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Die Besten sind schon weg

27. April 2011

Ab dem 1. Mai 2011 darf sich jeder in Europa dort eine Arbeit suchen, wo es ihm gefällt. Das wird deutschen Betrieben, die dringend Fachkräfte suchen, nicht helfen, denn: die besten Arbeitskräfte sind bereits gegangen.

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Zwei Ingenieure unterhalten sich (Foto: fotolia)
Ingenieure sind derzeit überall MangelwareBild: Fotolia/endostock

Es sind ungewöhnliche Tage für Stefan Schmidt. Normalerweise kann er nur neidisch von seinem Büro in der Kölner Innenstadt auf die umliegenden Straßencafés schauen, wo sich die Gäste an den Sonnenstrahlen erfreuen. Doch heute tummelt sich Schmidt ausnahmsweise auch auf der Straße. Die Personaldienstleister von Trenkwalder in Köln haben ihre mobile Geschäftsstelle mitten auf dem Friesenplatz in der Domstadt aufgestellt. Ein umgebauter weiß-roter Omnibus fungiert als Jobmobil für arbeitssuchende Interessenten. Ungewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen: "Der Bewerbermarkt ist deutlich enger geworden, nur zurücklehnen und darauf warten, dass die Bewerber zu uns kommen, das ist vorbei", sagt Schmidt.

Ansturm wird ausbleiben

Das Jobmobil der Firma Trenkwalder in Köln (Foto: DW)
Das Jobmobil der Firma Trenkwalder auf dem Friesenplatz in KölnBild: DW/Arne Lichtenberg

Am 1. Mai fallen die letzten Beschränkungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit von acht osteuropäischen EU-Ländern. Ab dann können Tschechen, Polen, Slowaken, Slowenen, Esten, Letten, Litauer und Ungarn nach Deutschland kommen, sich niederlassen und hier arbeiten – ohne Auflagen. Überall keimt die Hoffnung, sie könnten die Lösung für den Fachkräftemangel in Deutschland sein. Doch es scheint als käme die Aufhebung der Freizügigkeitsbeschränkung zu spät. Schon 2004 öffneten Länder wie Großbritannien, Irland und Schweden ihre Pforten für ausländische Arbeitskräfte und die machten reichlich davon Gebrauch.

Trenkwalder verfügt über mehrere Niederlassungen in Osteuropa und hat sich mit einer Datenbank auf die bevorstehenden Veränderungen zum 1. Mai gewappnet. Regelrechte Auswanderungen von osteuropäischen Arbeitnehmern erwartet aber hier keiner. "Einen Ansturm wird es mit Sicherheit nicht geben, die Befürchtung ist vielmehr, dass viele Osteuropäer schon in anderen Ländern untergekommen sind", berichtet Annette Scheib von Trenkwalder.

Eine Jobberatung im Jobmobil der Firma Trenkwalder in Köln (Foto: DW)
Nicht immer einfach: Den passenden Kandidaten zu findenBild: DW/Arne Lichtenberg

Oliver Koppel vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln teilt diese Einschätzung. Durch die Meseberger Beschlüsse im August 2007 hatte die Bundesregierung schon zum 1.1.2009 auf den sich abzeichnenden Fachkräftemangel reagieren und die Hochqualifizierten aus Osteuropa mit leichteren Einreisemodalitäten nach Deutschland locken wollen. Passiert ist nicht viel. "In den Engpassberufen, wie bei den Ingenieuren, haben wir ja schon seit Jahren die Freizügigkeit, doch es hat uns de facto nichts gebracht. Es sind zu wenige gekommen", schildert der Innovationsökonom das Dilemma.

Polen haben keinen Druck zu gehen

Mittlerweile scheint man in Deutschland den Zug endgültig verpasst zu haben. Die Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Jahr 2004 gleichen einem Eigentor. Heute brummt in Polen die Konjunktur, auch hier herrscht mittlerweile ein Fachkräftemangel. "Der Arbeitsmarkt in Polen ist gut, Ingenieure verdienen dort viermal so viel wie durchschnittliche Akademiker", erklärt Koppel. Der Druck für die Osteuropäer ihre Heimat zu verlassen, stellt sich von daher nicht mehr. Wenn sie nicht sowieso schon in Skandinavien oder Großbritannien sind.

Pflegebranche braucht verzweifelt Arbeitskräfte

Die Hände einer pflegebedürftigen Frau umklammern den Haltegriff über ihrem Bett in einem Seniorenheim (Foto: AP)
In zehn Jahren werden 400.000 Arbeitskräfte in der Pflegebranche fehlenBild: AP

Auch in der Pflegebranche hegt man keinerlei Hoffnungen, ab Mai neue und frische Arbeitskräfte zu bekommen. Dabei könnte man sie dringend gebrauchen. Aktuell fehlen jetzt schon 10.000 Arbeitskräfte, berichtet Bernd Tews, Geschäftsführer des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Fast 400.000 werden es in zehn Jahren sein. "Der deutsche Arbeitsmarkt ist eindeutig im Nachteil gegenüber den anderen Ländern. In Deutschland gestaltet sich die Anerkennung der beruflichen Abschlüsse schwierig, hinzu kommt die Sprachbarriere." Mittlerweile sei Englisch die erste Fremdsprache in den osteuropäischen Schulen. Zudem seien die Löhne für Pflegekräfte in der Schweiz oder Skandinavien einfach höher, sagt Tews.

Deutschland ist für die hochqualifizierten Osteuropäer nur ein Land unter vielen. Zu lange habe man die Top-Arbeitskräfte durch ein unattraktives Aufenthaltsrecht vergrault, berichtet Koppel. Andere Länder hätten die Fachkräfte dankbar aufgenommen. Deutschland stehe im knallharten Wettbewerb um die Hochqualifizierten und die haben mehrere Zielländer als Option. So hört man von der deutsch-tschechischen Industrie- und Handelskammer in Prag, dass man auch von dort keine nennenswerte Migration nach Deutschland erwarte. Generell sei die Arbeitsmobilität der Tschechen offenbar nicht besonders hoch. Wer also in Deutschland arbeiten wolle, sei bereits dort oder ist längt woanders.

Autor: Arne Lichtenberg
Redaktion: Pia Gram