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Politik

Die Bombe, die sein Leben zerstörte

Marwa El Ghafri KK
5. Februar 2017

Der Krieg in Syrien fordert viele Opfer. Der 50-jährige Youssef aus Aleppo wurde von einer Bombe getroffen, seitdem ist er gelähmt. In der Türkei hofft er auf Hilfe. Bislang vergeblich. Aus Gaziantep Marwa El Ghafri.

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Türkisch-syrisches Grenzgebiet - Kriegsversehrte aus Syrien
Bild: Tammam Almobayed

Es sind nur ein paar Statistiken, die wir gelegentlich im Fernsehen sehen. Zahlen zu Opfern des syrischen Bürgerkriegs, den Toten, Verletzten und Versehrten. Doch diese Zahlen erzählen wenig vom Schicksal der Menschen, die sich hinter ihnen verbergen.

Zu den vielen Opfern des Krieges gehört auch Youssef (Artikelbild oben), wie der 50 Jahre alte Familienvater aus Aleppo genannt werden will. Inzwischen lebt Youssef mit seiner Familie in einem Flüchtlingslager im türkischen Gaziantep, einer Stadt direkt an der Grenze zu Syrien. 2012 wurde er von einem Bombensplitter getroffen. Seitdem ist er gelähmt. 

"Es war im Ramadan", erzählt Youssef. "Wir waren gerade dabei, das Essen für das morgendliche Fastenbrechen vorzubereiten, da schlug eine Rakete neben unserem Haus im Stadtteil Hanano ein. Einer der Splitter drang in meine linke Schulter und dann in die Wirbelsäule. Dadurch wurde das Rückenmark beschädigt. Seitdem bin ich gelähmt."

Machtlose Ärzte

15 Tage lang blieb Yousseff zur Behandlung in einem Krankenhaus in Aleppo, doch die Chirurgen schafften es nicht, den Splitter zu entfernen. Die dafür notwendige High-Tech-Medizin fehlte in dem von der Opposition beherrschten Gebiet ebenso wie entsprechend ausgebildete Ärzte.

Mit seiner Behinderung wollte Youssef sich nicht abfinden. So reiste er in die Türkei, um dort nach Behandlungsmöglichkeiten zu suchen. Doch auch dort lehnten die Ärzte ab: Es sei inzwischen zu spät, den Splitter zu entfernen. Allenfalls könne er sich in Therapie begeben, um auf diese Weise irgendwann notdürftig wieder gehen zu können.

Türkisch-syrisches Grenzgebiet - Kriegsversehrte aus Syrien
Vorläufige Bleibe: Youssefs Haus in GaziantepBild: Tammam Almobayed

Trotz seines Leidens habe er Glück gehabt, sagt Youssef. Zwar sei er gelähmt. Andere Kriegsopfer aber hätten ihre Verletzung nicht überlebt. "Viele unserer Freunde und Verwandten wurden nur leicht verletzt. Weil sie aber keine angemessene Behandlung erhielten, starben sie."

Youssef ist sich sicher, dass die Bomben giftige Substanzen enthielten. "Die Splitter, die in unsere Körper drangen, verursachten ein Brennen. Mir und anderen getroffenen Personen schien es, als würden wir von innen zerfressen, und zwar bis auf die Knochen. Diese Wirkung tritt erst nach einiger Zeit auf. Eindeutig nachweisen lässt sie sich aber nur durch eine gründliche Untersuchung."

Eine Familie in Not

In der Türkei hofft Youssef immer noch auf eine Behandlung. Zugleich aber hat er als Flüchtling mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Erkrankung hat nicht nur Folgen für sein eigenes Leben, sondern auch für das seiner Frau und seiner fünf Kinder. So können zwei von ihnen, die Söhne Mustafa, 15, und Mohammed, 12, keine Schule mehr besuchen. Sie müssen für den Lebensunterhalt der Familie und die Behandlung des Vaters sorgen.

Syrien syrische Kampfflugzeug in Aleppo
Verhängnis im Himmel: Ein syrischer Kampfjet über AleppoBild: Getty Images/AFP/G. Ourfalian

"Mein Bruder und ich werden wegen unseres jungen Alters ausgenutzt", sagt Youssefs Sohn Mohammed. "Lange Zeit haben wir Tag für Tag 16 Stunden in einer Bäckerei gearbeitet. Der Lohn reichte noch nicht einmal für unsere täglichen Bedürfnisse und die Miete in unserem Viertel, in dem ohnehin nur arme Menschen wohnen." Gerade hätten sie eine neue Arbeitsstelle gefunden, berichtet er weiter.  "Jetzt arbeiten wir in einer Schuhfabrik, nur noch zwölf Stunden am Tag und für einen besseren Lohn." Doch auch mit dieser Arbeit ist Mohammed nicht zufrieden. Eigentlich müsste er viel mehr Geld verdienen. Nur dann ließe sich die Behandlung des Vaters finanzieren.

Kampf um Unterstützung

Youssefs Frau kämpft mit anderen Schwierigkeiten. Seit langem bemüht sie sich um Unterstützung durch eine Hilfsorganisation. Gelungen ist ihr das bislang noch nicht. "Für uns Syrer wird es immer schwieriger, diese Unterstützung zu erhalten", sagt sie. "Denn es ist erforderlich, dass die Kranken und Verwundeten selbst zur Vorstellung erscheinen."

Auf diese Weise wolle man Missbrauch und Betrug vermeiden, erklärt sie. Ihr Mann könne sich aufgrund der Behinderung aber nicht persönlich vorstellen. Darum habe sie nur eine zeitweilige Unterstützung erhalten. Hinzu kämen weitere Probleme - neue Batterien für den Rollstuhl etwa. "Es ist für uns sehr schwierig, dauernd neue Batterien zu bezahlen."

Türkisch-syrisches Grenzgebiet - Kriegsversehrte aus Syrien
Auch Kinder sind unter den OpfernBild: Sanad Organization

Keine hinreichende Versorgung

"Der Krieg in Syrien hat sehr viele Verwundete und Versehrte hinterlassen. Die Statistiken sprechen von anderthalb Millionen betroffenen Personen. Es ist schwierig, so viele Betroffenen angemessen zu versorgen", erklärt Said Nihas, Vorstandsmitglied der syrisch-arabischen Hilfsorganisation Sanad. Viele Verwundete und Kriegsversehrte seien noch überhaupt nicht behandelt worden. "Wir nehmen an, dass allein in Gaziantep derzeit rund 900 Kriegsversehrte leben. Wir versuchen, diese Personen auch durch Freiwilligenhilfe von Jugendlichen zu unterstützen."

Die Hilfsorganisation beschränkt sich nicht nur auf medizinische Hilfe, sondern versucht die Bedürftigen auch anderweitig zu unterstützen. So bietet sie etwa psychologische Unterstützung an. Außerdem versucht sie, die Kriegsopfer an Ärzteorganisationen zu vermitteln, um ihnen doch noch eine Behandlung zu verschaffen.

"Der Krieg in Syrien geht weiter, und jeden Tag gibt es weitere Verwundete und Behinderte", sagt Nihas. Den Betroffenen müsse auf allen nur denkbaren Ebenen geholfen werden. Das aber gelinge nicht in zufriedenstellendem Maß. Viele Opfer litten so sehr, dass sie den Tod inzwischen als eine Erlösung betrachteten.