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Die andere Seite: Narvabrücke

11. Februar 2010

Die Narvabrücke symbolisiert die wechselhafte Geschichte Europas. Russen, Deutsche und Schweden kämpften dort einst um Macht und Einfluss. Zu Sowjetzeiten verband die Brücke zwei Städte, heute trennt sie zwei Welten.

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Die russische Metropole St. Petersburg ist nicht weit von Narva in Estland entferntBild: picture-alliance / KPA

Ein grünes Grenzhäuschen steht direkt an der Narvabrücke. Mehrere PKW haben sich in eine Schlage vor dem Grenzübergang eingereiht. Gelangweilt sitzen die Fahrer am Steuer. Die Motoren laufen. Bei Minus 25 Grad Celsius.

Die Brücke über die Narva ist heute ein streng überwachter Grenzübergang zwischen Russland und Estland. Seit dem 1. Mai 2004 ist dies auch eine Außengrenze der Europäischen Union.

Ein streng überwachter Grenzübergang

Marina Tiaduschewna Baschkina zieht ihren Schal tiefer ins Gesicht. Sie passiert diese Grenze, so oft sie kann. Marina lebt auf der russischen Seite der Brücke, in Iwangorod. Ihre Eltern und ihre Schwester wohnen in Estland. Als Marina noch ein Kind war, gab es hier keine Grenze. Die Narvabrücke, auch Freundschaftsbrücke genannt, war ein ganz normaler Verbindungsweg zwischen zwei Provinzstädten innerhalb der Sowjetunion.

Brücke über den Fluss Narva
Bild: Wikipedia

Die estnische Stadt Narva auf dem Westufer und Iwangorod auf dem Ostufer bildeten fast eine Einheit. Marina Tiaduschewna Baschkina selbst wurde im sowjetischen Estland geboren. Dann zog sie weg. Als sie wieder zurückkehrte, war Estland unabhängig. Marinas Familie lebte nun in Narva. Sie selbst musste als russische Staatsbürgerin in Iwangorod bleiben.

Heute braucht sie ein Visum, um ihre Familie zu besuchen. Und sie braucht Zeit. Die Schlangen an der Grenze sind manchmal lang. „Manchmal würde man am liebsten auf eine Tasse Tee vorbei kommen, ein bisschen quatschen. Aber das geht ja leider nicht, wegen der Grenze“, sagt Marina und seufzt.

Spontaner Besuch ist unmöglich

Auf ihrem Weg über die Grenze passiert sie zunächst den russischen Kontrollpunkt, an dem zwei junge Beamtinnen mit ausdruckslosen Gesichtern die Pässe kontrollieren. Dann ist sie bereits auf der Brücke, die sie wie Hunderte andere an diesem Tag zu Fuß passiert.

Die meisten gehen über diese Grenze, um Verwandte auf der anderen Seite zu besuchen oder im Nachbarland das eine oder andere Schnäppchen zu machen. Kaum jemand hält an und genießt den Ausblick auf den Fluss Narva, der majestätisch vor sich hin fließt.

Dabei sagt dieser Ausblick viel über die Geschichte dieses Ortes aus: zwei Festungen stehen sich dort gegenüber: auf der estnischen Seite eine Ordensburg aus dem 13. Jahrhundert – die Hermannsfeste; auf der anderen Seite – die Burg Iwangorod, von Iwan dem Dritten im 15. Jahrhundert gebaut.

Steingewordene Konfrontation

Viele Schlachten hat der Fluss schon gesehen. Russen, Deutsche und Schweden kämpften an dieser Stelle um Macht und Einfluss. Heute sind die beiden Festungen Touristenattraktionen. Kriege werden hier keine mehr geführt. Das Misstrauen auf beiden Seiten ist geblieben.

Marina nähert sich dem estnischen Kontrollpunkt. Viel hat Estland seit seinem EU-Beitritt in die Grenzkontrollen investiert, in neue Technik und mehr Personal. Die Grenzschützer und Zöllner suchen bei ihren Kontrollen nach Drogen, nach geschmuggelten Zigaretten, aber auch gefälschten Pässen oder Visa.

Die Grenzbeamten sprechen fast alle Russisch. Mehr als 95 Prozent der Menschen in Narva, der drittgrößten Stadt Estlands, stammen aus Russland. So wie Marinas Schwester, Nelly Tschudakowa.

Sie erwartet Marina bereits an der Grenze. Nelly Tschudakowa hat einen estnischen Pass und ist froh darüber, auf dieser Seite der Brücke zu leben. „Meine Kinder haben hier bessere Zukunftschancen. Mein Mann und ich haben gute Jobs“, sagt sie und lächelt. Nur Estnisch könne sie bisher nicht gut, aber in Narva sei das auch nicht notwendig.

Chancen an der EU-Außengrenze

Nelly selbst ist selten in Russland. Das russische Jahresvisum, das sie dafür bräuchte, ist ihr zu teuer. „Um Visa für mich und meine Töchter zu bekommen, müsste ich einen ganzen Monat arbeiten“, erklärt sie.

Ihre Schwester, Marina, ist inzwischen da. Die beiden fallen sich in die Arme. Es wird gelacht und erzählt. Die Narvabrücke ist Teil ihrer Familiengeschichte geworden.

„Was ist schon alles auf der Brücke passiert, was hat sie nicht schon alles gesehen“, sagt Marina. „Wir haben uns dort häufig mit Freunden getroffen, und zum ersten Mal verliebt.“

Die Narvabrücke soll schon bald renoviert werden. Außerdem will Estland noch eine andere Brücke über den Fluss bauen, um den Grenzübergang zu entlasten. Die Schwestern hoffen, dass diese Brücken sie in Zukunft einander näher bringen werden.

Autorin: Alexandra von Nahmen

Redaktion: Bernd Riegert