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Die bewusste Provokation

Bettina Marx4. Juni 2002

Während der erneuten Vermittlungsmission von CIA-Chef George Tenet begann Israel mit dem Bau einer neuen Siedlung in Ostjerusalem – eine bewusste Provokation, meint Bettina Marx in ihrem Kommentar.

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Der Zeitpunkt sei völlig zufällig, sagte Jerusalems Bürgermeister Ehud Olmert. Der Baubeginn für die neue jüdische Siedlung Nof Zahav in Ostjerusalem stehe schon lange an. Nur durch Zufall sei er ausgerechnet auf den Tag gefallen, als US-Unterhändler George Tenet zu einer neuen Vermittlungsrunde in Israel eintraf.

Zufall? So naiv kann kein Beobachter der Entwicklung im Nahen Osten sein. Seit Jahren sind die Baupläne der privaten israelischen Investoren genehmigt, die auf 14 Hektar Hunderte von Wohnungen und ein weiteres Sechs-Sterne-Hotel bauen wollen. Und "ganz zufällig" wird ausgerechnet jetzt mit den Bauarbeiten begonnen – in einer Zeit, da der Tourismus in Israel praktisch zum Erliegen gekommen ist und die vorhandenen Hotels in Jerusalem leer stehen. In einer Zeit, da der Wohnungsmarkt in Jerusalem fast zusammengebrochen ist.

Vor allem in diesen östlichen Teilen Jerusalems ist die Nachfrage nach freien Wohnungen seit dem Beginn des Palästinenseraufstandes dramatisch gesunken. Selbst in den benachbarten jüdischen Vierteln, die innerhalb der grünen Linie liegen und daher von einer eventuellen Friedensregelung für Jerusalem nicht betroffen wären, wächst der Leerstand an Wohnungen, seit immer mehr Jerusalemer die Stadt in Richtung Küstenebene verlassen oder aber innerhalb Jerusalems in weniger exponierte Gegenden umziehen.

Mit Zufall also hat der Baubeginn in dem arabischen Dorf Jebel Mukaber nichts zu tun. Und wer den Jerusalemer Bürgermeister kennt, der keine Gelegenheit auslässt, die israelische Souveränität auch über das arabische Ostjerusalem zu unterstreichen und die Palästinenser in der Stadt zu provozieren, der weiß sehr genau, dass Olmert alles tut, um in Jerusalem Fakten zu schaffen und die palästinensischen Ansprüche zurückzudrängen.

Völlig einig ist er sich darin mit Israels Ministerpräsident Ariel Scharon. Auch Scharon steht den internationalen Vermittlungsbemühungen skeptisch gegenüber. Sollten sie Erfolg haben und Israelis und Palästinenser wieder an den Verhandlungstisch bringen, könnte sich Scharon zu schmerzlichen Zugeständnissen gedrängt fühlen – Zugeständnisse, die er zwar angekündigt hat, zu denen er aber nicht wirklich bereit ist: Erst kürzlich hat er noch einmal bekräftigt, dass er einem Abbau von israelischen Siedlungen in den palästinensischen Gebieten nicht zustimmen wird. Statt dessen hat Scharon die bestehenden Siedlungen ständig weiter ausgebaut und neue gegründet. Allein in den letzten Monaten wurden rund vierzig neue Siedlungen in Angriff genommen.

Überall im Westjordanland werden Wohnwagen aufgestellt, die als Vorläufer der späteren rasch wachsenden Siedlungen gelten. Nicht selten müssen Felder und Olivenhaine palästinensischer Bauern für die noblen Häuser der Siedler weichen, die unter schwerer Bewachung mitten in einer ihnen feindlich gesonnenen Gesellschaft leben. Um die Gefahren für die Siedler und ihre Familien zu reduzieren, werden teure Umgehungsstraßen um die arabischen Ortschaften gebaut, palästinensische Dörfer und Städte immer häufiger unter Ausgangssperre gestellt und mit Barrieren und Mauern umgeben.

Doch nicht nur die palästinensische Gesellschaft leidet unter dem Ausbau der Siedlungen. Auch im israelischen Kernland fühlt man sich zunehmend benachteiligt. Denn die Israelis, die in den Grenzen von 1967 wohnen, müssen zugunsten der Siedlungen auf den Ausbau ihrer Infrastruktur und ihrer sozialen Dienste verzichten.

Trotzdem hält Scharon an der Siedlungspolitik fest, genauso wie seine Vorgänger, die auch nach dem Beginn des Oslo-Friedensprozesses die Siedlungen weiter ausbauten, im Widerspruch zu den Verträgen mit den Palästinensern. So wurden unter Ehud Barak fast 50 neue Siedlungen gebaut. Heute leben unter den 2 Millionen Palästinensern auf der Westbank rund 200.000 Siedler.

Der Baubeginn in Djebel Mukaber also war nicht zufällig gerade an dem Tag, an dem George Tenet in Israel eintraf. Dieser Zeitpunkt war bewusst gewählt, um jeden Vermittlungsversuch, der Israel Zugeständnisse abnötigen könnte, im Keim zu ersticken.