützen. Sein rechter Block kommt zusammengerechnet auf 65 der 120 Sitze in der Knesset, hätte also 10 mehr als das Mitte-Links-Bündnis.

"Ein Kampf für meine Heimat"

Das israelische Volk hat gesprochen. Aber nicht jeder fühlt sich gehört. Adi Hagin ist für knapp zwei Tage nach Israel geflogen, nur um zur Wahl zu gehen. Sonst lebt die 40-Jährige mit ihrem deutschen Mann und den beiden Töchtern in Frankfurt. "Es ist nicht so, dass ich ernsthaft ein anderes Ergebnis erwartet hätte, aber es fühlt sich an, als hätte ich für die Zukunft meines Heimatlandes gekämpft - und verloren", sagte sie der DW. "Ich bereue nicht, hergekommen zu sein. Aber ich bedaure, dass ich die Realität in Israel nicht verändern konnte."

Israelin Adi Hagin
Die Israelin Adi Hagin lebt in Deutschland - und will vorerst auch nicht zurück nach IsraelBild: privat

Jeder fünfte Israeli ist Araber - wählen dürfen aber nur jene, die auch in Israel geboren sind, nicht die aus den Palästinensergebieten. Die Wahlbeteiligung unter arabischen Wählern war historisch niedrig. 2015 errang die Vereinigte Liste der arabischen Parteien noch 13 Sitze. Inzwischen haben sich die Parteien wieder zerstritten, viele ihrer Wähler haben sich enttäuscht abgewandt, 2019 blieb ein Großteil von ihnen den Urnen fern: mehr als 50 Prozent, um genau zu sein.

Die verlorene Hoffnung der israelischen Araber

Schlimmer noch als das Zerbrechen der gemeinsamen Liste war für die Araber im Lande das 2018 verabschiedete Nationalstaatsgesetz, das Israel als Staat des jüdischen Volkes definiert. "Dieses Gesetz hat der arabischen Bevölkerung die letzte Hoffnung genommen, einen Platz in diesem Land zu haben", sagte Suleiman Maswadeh. Der 23-jährige Palästinenser lebt in Tel Aviv und hat selbst kein Wahlrecht.

"Sogar die sogenannten Mitte-Links-Parteien haben betont, dass sie keine Koalition mit den Arabern eingehen würden. Also, warum soll man überhaupt wählen gehen, wenn einen eh niemand im Parlament will?"

Weit, weit rechts

So bleiben genügend Sitze für den Block von Benjamin Netanjahu, der trotz Korruptionsermittlungen gegen ihn seine fünfte Amtszeit als Ministerpräsident antritt. Manche Weggefährten aber scheiterten an der Sperrklausel von 3,25 Prozent: Naftali Bennett und Ayelet Schaked, Minister im aktuellen Kabinett, hatten im Dezember die Partei "Die Neue Rechte" aus der Taufe gehoben - und haben es voraussichtlich nicht in die neue Knesset geschafft. Am Mittwochnachmittag standen sie bei 3,14 Prozent und müssen auf noch unausgezählte Stimmen von Soldaten hoffen. Auch die rechte Zehut-Partei von Mosche Feiglin erhielt nicht genügend Stimmen. "Auch wenn wir es diesmal nicht geschafft haben: Es wird nicht lange dauern bis zur nächsten Wahl, und dann werden wir da sein", sagte Feiglin am Mittwochmorgen.

"Dieser Mann hat den Bezug zur Realität verloren", sagte die 95-jährige Ruth, die lieber nur ihren Vornamen preisgeben möchte. In Berlin geboren, verbrachte sie den größten Teil ihres Lebens in Haifa, dem wirtschaftlichen Zentrum im Norden Israels, das mit seinem Hafen am Mittelmeer auch ein wichtiges Einfallstor für Importgüter ist. In Haifa leben Juden, Muslime und auch einige Christen harmonisch miteinander, die Universitätsstadt wählt traditionell eher links. Jerusalem ist mit seinem religiösen Eifer für viele Menschen in Haifa weit weg.

Café in Haifa, Israel
In Haifa ist das Leben entspannter - aber auch hier werden an diesem Mittwoch die Wahlergebnisse diskutiertBild: DW/D. Regev

Die Rentnerin Ruth sagt, Feiglin glaube, "wir Juden sollten in Jerusalem den Dritten Tempel bauen. Er ist als Politiker nicht bei Trost." Ruth wählte die linksgerichtete Meretz-Partei und ist enttäuscht, dass sie in der nächsten Knesset nur vier Sitze hält. "Immerhin vier Sitze mehr als Bennett", sagt die Seniorin über den scheidenden Bildungsminister.

Optimismus auf Zeit

Die Frankfurterin Adi Hagin ist  derweil schon fast wieder auf dem Heimweg. "Ich versuche, optimistisch zu bleiben", sagt sie, "aber ich bin sicher, dass ich beim derzeitigen politischen Klima lieber in Deutschland wohnen bleibe. Ich hoffe, dass Israel eines Tages besser wählt, und dass dadurch die Palästinenser in den besetzten Gebieten neue Zuversicht erhalten."

Vorerst wird Bibi, wie Langzeit-Premier Netanjahu im Land genannt wird, eine neue Regierung bilden, obwohl ihm Anklagen wegen Korruption drohen. "Nur Bibi" hat jemand in der Haifaer Innenstadt an eine Hauswand geschmiert. Letztlich ist es genau das, was Israel bekommt - mal wieder.