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Politik

Wo die neue CDU-Asylpolitik an Grenzen stößt

Marina Strauß
17. Februar 2019

Merkels Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer setzt auf ein schärferes Asylrecht. Migrationsexperten erklären, warum einige Vorschläge der CDU auf Hindernisse stoßen.

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Flugzeug überfliegt Stacheldraht
Bild: imago/Future Image

Straffällige Asylbewerber sollen leichter ausgewiesen werden können, an den Schengen-Außengrenzen sollen Transitzonen entstehen, "Integrationsverweigerer" sollen weniger Geld bekommen: Vor kurzem hat die konservative CDU gemeinsam mit ihrer bayerischen Schwesterpartei CSU ihre Visionen für eine Migrationspolitik der Zukunft präsentiert.

Die Völkerrechtlerin Anuscheh Farahat, die Asylrechtsexpertin Anna Lübbe und der Migrationsforscher Jochen Oltmer versuchen für uns zu klären, bei welchen Punkten die CDU an rechtliche Grenzen stoßen würde, was ein alter Hut ist und warum anderen EU-Staaten manche Ideen der deutschen Konservativen gehörig missfallen könnten.

1. In der EU soll es nur ein "einmaliges Asylverfahren" geben und keine Möglichkeit, in mehreren Ländern einen Antrag zu stellen.

Die CDU will damit verhindern, dass Flüchtlinge in mehreren Ländern Asyl beantragen. Die "Dublin-III-Verordnung" regelt allerdings längst, dass Asylbewerber in dem Land registriert werden, in dem sie die Europäische Union betreten. Natürlich ist damit die Belastung für Staaten wie Italien, Spanien und Ungarn um einiges größer als für Kerneuropa: "Ein hochgradig ungerechtes System", sagt Jochen Oltmer. "Wenn sich alle daran halten würden, wäre Deutschland in einer günstigen Situation."

In der Praxis funktioniert "Dublin" nicht besonders gut. Weil sich die EU-Staaten nicht darauf einigen können, Flüchtlinge über eine Quote auf die einzelnen Länder zu verteilen, ist eine Reform des bisherigen Systems vorerst gescheitert. Und es sieht derzeit nicht so aus, als ob sich daran etwas ändern würde.

2. Mit "Dublin" hängt auch eine weitere Idee der CDU zusammen. Die Konservativen fordern: Bereits an den Schengen-Grenzen müsse in "Hotspots" und "Transitzentren" geprüft werden, ob ein Asylanspruch vorliege. Wenn nicht, solle die Person dort direkt zurückgewiesen werden.

Mit dieser Forderung wollen die deutschen Konservativen sicherstellen, dass die Menschen, die kein Recht darauf haben, in der EU zu bleiben, diese auch gar nicht erst betreten können. Die CDU bezeichnet ein "starkes und funktionierendes Europa" als "zweiten Schutzmantel" für Deutschland.

"Um das durchzusetzen, müsste man das europäische Recht ändern, weil dann das komplette Asylverfahren in diesen Zentren durchzuführen wäre", sagt Anuscheh Farahat. Und wahrscheinlich würden die Staaten mit EU-Außengrenzen massiven Widerstand leisten. Da Asylverfahren sehr lange dauern können – zum Beispiel, weil es Beweisprobleme gibt – stelle sich auch die Frage, wie lange man die Menschen in diesen "Hotspots" festhalten wolle und auch aus menschenrechtlicher Perspektive festhalten könne. "In der momentanen Lage halte ich das politisch nicht für vorstellbar, ein solches Vorhaben umzusetzen", so Farahat. 

Professor Jochen Oltmer
Jochen Oltmer ist Spezialist für historische Migrationsforschung an der Uni OsnabrückBild: NOZ/ Michael Gründel

"Das alles ist keine neue Diskussion", sagt Oltmer. "Italien hat sich dagegen zum Beispiel schon verwahrt." Die Frage sei auch, wer dann darüber entscheiden sollte, ob jemand Asyl bekommt: nationale Behörden oder eine europäische Behörde, die erst noch aufgebaut werden müsste.

Fraglich wäre laut Oltmer auch, was mit den Menschen passiert, die den Schutzstatus bekommen. Dann käme wieder das große Dilemma der Verteilung ins Spiel, mit Staaten wie Ungarn oder Polen, die überhaupt keine Flüchtlinge aufnehmen wollen.

3. Die CDU will die europäische Grenzschutzagentur Frontex "so zügig wie möglich zu einer operativen Grenzpolizei" ausbauen. Bis 2020 soll die Truppe auf 10.000 Einsatzkräfte anwachsen.

Fakt ist: Die EU-Kommission hat längst vorgeschlagen, Frontex bis zum nächsten Jahr von derzeit 1.500 Beamten auf 10.000 aufzustocken. Die EU-Staaten verhandeln derzeit noch, aber es zeichnet sich ab, dass das Ganze deutlich länger dauern wird. Bisher ist Frontex eine zwischenstaatliche Struktur, die CDU fordert, sie zu einem echten europäischen Grenzschutz mit eigener Handlungsbefugnis auszubauen. 

Frontex werde von den EU-Staaten gerade deswegen akzeptiert, weil es bisher keine "operative Grenzpolizei" sei, sagt Oltmer. Die Aufgabe von Frontex ist es bisher, zu beobachten. Wenn die Beamten nun tatsächlich "operativ" handeln dürften, also zum Beispiel Kontrollen durchführen könnten, würde sie damit auch in die Kompetenzen der nationalen Grenzpolizeien eingreifen, ein Schritt, den viele Länder nicht befürworten würden.

"Operativ" höre sich gut an, sagt Anuscheh Farahat, es komme aber darauf an, was das in der Praxis bedeuten solle. Wenn es am Ende darum gehe, Boote mit potentiellen Flüchtlingen bereits auf hoher See zurückzudrängen, sei dies menschenrechtlich problematisch. Die Forderung nach einer operativen Grenzpolizei sei zwar plakativ, es sei aber völlig unklar, was damit konkret gemeint sei.

4. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sagt: Als "Ultima Ratio" wäre es denkbar, die deutschen Grenzen dichtzumachen, wenn sich eine Situation wie im Sommer 2015 wiederholen würde.

Anna Lübbe, Professorin für Öffentliches Recht
Anna Lübbe ist Professorin für Öffentliches Recht an der Hochschule Fulda

Die CDU will damit verhindern, dass viele Menschen unkontrolliert nach Deutschland einreisen können. Die Sache ist aber: Jemand, der an die deutsche Grenze komme und sagt 'Ich bin schutzbedürftig', den dürfe man nicht ohne Prüfverfahren zurückweisen, sagt Anna Lübbe. "Das sind Werte, die wir nicht aufgeben dürfen", meint sie. "Die Grenze "zuzumachen" sei schon alleine deswegen nicht möglich, weil Deutschland nicht genug Polizeikräfte dafür hätte und auch keine Grenzbefestigungen, so Jochen Oltmer. Und die deutsche Gesellschaft würde sich die Frage stellen müssen: Wie weit will man gehen? Soll es Grenzzäune geben? Soll Gewalt angewandt werden?

5. Straffällig gewordene Asylbewerber sollen leichter ausgewiesen werden. Laut Papier "sofort" ab einer Strafe von 90 Tagessätzen, bei Gewalt gegen Polizisten oder Sexualstraftaten.

Die CDU will mit diesem Vorhaben ein Signal setzen: Wer in Deutschland ein Verbrechen begeht, hat sein Recht verspielt, im Land zu bleiben. 

Die Frage, die sich zuerst stellt, ist, wohin will man denn eigentlich ausweisen? Menschen, die in ihrem Heimatstaat unmenschlich behandelt werden, dürfe man nicht zurückschicken, sagt Anna Lübbe. "Wir dürften selbst einen Folterer nicht abschieben, falls ihm in seiner Heimat Folter drohen sollte." 

Die Genfer Flüchtlingskonvention besagt, dass asylberechtigte Menschen nur dann abgeschoben werden dürfen, wenn sie "aus schwerwiegenden Gründen" eine Gefahr darstellen. Fällt darunter zum Beispiel ein Sexualstrafdelikt? "Bei einem isolierten Sexualdelikt würde ich in der Tendenz sagen, nein", so Anuscheh Farahat, "eine Strafe von 90 Tagessätzen oder Gewalt gegen Polizisten reichen jedenfalls mit Sicherheit nicht aus".

Aus menschenrechtlicher Perspektive sei es nicht akzeptabel, einen kriminellen Asylsuchenden abzuschieben, dem im Heimatland Folter oder eine andere unmenschliche Behandlung drohe, sagen Lübbe und Farahat.

6. Die CDU fordert "wirksame Instrumente", um "Integrationsverweigerern" Leistungen zu kürzen.

Anuscheh Farahat, Völkerrechtlerin
Anuscheh Farahat ist Professorin für Öffentliches Recht, Migrationsrecht und MenschenrechteBild: Maurice Weiß/MPIL

Natürlich könne man Sozialleistungen an bestimmte Mitwirkungspflichten knüpfen, sagt Anuscheh Farahat. "Das gilt für Deutsche und für Zuwanderer." Aber: Jede Leistungskürzung müsse zumindest berücksichtigen, dass das Existenzminimum weiterhin gewährleistet sei. In welchem Umfang hier Kürzungen zulässig seien, habe das Bundesverfassungsgericht noch nicht abschließend entschieden, so Farahat. 

Jochen Oltmer stellt außerdem infrage, inwiefern es sinnvoll ist, überhaupt Leistungen zu kürzen. Damit stelle man Menschen nur noch mehr an den Rand, die dann gar nicht mehr in der Lage seien, in irgendeiner Weise Kontakt mit Deutschen zu knüpfen. Die CDU dagegen sagt, dass sie mit Leistungskürzungen das Prinzip "Fördern und Fordern" umsetzen will.