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Die Chefin

Kay-Alexander Scholz17. Juli 2014

Angela Merkel gilt als internationale Führungsfigur. Diese Macht hat sie sich nach und nach erkämpft, erst im eigenen Land, dann in Europa. Und auch Deutschland ist damit in eine neue Führungsrolle hineingewachsen.

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60. Geburtstag: Am 17. Juli 1954 wurde Angela Merkel in Hamburg geboren (Foto: Reuters)
60. Geburtstag: Am 17. Juli 1954 wurde Angela Merkel in Hamburg geborenBild: Reuters

Angela Merkel, die Anführerin Europas? Noch vor ein paar Jahren schien das in Deutschland nur schwer vorstellbar. Im Gegenteil, in den ersten Jahren ihrer nun schon fast neunjährigen Kanzlerschaft wurde in den Medien noch häufig die Frage gestellt, ob sie als ostdeutsche Frau ohne mächtiges Bundesland im Rücken überhaupt dem Amt gewachsen sei. Der deutsche Hollywood-Regisseur Roland Emmerich dagegen war offenbar schon früh überzeugt von Merkel: In seinem Blockbuster "2012", den er 2008/09 drehte, muss sich die Menschheit in modernen Arche-Noah-Schiffen vor dem Weltuntergang retten. Eines der Schiffe, das für Europa, wird von Merkel angeführt, und sie spricht auf der Kommandobrücke im Namen der anderen Staaten. Das war eine mutige Stelle im Drehbuch. Denn zu diesem Zeitpunkt war noch nicht einmal klar, ob Merkel bei der Bundestagswahl 2009 überhaupt wiedergewählt würde.

Emmerich sollte mit seiner Prognose recht behalten. Merkel wurde zur führenden Politikerin in Europa. Und nicht nur das: Im Mai wurde sie vom US-Magazin "Forbes" zur "mächtigsten Frau der Welt" gekürt, zum vierten Mal in Folge. Auch das New Yorker Magazin "Time" zählt Merkel zu den weltweit einflussreichsten 100 Menschen, schon zum sechsten Mal.

Merkels Versprechen

Aber dieser Erfolg hätte sich nicht eingestellt, wäre Merkel nicht auch national erfolgreich. Und das zeigt sich unter anderem in dem seit Jahren hohen Ansehen in der Bevölkerung. Sie führt noch immer die Beliebtheitsskala deutscher Politiker des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" an.

Junge Menschen, bei Weitem nicht ausschließlich Wähler oder Mitglieder ihrer Partei, der CDU, bezeichnen die nun 60-Jährige als Vorbild. Fragt man, warum das so ist, heißt die Antwort oft, Merkel sei so authentisch, sie habe sich trotz ihrer Machtfülle nicht wesentlich verändert. Sie ist, wie sie ist, manchmal etwas schmallippig oder spröde, eher wenig emotional und immer an der Sache orientiert, kein Show-Typ also. Auch äußerlich strahlt sie über die Jahre Stabilität aus: Kleidung und Frisur hat sie als Kanzlerin immer nur vorsichtig verändert. Sie hat sich den Deutschen als verlässliche Lotsin durch die Krisenjahre nach 2008 angeboten. Dazu passte ihre zentrale Botschaft: Deutschland solle es nach der Krise besser gehen als vorher.

Angela Merkel und Helmut Kohl auf dem CDU-Parteitag am 16.12.1991 (Foto: Michael Jung)
Von Helmut Kohls "Mädchen" zu Europas mächtigster PolitikerinBild: picture-alliance/dpa

Der Plan ist aufgegangen, die Arbeitslosenzahlen sind niedrig, das Wirtschaftswachstum ist gut. Und Merkel regiert nun schon in ihrer dritten Amtsperiode als Bundeskanzlerin das Land. Die CDU führt sie unangefochten an, nachdem sie sich die Partei im Laufe der Jahre auf ihre Person zugeschnitten hat. Bei der Frage, wer ihr einmal nachfolgen könnte, schaudert es deshalb manchen, weil es keinen offensichtlichen Nachfolger gibt. Zwar gilt Ursula von der Leyen als mögliche Nachfolgerin, aber sie ist in ihrer eigenen Partei nicht unumstritten. Deutschland mit Angela Merkel an der Spitze ist für viele so etwas wie der Normalzustand geworden. Jeder Vierte möchte sie auch noch in zehn Jahren als Kanzlerin haben, ergab eine aktuelle Forsa-Umfrage.

Vom Sorgenkind zum Musterschüler

Schritt für Schritt vergrößerte die studierte Physikerin ihre Macht. Als in Deutschland das Gröbste der Krise überstanden und ihre Position gefestigt waren, stieg Merkel auf die europäische Bühne. Sie modifizierte ihre Krisen-Botschaft und sagte nun, dass es nicht nur Deutschland, sondern Europa insgesamt nach der Krise besser gehen solle als zuvor. Damit machte sie ihren Führungsanspruch deutlich und zielte auf eine Lücke innerhalb der EU ab. Dort nämlich fehlte es an Politikern, die die Zügel in die Hand nehmen wollten oder konnten.

Sie musste auf diesem Weg auch Rückschläge einstecken. Doch ähnlich wie in Deutschland verschwanden mit der Zeit - aus unterschiedlichen Gründen - ihre offenen Gegenspieler. Mit dem wirtschaftlich wieder erstarkenden Deutschland im Rücken gewann Merkels Stimme in Europa an Gewicht. Wobei die Stimme Deutschlands als größtem EU-Zahler natürlich sowieso schon viel zählt. Aber im Zuge der Krise vergrößerte sich der Abstand der größten Wirtschaftsmacht in Europa zu den anderen Volkswirtschaften noch einmal. Deutschland wurde - zur Jahrtausendwende noch als "Sorgenkind" bezeichnet - zum europäischen Musterschüler.

Angela Merkel beim Euro-Krisengipfel in Brüssel 2011. Foto: Virginie Nguyen Hoang/Wostok Press/Maxppp
Nur noch kurz die Welt retten: Merkel beim Euro-Krisengipfel 2011 in BrüsselBild: picture-alliance/dpa

Und als finanzstarker Musterschüler kann man lauter als andere sagen, wo es lang gehen soll. Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble taten dies entlang der Maxime, dass europäische Hilfsmilliarden für Krisenländer nur unter Reform-Auflagen fließen dürften. Hillary Clinton sagte jüngst dazu, Merkel habe Europa als Anführerin erfolgreich durch die Finanz- und Schuldenkrise geführt. So sehen es viele in der Welt.

Neue Verantwortung

Deutschland schreitet mit großen Schritten auf einen Haushalt ohne neue Schulden zu. Die Eurokrise dämmert vor sich hin. Und nun? Auf zu neuen Ufern! Im Zuge der Ukraine-Krise und durch den NSA-Skandal sowie die jüngste Spähaffäre hat Deutschland auf der internationalen Bühne eine gewichtigere Rolle eingenommen.

Merkel hat - zusammen mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier - zwischen Moskau, Kiew, Berlin, Brüssel und Washington vermittelt, und damit ähnlich wie in der Eurokrise die Führung übernommen.

Als einziges Land untersucht Deutschland nach den Enthüllungen des US-Whistleblowers Edward Snowden in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Folgen der Massenüberwachung durch Geheimdienste. Zuletzt hat die Bundesregierung sogar den obersten US-Geheimdienst-Repräsentanten zum Verlassen des Landes aufgefordert. Hier agiert Merkel auf einem schmalen Grat: Sie will die Amerikaner für deutsche Belange sensibilisieren, ohne dabei das gute transatlantische Verhältnis zu gefährden.

Merkel hat trotz der Ukraine-Krise einen engen Draht zu Putin, hier beim gemeinsamen Fußball-Gucken im Stadion (Foto: AFP)
Merkel hat trotz der Ukraine-Krise einen engen Draht zu Putin, hier beim gemeinsamen Fußball-Gucken im StadionBild: AFP/Getty Images

Ukraine und NSA, mit diesen beiden Konfliktfeldern findet sich Deutschland in seiner klassischen Rolle als geografische Zentralmacht Europas wieder - und muss an beiden politischen Flanken vermitteln.

Ein neuer Fall für Merkel?

Im Berliner Regierungsviertel kursiert seit einiger Zeit das Gerücht, Merkel wolle vor Ende ihrer Amtszeit - also 2017 - den Job wechseln. Als eine Option wird der Posten der UN-Generalsekretärin genannt. Merkel dementierte. Öffentlich redet man natürlich aus machtpolitischen und strategischen Gründen nicht über solche Pläne. Doch vorstellbar wäre es. Es heißt, der Posten soll mit einem Europäer besetzt werden; und die UN wartet sehnsüchtig auf einen Chef, der nötige Reformen angehen könnte.

Welche politischen oder auch persönlichen Pläne sie für ihr nun siebtes Lebensjahrzehnt hat, darüber schweigt Merkel - noch. Vielleicht gibt Roland Emmerichs neuestes Filmprojekt eine Antwort, die Fortsetzung des Alien-Katastrophenfilms "Independence Day". Darin geht es dann nicht mehr nur um nationale, europäische oder internationale, sondern sogar um intergalaktische Probleme.