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EM boykottieren oder nicht?

Anne Allmeling29. April 2012

Die Haftbedingungen der ukrainischen Politikerin Julia Timoschenko sorgen für Empörung. Sechs Wochen vor der Fußball-EM hat der Fall eine Debatte um die Spiele in der Ukraine entfacht.

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Ein Foto der ehemaligen ukrainischen Ministerpäsidentin Julia Timoschenko (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Viktor Janukowitsch bekommt zurzeit viel Aufmerksamkeit. Mehr, als dem Präsidenten der Ukraine lieb sein dürfte. Denn während sich sein Land auf die Fußball-Europameisterschaft (EM) vorbereitet, wächst die Kritik an seiner Politik.

In Deutschland werden Sanktionsforderungen laut. Einige wollen gar nach neuen Austragungsorten für die Fußball-Europameisterschaft Ausschau halten. Zum Beispiel Sachsen-Anhalts Innen- und Sportminister Holger Stahlknecht (CDU). "Wir sollten so einem Staat nicht die Plattform bieten, seine Missstände zu überdecken", sagte er der Mitteldeutschen Zeitung. Auch die parlamentarische Staatssekretärin im Entwicklungsministerium, Gudrun Kopp, plädiert für eine Verlegung der EM. Man solle prüfen, ob alle Spiele in Polen oder in Polen und einem anderen Land ausgetragen werden könnten, sagte die FDP-Politikerin dem Westfalenblatt.

Empörung über "Rachejustiz"

Treffen 2007 in Berlin: Angela Merkel und Viktor Janukowitsch (Foto: DPA)
Treffen 2007 in Berlin: Angela Merkel und Viktor JanukowitschBild: picture-alliance/dpa

Hintergrund ist der Fall Julia Timoschenko. Die ukrainische Oppositionspolitikerin und ehemalige Ministerpräsidentin des Landes befindet sich im Hungerstreik - und das schon seit über einer Woche. Damit will die Anführerin der Orangenen Revolution auf die menschenunwürdigen Haftbedingungen aufmerksam machen. Seit dem vergangenen Jahr sitzt die Politikerin im Gefängnis - zu Unrecht, davon sind viele Beobachter überzeugt. Timoschenko war in einem international umstrittenen Prozess zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Sie gilt als Opfer "politischer Rachejustiz" im Auftrag von Präsident Viktor Janukowitsch.

Führende deutsche Politiker betrachten die Entwicklungen in der Ukraine mit Sorge. Zuerst hatte sich der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel von der Bild am Sonntag mit den Worten zitieren lassen: "Im Zweifelsfall sollte man da nicht hinfahren. Politiker müssen aufpassen, nicht zu den Claqueuren des Regimes zu werden." Nun hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geäußert, einen politischen Boykott der Fußball-EM zu erwägen: Sollte Julia Timoschenko bis zum Beginn des Turniers nicht freigelassen worden sein, will sie nach Informationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel ihren Ministern empfehlen, den Spielen fernzubleiben.

Druck ausüben - aber wie?

DOSB-Generaldirektor Michael Vesper (Foto: DPA)
DOSB-Generaldirektor Michael Vesper ist gegen jede Form des BoykottsBild: dapd

Eine Überlegung, die den Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper, nicht überzeugt. "Ich finde es besser, wenn man hinfährt, Termine mit Oppositionellen macht und Frau Timoschenko besucht", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Ich glaube, dass das für die Machthaber unangenehmer ist, als wenn man einfach nur wegbleibt."

Man dürfe allerdings nicht so tun, so Vesper, als habe die Europameisterschaft nichts mit der politischen Lage im Land zu tun. Von der UEFA, dem Veranstalter der Europameisterschaft, fordert der DOSB-Generaldirektor, sich klar von den Menschrechtsverletzungen durch das ukrainische Regime zu distanzieren. "Das Scheinwerferlicht sollte man nutzen, um auf die Zustände aufmerksam zu machen und größtmöglichen Druck auf das Regime zu entfalten."

Die Bundesregierung hat bereits in der vergangenen Woche deutliche Worte an die ukrainische Führung gerichtet: Die erkrankte Timoschenko müsse die nötige medizinische Behandlung erhalten. Deutschland hat der 51 Jahre alten Politikerin eine Behandlung durch Spezialisten des Berliner Krankenhauses Charité angeboten, die sie bereits in der Ukraine untersucht hatten. Berichten zufolge ist Timoschenko während ihrer Inhaftierung misshandelt worden.

Schroffe Reaktion aus Kiew

Auf den Vorschlag, Julia Timoschenko nach Deutschland zu transportieren, reagierte die ukrainische Partei der Regionen mit schroffen Worten: Merkels Äußerungen seien eine "ungenierte Einmischung in die inneren Angelegenheiten" der Ukraine, heißt es in einer am Sonntag (29.04.2012) in Kiew veröffentlichten Erklärung. Janukowitschs Parteifreund Wassili Kisseljow fügte hinzu: Die Kanzlerin habe offenbar für einen Moment "vergessen", dass sie die Bundesrepublik und nicht die Ukraine regiere. Sie fordere "etwas faktisch Unmögliches" von der ukrainischen Führung.

"Unsere Gesetzgebung sieht eine Behandlung von Gefangenen im Ausland nicht vor", so Kisseljow. Er sei nur unter einer Bedingung bereit, einer Gesetzesänderung zuzustimmen: "Wenn Frau Merkel auch die anderen 150 Frauen aus dem Katschanowka-Gefängnis in ihre Obhut nimmt, die die gleichen Probleme haben wie Julia Timoschenko, und sie zur Behandlung in der Charité unterbringt."

Anhänger von Julia Timoschenko demonstrieren in Kharkiw (Foto: DW)
Anhänger von Julia Timoschenko demonstrieren in KharkiwBild: DW

Tatsächlich ist der Fall Timoschenko nur ein Beispiel für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine. In den vergangenen Wochen und Monaten häuften sich die Berichte über Vergehen der Regimes in Kiew.

Timoschenkos Tochter Jewgenija forderte die Bundesregierung unterdessen auf, das Leben ihrer Mutter zu retten. "Das Schicksal meiner Mutter und meines Landes sind jetzt eins", sagte Jewgenija Timoschenko der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. "Wenn sie stirbt, stirbt auch die Demokratie."