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In der Sackgasse

2. September 2009

Europa braucht dringend einen Diskurs über die Frage, wie sich die Lebensverhältnisse in den Grenzländern über zwei, drei Generationen annähern lassen. Damit nicht alle nördlich des Mittelmeers wohnen wollen.

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Themenbild Kommentar
Bild: DW

In der virtuellen Welt der politischen Absichtserklärungen hören sich formelhafte Beschwörungen, man müsse die Lebenssituation in den Herkunftsländern der Flüchtlinge verbessern, sehr gut und logisch an. Fast in jeder Debatte im Europäischen Parlament oder Pressekonferenz der EU-Innenminister zum Thema Flüchtlinge sind sie zu hören. Seit Jahren die gleich Leier, nur in der realen Welt ist davon nicht viel zu spüren.

Tödliche Abschottung

Die Lebensverhältnisse in afrikanischen Herkunftsländern, aber auch in Afghanistan, in Pakistan oder im Irak sind immer noch so, dass zehntausende Menschen jedes Jahr aufbrechen, um das vermeintlich goldene Europa zu erreichen. Da der Einwanderungsdruck eher noch zunehmen wird, sind die EU-Staaten am Mittelmeer dazu übergegangen, ihre Grenzsicherung zu verstärken, um illegale Einwanderung durch Abschreckung, Abdrängen und Abschieben zu bekämpfen. Wie viele tausend Menschen diesen härteren Kurs jährlich mit dem Leben bezahlen ist nur schwer zu schätzen.

Spanien, das vor einigen Jahren noch Hunderttausende von illegalen Einwanderern pro Jahr zählte, igelt sich ein. Die Meerenge zwischen Marokko und Spanien wurde durch elektronische Überwachung des Schiffsverkehrs unter Kontrolle gestellt. Zu den Exklaven Ceuta und Melilla wurden Grenzzäune errichtet. Von den Kanarischen Inseln wird rigoroser in die Herkunftsländer abgeschoben.

Flüchtlinge suchen neue Wege

Das Problem wird dadurch nicht gelöst, sondern verlagert. Die Flüchtlinge und die kriminellen Schlepperbanden suchen neue Wege. Im Moment starten viele Auswanderer von Libyen aus gen Italien. Doch seit Libyen und Italien ein Abschiebeabkommen vereinbart haben und gemeinsam Patrouille auf dem Mittelmeer fahren, wird auch diese Route immer riskanter.

Italien hat seine Gesetze gegen illegale Migration verschärft. Die Zustände in italienischen Asylbewerber- und Abschiebelagern werden nicht nur von Hilfsorganisationen, sondern auch von der UN-Behörde für Flüchtlinge, dem UNHCR, kritisiert. Das gilt auf für Griechenland, in das über die Türkei Tausende auch auf dem Landweg einwandern. Die Einwanderung über die Grenzen Polens, Ungarns und der Slowakei ist stark rückläufig, weil die Grenzüberwachung verschärft wurde. Dieser Strom wurde nach Griechenland und auf den Balkan umgelenkt.

Definitionsfragen und Kompetenzprobleme

Eine Festung ist Europa deshalb aber immer noch nicht, denn jedes Jahr wandern ein bis zwei Millionen Menschen legal in die Europäische Union ein. Nur 240.000 stellen im Vergleich dazu einen Asylantrag. Die EU-Kommission in Brüssel ist seit Jahren bemüht, einheitliche Definitionen für "Flüchtlinge" und ein einheitliches Asylverfahren durchzusetzen - bislang vergeblich.

Die Mitgliedsstaaten, die für Migrationsfragen alleine zuständig sind, geben keine Kompetenzen an die Zentrale in Brüssel ab. Die südlichen Länder verlangen Quotenregelungen, die Verteilung der Flüchtlinge auf alle EU-Staaten. Die nördlichen Staaten, vor allem Deutschland und Österreich, mauern. Sie beharren darauf, dass Italien und Spanien mit dem Problem selber fertig werden könnten.

An der mangelnden politischen Bereitschaft, sich gegenseitig zu helfen, scheitern bislang alle Ansätze, die Migration neu zu regeln. Seit Jahren wird dieses Spiel gespielt und daran wird sich auch in Zukunft wohl wenig ändern. Auch der neue Lissabonner Vertrag belässt die Flüchtlingspolitik in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten.

20 Millionen fehlen

Die Lösung ist sicher nicht, die Grenzen zu öffnen und jeden Migranten aufzunehmen. Das wäre den meisten alteingesessenen Europäern wohl kaum zu vermitteln. Nötig ist eine größere legale Einwanderung. Wegen der Überalterung der europäischen Gesellschaften braucht Europa junge Einwanderer, insgesamt etwa 20 Millionen bis zum Jahr 2030.

Nur auf die Regeln und Kriterien, wie diese legalen Einwanderer ausgesucht und verteilt werden sollen, können sich die EU-Innenminister auch nicht einigen. Sie bewegen sich seit Jahren nicht vor und nicht zurück. Die EU-Einwanderungspolitik steckt in einer politischen Sackgasse.

Autor: Bernd Riegert, Brüssel

Redaktion: Kay-Alexander Scholz