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Die Bierkrug-Krise

Bernd Riegert4. April 2007

Ein Tonkrug mit Blumen und Ornamenten hat zu diplomatischen Verwicklungen zwischen der Türkei und der EU geführt. Dabei war er lediglich ein Geschenk von Angela Merkel an den Bierseidel-Sammler Jacques Chirac.

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Bernd Riegert

Manche Geschichten, die man sich in Brüssel erzählt, klingen so haarsträubend unglaubwürdig, dass sie schon wieder wahr sein könnten. Wie wäre es zum Beispiel mit dieser? Der türkische Außenminister Gül sagte vergangenen Samstag (31.3.2007) ein Treffen mit den 27 EU-Außenministern in Bremen ab, weil er einen Bierseidel aus dem Westerwald nicht mochte, den Bundeskanzlerin Merkel dem französischen Staatspräsidenten Chirac zum Abschied aus dem politischen Leben beim EU-Geburtstagsgipfel in Berlin geschenkt hat. Hä?

Antitürkischer Ausfall?

Sie haben richtig gelesen. Und das kam so: Merkel überreichte Chirac, der - Gott weiß warum - leidenschaftlich Bierkrüge sammelt, den irdenen Seidel mit Deckel made in Germany. Auf dem Deckel prangte die Jahreszahl 1799. In ihrer Lobesrede auf Chirac erwähnte Frau Merkel, dass dies das Jahr war, in dem der französische Feldherr Napoleon (politischer Urahn Chiracs) in Ägypten (außerhalb der EU) die osmanischen Heerführer (politische Urahnen Güls) schlug. Sie fügte aber gleich hinzu, dass die heutige Welt solche Schlachten, auch dank der EU nicht mehr kenne.

In der türkischen Presse wurde der Vorgang zu einem antitürkischen Ausfall aufgebauscht. Angebliche Schlachtenszenen auf dem Bierseidel, wo ein Franzose Türken schlägt, wurden geschildert. Über diplomatische Kanäle protestierte das Außenministerium in Ankara bei der Bundesregierung: Die Bierkrug-Krise war geboren.

Blumen und Ornamente

Deutsche Diplomaten versicherten glaubhaft, dass der Tonkrug nur von Blumen und Ornamenten geschmückt ist. Alles nützte nichts. Die Türken waren beleidigt. Zusammen mit dem Ärger darüber, dass sie nicht zur Geburtstagsparty der EU in Berlin eingeladen waren, reichte die Bierseidel-Affäre dem türkischen Außenminister, um seine Kollegen in Bremen zu versetzen. Kindergarten oder höchste Diplomatie? Und all das in einer Woche, in der die EU der Türkei eigentlich die Hand reichte und ein neues Kapitel der Beitrittsverhandlungen eröffnete, obwohl sich weder Ankara noch Nikosia im Streit um die Anerkennung Zyperns bewegt haben.

Die türkische Regierung sei äußerst feinfühlig, beschreibt ein erfahrener Diplomat in Brüssel die Lage und fügt dann gleich unter Augenrollen hinzu: "Das kann ja noch heiter werden!" Nämlich dann, wenn es bei den Beitrittsverhandlungen nicht um Geplänkel, sondern um wirkliche Kernfragen wie Zypern, Menschenrechte, Minderheitenrechte und Religionsfreiheit geht - und nicht nur um olle Tonwaren.