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Die Feierabend-Bauern kommen

20. September 2010

Großstadtmenschen in Deutschland prägen einen neuen Trend: Sie fahren aufs Land, bewirtschaften ein Stück Acker, das ihnen eigentlich nicht gehört, und erfreuen sich an gemeinschaftlich erzeugtem Gemüse.

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Lisa Tambornino und Pascal Kohse auf ihrem Feld (Foto: DW)
125 Euro für 50 Quadratmeter pro SaisonBild: DW/Gillert

Es ist halb sechs Uhr abends in Köln, die S-Bahn ist voll, viele sind auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. Pascal Kohse und Lisa Tambornino nicht - sie fahren stattdessen auf ein Feld am Kölner Stadtrand. "Nächste Station: Köln-Weiden." Hier steigen die beiden aus der Bahn, gehen die Hauptstraße entlang und biegen in einen Feldweg ein. Vor ihnen liegt ein Feld mit Blumen, grünen Sträuchern, Büschen und Stauden.

Gießkannen am Rande des Pachtackers (Foto: DW)
Gießen ist wichtig!Bild: DW/Gillert

In einem Schuppen am Feldrand rüsten sich die beiden Großstädter mit Gießkannen und einer Mistgabel aus. Dann geht es mitten auf das Feld - vorbei an kleinen Schildern mit Namen wie "Gemüsesatt" und "Vielfraß". Vor dem Schild "Juli" bleibt Lisa Tambornino stehen: "Hier ist unser Feld", sagt sie stolz. Das Gemüse auf der 100 Quadratmeter großen Parzelle hinter dem Schild gehört der Doktorandin und dem Student zusammen mit acht Freunden.

Bepflanzt wurde das Stück Acker von den Landwirten Evgeny und Katrin Ivanov, doch pflegen und ernten müssen die Hobby-Bauern es selber. Zucchini, Gurken, Kürbisse, Kräuter und mehr sind hier zu finden. "Jetzt sind die Kartoffeln reif", erklärt Lisa Tambornino.

Idee stammt aus Österreich

Seit fünf Jahren vergeben die Bio-Bauern Ivanov unter dem Namen "Gartenglück" kleine Ackerparzellen zur Pflege und Ernte. 125 Euro kostet die 50 Quadratmeter große Parzelle pro Saison. Auch in anderen Städten, wie Essen und Berlin, bieten Landwirte das an. Während ihres Studiums haben Katrin und Evgeny Ivanov zum ersten Mal von der Gemüse-Selbst-Ernte gehört: "Die Idee kommt ursprünglich aus Österreich und entstand dort kurz nach der Tschernobyl-Katastrophe." Viele Menschen wollten danach ganz genau wissen, wo ihr Gemüse angepflanzt wird.

Auch Pascal Kohse weiß das zu schätzen: "Man hat das Gemüse die ganze Saison über betreut und wir wissen: Viel Schädliches kommt hier nicht ran." Die Möglichkeit, in einem Garten oder auf dem Balkon Gemüse anzupflanzen, hat er nicht. Und einen Schrebergarten nur für Gemüse zu mieten, lohne sich nicht.

Acker-Verpächter Evgeny Ivanov steht auf seinem bunten Acker (Foto: DW)
Acker-Verpächter Evgeny Ivanov freut sich über immer mehr Feierabend-BauernBild: DW/Gillert

Natur liegt im Trend

Für viele Hobby-Bauern geht es aber nicht nur um frisches Gemüse, sie genießen es auch, aus der Großstadt rauszukommen, erzählt Evgeny Ivanov. Die Nachfrage nach den kleinen Ackerstücken ist so groß, dass Familie Ivanov für das Frühjahr 2011 noch einen weiteren Acker gepachtet hat. Ganz verschiedene Menschen kümmern sich bei ihnen um das Gemüse - Studenten, junge Familien mit kleinen Kindern oder auch Rentner.

Viele von ihnen haben nur wenig Garten-Erfahrung. Auch für Lisa Tambornino und Pascal Kohse war es anfangs schwer, alle Pflanzen zu identifizieren. Damit niemand Kartoffelpflanzen mit Unkraut verwechselt, haben die Ivanovs einen kleinen Lehrgarten angelegt. Dort trägt jede Pflanze ein Namensschild.

Belohnung für viel Arbeit

Beim Gießen, Unkrautzupfen und Ernten wechseln sich Lisa und Pascal mit ihren Freunden ab. Ihre Arbeit zeige große Wirkung. Die Spinaternte zum Beispiel sei so reichlich gewesen, dass alle zehn Ackernutzer auch ihre Gefrierschränke füllen konnten, erzählen beide voller Stolz. Manchmal auch würden sie alle zusammen direkt nach der Ernte ein leckeres Abendessen kochen.

Falls das Gemüse mal nicht so wächst, wie es soll, wissen die Ivanovs in Sprechstunden einen Rat. Auch Lisa Tambornino hat der Acker schon vor Herausforderungen gestellt, denen man in der Großstadt sonst nicht begegnet. "Plötzlich gab es so gelbe Käfer, die hatte ich vorher noch nie gesehen - Kartoffelkäfer. Die haben wir mühevoll einsammeln müssen." Zum Glück hätten sich die Kartoffeln von ihrem Insektenangriff dann wieder erholt und so gab es für alle eine schmackhafte Belohnung.

Autorin: Sonja Gillert
Redaktion: Kay-Alexander Scholz