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Wald ist mehr als viele Bäume

31. Januar 2011

2011 ist das Jahr des Waldes. Und die Deutschen haben eine ganz besondere Beziehung zum Wald. Sie sehnen sich nach ihm, fürchten sich und haben allerlei Schindluder mit seinem Mythos getrieben. Wir analysieren...

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Urwaldrest, Sengsengebirge Foto: DW
Bild: picture-alliance / chromorange

Elf Millionen Hektar Wald gibt es in Deutschland, das ist rund ein Drittel der Fläche der Bundesrepublik. Wald ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, ein komplexes Ökosystem, ein beliebtes Freizeitziel und ein Ort der Sehnsucht. Allein damit lässt sich die Bedeutung des Waldes aber nicht erfassen. Um ihn ranken sich Mythen, Sagen und Legenden, der Wald gehört zum Kulturerbe und ist ein Stück deutsche Identität – vor allem im 20. Jahrhundert.

1955 kam "Der Förster vom Silberwald" in die deutschen Kinos und wurde zu einem der größten deutschen Leinwanderfolge. Zahlreiche andere Heimatfilme folgten, die den Wald als romantische Kulisse nutzten: "Die Försterchristel", "Ein Posthaus im Schwarzwald" und andere. Auch deutsche Volkslieder und Schlager zehrten lange und reichlich vom Wald-Sujet.

Vor 200 Jahren wurde er gefürchtet

Wanderer im Vessertal bei Suhl. (Foto: dpa)
Wald als FreizeitortBild: picture-alliance / ZB

Ob Kitschkulisse oder Gegenstand ehrfürchtiger Hymnen, der Wald ist der Inbegriff von purer Natur und Ursprünglichkeit. Das Gegenteil von Hektik und künstlichem Leben, das vor allem modernen Großstädten zugeschrieben wird. Das ist allerdings ein relativ junges Verständnis vom Wald, historisch betrachtet. Denn noch vor 200 Jahren hatte der Wald ein ausgesprochenes Negativ-Image. Es war ein unheimlicher Ort, gefürchtet und unbeliebt, betont der emeritierte Volkskunde-Professor Albrecht Lehmann, der das Verhältnis der Deutschen zum Wald jahrzehntelang erforscht hat.

Lange habe sich der Volksglaube gehalten, dass im Wald Geister und Hexen lebten. Räuber musste man ohnehin fürchten. Außerdem wurde dem Wald ein ungesundes Klima zugeschrieben, auch in wissenschaftlichen Schriften. Die Luft galt als neblig, dick und feucht, in jedem Falle aber als schädlich für den menschlichen Organismus. Hinzu kamen die Geister, die Krankheit und Tod brachten.

Freundliche Übernahme

Vor allem am Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Beginn der Romantik änderte sich dieses Bild des Waldes dann grundlegend. Der Sprachwissenschaftler Jakob Grimm fand die Schriften des römischen Historikers Tacitus, die "Germania" und nahm so etwas wie eine identitätsstiftende Vereinnahmung vor. Tacitus' Schriften entnahm Grimm, dass der Wald der Ursprungsort der deutschen Kultur sei. Wichtig ist hierbei, dass es zum Grundverständnis der Romantik gehörte, aus Märchen, Sagen und Volkserzählungen die Kultur eines Volkes herauslesen zu können. Auf diese Weise wurde eine Vergangenheit konstruiert und der Wald zum Ort des germanischen Ursprungs erklärt.

Fiktion formt Wirklichkeit

Wald mit Sonnenstrahlen Quelle: http://www.flickr.com/photos/d-reichardt/1292470165/sizes/l/in/photostream
Sinnbild purer NaturBild: cc-by-nc-nd-D. Reichardt

Zahlreiche Schriftsteller und Dichter halfen mit bei der Konstruktion, dass das Schöne und Wahre im Wald zu finden sei. Einer von ihnen war Adalbert Stifter. Seine Erzählung "Hochwald" erschien 1841 und wurde zu einem Bestseller des 19. Jahrhunderts. In der Beschreibung des Waldes haben die Romantiker "eine Art Kunstgriff gemacht" beschreibt Professor Lehman die damals zunehmende Naturverherrlichung. Dadurch konnten sich viele beim Anblick mächtiger Bäume und rauschender Blätter im Wind wie Germanen fühlen. Eine Art deutscher Identitätsstiftung. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, war diese Vorstellung längst Teil der geistigen Kultur. Auch wenn die Germanistenbrüder Grimm und andere Romantiker ausgesprochen unpolitisch waren, vereinnahmen ließen sie sich bestens.

Der Wunsch nach Überlegenheit

Das zeitgenössische Porträt zeigt den deutschen Kulturhistoriker und Schriftsteller Wilhelm Heinrich Riehl (1823-1897). (Foto: DW)
Der Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl (1823-1897)Bild: picture-alliance / dpa

Doch erst durch politische Ideologen und vor allem durch die Nazis wurde dann die Liebe zum Wald etwas speziell Deutsches. Der 1823 geborene Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl lieferte die Theorie dazu. Er hatte die urwüchsigen, naturverbundenen Wald-Germanen den zivilisierten Engländern und Franzosen gegenübergestellt. Die besaßen nicht soviel Flächen mit Bäumen. Deshalb war der Deutsche Wald etwas Besonderes und mit ihm die Deutschen. Banal, aber wirksam. Der Wunsch nach einer deutschen Identität und Überlegenheit ließ den Glauben wachsen.

Umweltbewusstsein und Romantik

Toter Wald (Foto: DW)
Kranke Bäume gibt es, aber der Wald lebt weiter.Bild: picture-alliance / united-archives / mcphoto

Deutschland überstand den Nationalsozialismus, der Wald als Ort von Sehnsucht und Identifikation blieb. Jahrzehnte später, nach der großen Ära der Heimatfilme, in der die Wälder schon von Sportlern entdeckt waren, kam zur Liebe die Furcht, die Furcht vor dem Waldsterben. In den Beschreibungen des Waldsterbens griffen die engagierten Umweltschützer auf die romantische Bilderwelt zurück. Der Wald als Ort der Ruhe und Erholung, als Sinnbild von Schönheit und Natur schien bedroht. Erste Berichte und Bilder über die Wirkung des "sauren Regens" wurden unkritisch in anderen Artikeln übernommen.

Inzwischen sind die Biologen und Forstwissenschaftler davon überzeugt, dass der Wald keineswegs in einem so morbiden Zustand war, wie es die dramatische Berichterstattung damals verkündete. Aber das wollte Anfang der 80er Jahre niemand hören. So wurde der Wald abermals Projektionsfläche eines Mythos'. Das Thema "saurer Regen" ist inzwischen Geschichte, vom sterbenden Wald spricht niemand mehr, ein Sehnsuchtsort ist der Wald aber geblieben, für Naturpuristen, Sportler und Romantiker.

Autor: Günther Birkenstock

Redaktion: Petra Lambeck