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„Die EU hat noch erhebliche Erwartungen an Bulgarien“

17. März 2005

Im April fällt die Entscheidung über den EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens. SPD-Fraktionsvize Gernot Erler spricht im Interview mit DW-RADIO über notwendige Reformen, Beitrittsmüdigkeit und zu große Hoffnungen.

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SPD-Außenpolitiker Erler: Es herrscht eine kritische Stimmung gegenüber den BeitrittskandidatenBild: dpa

DW-RADIO/Bulgarisch: Wie sehen Sie die Rahmenbedingungen für die EU-Integration Bulgariens?

Gernot Erler: Vor Bulgarien stehen jetzt zwei wichtige Schritte: Das ist die Beschlussfassung des Europäischen Parlaments am 13. April über die Beitrittsverträge von Rumänien und Bulgarien und die Unterzeichnung der Verträge am 25. April in Brüssel im Rahmen des allgemeinen Rates. Dann sieht es so aus, als sei ein 10-jähriger Prozess, der 1995 mit dem Antrag auf Beitritt begonnen ist, zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. Aber Bulgarien steht noch eine Zeit von 21 Monaten bevor, in der die EU noch erhebliche Erwartungen an Bulgarien hat, was die Erfüllung von Voraussetzungen für den Beitritt betrifft. Wir werden auch noch ein ziemlich strenges Regime von Kontrollen haben, so dass man also feiern kann, aber auch noch arbeiten muss.

In der EU ist eine veränderte Stimmung angesichts der Aufnahme neuer Mitglieder festzustellen. Woran liegt das?

Wir haben nicht etwa aus einer negativen Beobachtung gegenüber dem Ergebnis der ersten großen Erweiterung vom 1. Mai 2004 eine veränderte Stimmung, sondern eher durch Irritationen, die gekommen sind aus den Kandidatenländern - z.B. dass Rumänien kurz nach dem Regierungswechsel jetzt vorübergehend sogar die Kapitel wieder aufschnüren wollte, und dass man eben eine gewisse Zurückhaltung beobachtet bei der raschen Umsetzung der Aufgaben, die noch zu bestehen sind oder etwa – ein wirklich dramatischer Vorgang - dass die angekündigte Aufnahme von Verhandlungen mit Kroatien, die für den 17. März vorgesehen war, jetzt verschoben wird, weil hier eine unzureichende Zusammenarbeit mit dem internationalen Jugoslawien-Tribunal beobachtet worden ist: Das sind Einzelfakten, die zu einer veränderten und kritischen Stimmung gegenüber den Beitrittskandidaten geführt haben und die sicherlich beitragen wird, dass der Druck die restlichen Aufgaben noch aktiv wahrzunehmen, sicher wachsen wird.

Was muss die bulgarische Politik berücksichtigenvor allem im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen?

Bulgarien steht insofern in einer schwierigen Situation, dass jetzt, mitten in der Phase, wo nur noch wenig Zeit bleibt, um die Restauflagen der EU zu erfüllen, ein Wahlkampf fällt, mit Wahlen am 25. Juni. Und natürlich sind Wahlkampfzeiten auch Zeiten, wie die Aufmerksamkeit woanders liegt als jetzt bei der Transformation. Das Problem ist, dass es durchaus zu einem Regierungswechsel kommen kann. Erfahrungsgemäß tritt dann in der Regel nach den Wahlen erst einmal so etwas wie eine Agonie ein, also eine längere Pause von politischer Handlungsunfähigkeit. In der Vergangenheit war es in Bulgarien außerdem üblich, auch in größerem Unfang als etwa in anderen Ländern der EU dann einen personellen Austausch vorzunehmen. Das ist natürlich ein Risiko, weil wir uns eine längere Pause überhaupt nicht leisten können, was die Umsetzung der Restaufgaben angeht.

Welche Auswirkungen könnte eine solche Verzögerung des Reformprozesses haben?

Ich erinnere daran, es gibt da ein Sicherheitsventil im ganzen Prozess: Die EU-Länder können, wenn sie es einstimmig machen, auch den Beitrittstermin für Bulgarien – und niemand wünscht sich das – um ein Jahr verschieben. Eben dann wenn der Eindruck entsteht, dass diese noch ausstehenden Aufgaben nickt korrekt und seriös wahrgenommen werden. Das ist ein gewisses Risiko im Zusammenhang mit dem Wahlkampf und mit dem Wahltermin. Aber ich hoffe, das dieses Verantwortungsbewusstsein in der politischen Klasse Bulgariens da ist, auch in der Spitze der jetzigen Regierung und in den Oppositionsparteien - das muss man ausdrücklich sagen – dass es eben hier nicht zu einer Diskontinuität, zu einem Bruch kommt, so dass nachher die wertvollsten Erfahrungen nicht genutzt werden können, um diese Reststrecke noch positiv zu bewältigen.

In Bulgarien wird oft die Meinung vertreten, dass kurzfristig nach dem Beitritt ein bedeutender wirtschaftlicher Aufschwung zu erwarten ist. Ist diese Erwartung Ihrer Meinung nach begründet?

Ich glaube, dass die Frage wie erfolgreich der Beitritt für Bulgarien sein wird, ganz entscheidend von den nächsten Monaten abhängt, weil die Sichtweise, dass es nur formale Auflagen gibt und formale Voraussetzungen zu erfüllen sind, falsch ist. Es geht letzten Endes darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Bulgarien konkurrenzfähig ist dann in einem Europa von 26 anderen Ländern. Und das ist immer noch für Bulgarien eine große Herausforderung. Deswegen macht es Sinn, so viel wie möglich jetzt noch zu erreichen, was die Rahmenbedingungen angeht, weil dann die Gefahr, dass es zu einer Enttäuschung kommt, umso geringer sein wird.

Es gibt keine automatische Prosperität durch den Beitrittsprozess. Das muss man sich erarbeiten, das ist keine Automatik und das ist überhaupt kein Grund, die Hände in den Schoss zu legen und darauf zu hoffen, dass die EU irgendein Segen bringt. Man muss sich behaupten, man muss konkurrenzfähig sein auf den Gebieten, auf denen man sein kann. Nur dann kommt auch die Prosperität. Die meisten Bulgarien wissen das. Und trotzdem muss man immer wieder für diesen Gedanken werben.

Das Interview führte Roumiana Taslakowa

DW-RADIO/Bulgarisch, 17.3. 2005, Fokus Ost-Südost