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Politik

Die Causa Adam

Daniel Derya Bellut
19. April 2018

Ein Israeli spaziert mit Kippa durch Berlin. Es folgt ein antisemitischer Übergriff - und ein riesiges Medienecho. In einem Interview mit der Deutschen Welle gibt er persönliche Einblicke in einen außergewöhnlichen Tag.

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Antisemitismus in Deutschland
Adam (r.) und sein Freund Bild: DW/D. Bellut

Der Helmholtzplatz ist ein idyllisches Fleckchen mitten in Berlin. Auf dem rechteckigen Platz gibt es satte Grünflächen, hohe Bäume, die Tischtennisplatten werden permanent von jungen Leuten belagert. Auf den Wiesen liegen Menschen verschiedenster Façon, die sich sonnen, ein Eis essen oder bei einem Plausch ein Bierchen trinken. Auf den Bürgersteigen rund um den Platz schieben junge Eltern gemächlich ihren Nachwuchs über den Asphalt. Ein kosmopolitisches Publikum sitzt entspannt vor den zahlreichen Bars, Kaffees und Restaurants.

"Ich liebe Berlin für Multikulti"

Eine typische Berliner Frühjahrs-Idylle, die so gar nicht zu den verstörenden Aufnahmen passt, die am Vortag erst durch die sozialen Medien, dann durch die deutsche und sogar die internationale Presse gingen. Die verwackelten Aufnahmen, die das Opfer Adam selber mit dem Handy gemacht hat, lassen diesen Ort nun in einem bedrohlichen Licht erscheinen: Schemenhaft erkennt man, wie Adam von einem aggressiven Angreifer mit einem Gürtel geschlagen und dabei auf arabisch beschimpft wird. Der banale Grund: Adam und sein Kumpel, ein Deutsch-Marokkaner, trugen eine Kippa, eine jüdische Kopfbedeckung. "Ich habe Berlin immer sehr dafür geschätzt, dass es ein multikultureller Ort ist. Ich dachte immer, dass Minderheiten, Juden und alle Religionen hier in Berlin friedlich zusammen leben können", sagt Adam am nächsten Tag der Deutschen Welle.

Adam: Die Leute sind einfach weitergegangen.

Die Kippa als Antisemitismus-Test

Adam erscheint mit seinem Kumpel, der ihn bei dem Vorfall begleitet hatte. Er ist ein freundlich dreinblickender, schüchterner 21-Jähriger – vor drei Jahren ist er aus Haifa nach Deutschland gekommen, um in Hannover zu studieren. Er erzählt, dass er zuvor nie eine Kippa getragen habe, schließlich sei er arabischer Israeli und sein Umfeld sei nicht durchweg jüdisch geprägt. Vor ein paar Tagen habe er die traditionelle Kopfbedeckung von einem Freund auf einer Israel-Reise geschenkt bekommen. Sein Freund habe ihm noch davon abgeraten, das Kleidungsstück in Deutschland zu tragen. Dies spornte Adam zu einer Art Versuch an: Er schenkte auch seinem Kumpel eine Kippa - zusammen seien sie dann mit der Kopfbedeckung durch Berlin spaziert, um den Selbstversuch zu starten.

Riesiger Medienrummel 

Während er den Tathergang schildert, wirkt er erschöpft und unkonzentriert. Er redet sehr langsam, muss sich sehr anstrengen, um die richtigen Worte zu finden. "Ich habe die Geschichte bereits so oft erzählt heute. Ich habe aufgehört, die Interviews zu zählen", sagt er und schmunzelt gequält. Auf Schritt und Tritt folgt ihm ein Redakteur, der ihn später zu einem TV-Auftritt nach Köln begleiten wird, wo er ein letztes Mal seine Geschichte erzählen wird. Er wirkt so, als könne er es selber gar nicht glauben, in was für einen Film er da hineingeraten ist.

Am Folgetag noch ein Telefonat mit Adam. Er ist immer noch in Köln. Seine Stimme wirkt beschlagen, er fühle sich krank, sagt er. Von der gestrigen Offenheit ist heute nicht mehr viel übrig geblieben, nun wirkt er kleinlaut und skeptisch. Er schildert, dass es ihm langsam mit den ganzen Anfragen zu viel werde. Ich solle ihn zukünftig lieber anschreiben. Er erklärt seine Gemütslage: "Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich mit dem Video so eine Dynamik auslöse. Ich habe das Video nur an ein paar Freunde geschickt und an die Polizei. Mein Kumpel, der auch dabei war, hat es dann an viele Leute weitergeleitet."

Kippa
Die jüdische Kopfbedeckung KippaBild: picture-alliance/NurPhoto/A. Widak

Adam: Exempel für Sensationsgier oder Antisemitismus? 

Er befürchtet, dass sich der Medienrummel mit dem selbstgedrehten Video irgendwann rächen könnte. Er sei ein wenig enttäuscht von der Presse, denn einige Medien hätten seinen Nachnamen wiedergegeben, obwohl er das auf gar keinen Fall wollte. Er würde sich jetzt ein wenig fürchten, habe Angst davor, dass man ihn nun ausfindig machen könnte. Das ist nicht die einzige Panne: Agenturen meldeten übereilig, dass der antisemitisch attackierte Adam Jude sei. Im Nachhinein musste die Nachrichtenagentur dpa diese Fehlinformationen korrigieren. Denn in einem Gespräch mit der Deutschen Welle erwähnte Adam schließlich, dass er in einer arabischen Familie aufgewachsen sei. Aber die Information hatte sich schon lange verbreitet. Ist die Causa Adam womöglich eher ein Paradebeispiel für mediale Sensationsgier als für einen aufkeimenden Antisemitismus in Deutschland? Adam vermutet, dass viele Medien bereits im Vorfeld Geschichten im Kopf hatten. "Ich habe in einigen Interviews erwähnt, dass ich kein Jude bin. Ich wurde aber meistens gar nicht erst gefragt. Sie sind wohl automatisch davon ausgegangen, dass ich Jude sein muss, weil ich ja eine Kippa getragen habe. Anscheinend wollten sie so hören."

Ob nun Jude oder nicht, Adam hat sich an diesem Tag, den er nicht so schnell vergessen wird, mit einer Kippa als Jude erkenntlich gemacht. Das Tragen eines Kleidungsstücks war dafür ausschlaggebend, dass er am hellichten Tag mitten in Berlin vor den Augen vieler Zeugen mit einem Gürtel geschlagen wurde, so als sei es etwas ganz Normales. Die Informationsstelle für Antisemitismus berichtet, dass es in Berlin im vergangenen Jahr zu 947 antisemitischen Vorfällen gekommen ist – Tendenz steigend. Auch Adam ist sich sicher, dass sich Intoleranz und Antisemitismus seit seiner Ankunft vor drei Jahren verschlimmert hätten. Er hofft jedoch, dass sein persönlicher Fall zu einem Umdenken führt, so dass solche unschönen Ereignisse nie wieder vorkommen.