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Die Angst der Migranten in Südafrika

7. Juli 2010

Sie wurden gejagt, vertrieben, ermordet: Tausende Migranten haben vor zwei Jahren unter den blutigen Ausschreitungen in Südafrika gelitten. In Johannesburg gibt es jetzt einige Orte, wo sie sich sicher fühlen.

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Emily (Bild: Anna Kuhn-Osius)
Emily lebt mit 1.500 anderen Flüchtlingen in einer KircheBild: DW/Anna Kuhn-Osius

Der Geruch ist das erste. Diese Mischung aus Urin und Schweiß, die einen Moment lang den Atem raubt. Eine Wanze krabbelt die Wand hoch. Emily schiebt einen Vorhang aus alten Handtüchern zur Seite. Sie ist hier zu Hause - in der Methodisten Kirche in Downtown Johannesburg. Als sie vor drei Jahren mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn von Simbabwe nach Südafrika kam, hatte die Familie nichts. "Jetzt habe ich wenigstens das hier", sagt sie. "Das hier" sind zwei Quadratmeter für vier Menschen, notdürftig abgetrennt mit Laken, Tüchern und aufgehäufter Kleidung. 13 Familien leben in einem Raum, jede hat sich mit Kistenstapeln und Decken einen winzigen Privatraum geschaffen – so weit man das privat nennen kann. Zwei Quadratmeter Leben. Vor zwei Jahren hat Emily hier ihre Tochter geboren. Auf zwei Quadratmetern schläft die Familie, kocht Emily, reinigt sie notdürftig sich, die Kinder, die Kleidung. Duschen gibt es keine. Nur ein tropfendes Waschbecken in der einen Toilette, die sie sich mit 1500 anderen Menschen teilt.

Leben ohne jede Privatspähre

Emily in ihrem Wohnbereich (Bild: Anna Kuhn-Osius)
Alles auf engstem Raum: Emily in ihrer "Wohnung"Bild: DW/Anna Kuhn-Osius

"Wir waschen uns in der Toilette", sagt sie. Nachts müssen sie eng zusammen rücken, damit die vier Menschen überhaupt Platz finden zum Schlafen. Ist einer krank, sind alle krank. Emilys ganzer Stolz ist ein Bügeleisen. Das hat sie günstig auftreiben können. Auch wenn sie keinen Platz hat, zu bügeln. Und keinen Ort, ihre Wäsche zu waschen. Während sie Essen auf der kleinen Kochplatte kocht, hat das Paar nebenan Sex. Getrennt durch einen Vorhang. Während sie versucht, ihre Kinder zum Schlafen zu bringen, feiern die Männer nebenan die Fußball-WM. "Du lebst hier, ohne nachzudenken", sagt sie. "Hier hörst Du auf, zu träumen." Emily ist 24.

Geplatzte Träume

Warum ist sie gekommen? "Weil es in Simbabwe noch weniger Zukunft gab als hier", sagt Emily. Sie hatten Hoffnung auf einen Beruf, auf Bildung für ihre Kinder, vielleicht mal ein eigenes Haus. Jetzt sind sie hier. Ihr Mann hat einen Fernseher in die kleine Zelle gequetscht. Er ist arbeitslos, liegt meistens auf der Matratze und schaut fern. Ein diplomierter Ingenieur ohne Pass, wertlos. Der Nachbar ist Informatiker. Ein anderer ist Lehrer. Aber ohne Pass kann niemand von ihnen in Südafrika arbeiten. Manchmal sind die Frauen besser dran. Emily hat in Johannesburg einen Putzjob gefunden, illegal natürlich. Damit ernährt sie die Familie.

Ein bisschen Geld zur WM

Ein paar Frauen und Männer schrubben den Bürgersteig vor der Kirche – ein Arbeitsprojekt der Stadt Johannesburg, zur Weltmeisterschaft, damit die Stadt sauber aussieht. "Das bisschen Geld brauche ich dringend", sagt eine der Frauen und stützt sich auf den Besen. Sie hat sich ihr Baby auf den Rücken gebunden. Nach der WM wird das Projekt wahrscheinlich enden. Aber ein paar mehr Arbeitslose fallen hier gar nicht auf.

Flüchtlinge reinigen die Straße (Bild: Anna Kuhn-Osius)
Schrubben für ein bisschen GeldBild: DW/Anna Kuhn-Osius

Die Angst vor dem Hass

Sie könnten auch in die Vorstädte ziehen, in die Townships von Johannesburg, in eine der illegalen Siedlungen. Da hätten die Immigranten mehr Platz. Aber sie wagen es nicht. "Die Südafrikaner hassen uns Simbabwer. Sie denken, wir nehmen ihnen die Arbeit weg. Dabei hat doch kaum einer von uns Arbeit", sagt Emilys Nachbarin Faith. Auch sie wohnt mit ihrer Familie lieber im Gemeindehaus der Methodistenkirche. "Hier sind wir wenigstens sicher", sagt sie.

Emily nickt. Es ist der Hass, der ihr Angst macht. Angst, den Sohn zur Schule zu schicken. Angst, auf die Straße zu gehen und als Simbabwerin erkannt zu werden. "Ihr seid dreckig, sagen die Südafrikaner. Ihr seid wertlos." Und immer wieder: "Ihr nehmt uns die Arbeitsplätze weg."

Zurück nach Simbabwe

Vor zwei Jahren hat sich Emily gar nicht mehr aus dem Haus getraut, so groß war die Welle der Gewalt gegen Migranten. Und sie ist überzeugt: Die Gewalt kommt wieder. "Durch die Fußball-WM hat der Hass nur eine Pause eingelegt. Danach ist er wieder da."

Die ersten Bewohner der Methodistenkirche bereiten sich schon vor: Vor dem Büro des Pastors sitzt eine alte Frau. Sie will nach Hause, zurück nach Simbabwe. "Südafrika hat mir kein Glück gebracht", sagt sie. "Ich will fliehen, bevor die Weltmeisterschaft zu Ende ist. Danach geht es wieder los mit der Gewalt." Emily wird hier bleiben, mit ihrem Mann und ihren beiden kleinen Kindern. "Wo sollen wir denn hin?", fragt sie. Und zertritt eine Wanze.

Autorin: Anna Kuhn-Osius

Redaktion: Christine Harjes