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Die Freiheitsliebe der Deutschen

Gaby Reucher2. Januar 2016

Die Freiheit der Kunst ist den Deutschen wichtig. So wichtig, dass sie sogar per Gesetz geschützt wird. Doch auch in unserer Demokratie hat die Kunstfreiheit Grenzen. Gesetzliche und moralische.

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Bei einem Trauermarsch am 11. Januar 2015 in Paris hält ein Demonstrant einen überdimensionalen Zeichenstift in den Himmel (Foto: Reuters/Gaillard )
Bild: Reuters/Gaillard

Am 10. Mai 1933 verbrannten Studenten in ganz Deutschland die Bücher namhafter Literaten, Philosophen und Wissenschaftler. Es war der Höhepunkt der sogenannten "Aktion wider den undeutschen Geist" nach Hitlers Machtübernahme. Bücher jüdischer oder politisch unliebsamer Autoren fielen den Flammen zum Opfer. Joseph Goebbels überwachte als "Reichspropagandaminister" das gesamte deutsche Kunst- und Kulturleben. Rund 16.000 Kunstwerke konfiszierten die Nationalsozialisten als sogenannte "entartete" Kunst.

Das Recht auf Kunstfreiheit

Passanten stehen in Berlin auf dem Bebelplatz um das Denkmal zur Erinnerung der Bücherverbrennung. Eine Glasscheibe ist in den Boden eingelassen. Durch sie schaut man in die Tiefe. Am Denkmal sind ein Gedenkkranz und Blumen niedergelegt (Foto: picture-alliance/dpa)
Denkmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz in BerlinBild: picture-alliance/dpa

So etwas sollte in der Bundesrepublik Deutschland nie wieder geschehen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf die "Kunstfreiheit" sind deshalb seit 1949 im Artikel 5 des Grundgesetzes fest verankert. Der Paragraph schützt sowohl die künstlerische Tätigkeit als auch die Verbreitung der Werke. Dabei geht man von einem "offenen" Kunstbegriff aus: Kunst ist das, was der Künstler als Kunst bezeichnet, auch wenn andere die Meinung nicht teilen.

Bis heute wird oft um die Kunstfreiheit gerungen und gestritten, auch vor Gericht. Nach dem blutigen Anschlag auf das französische Satire-Magazin "Charlie Hebdo" am 7. Januar 2015 ist die Frage nach dem Schutz, aber auch nach den Grenzen dieser Freiheit wieder laut geworden.

Im Zweifel für den Künstler

Der Künstler Klaus Staeck steht vor seinen Plakaten (Foto: picture-alliance/dpa/B. Pedersen)
Klaus Staeck, ein Kämpfer für die MeinungsfreiheitBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Was die juristischen Grenzen der Kunstfreiheit anbelangt, da könne man sich in Deutschland auf die Rechtsprechung verlassen, meint der Künstler, Designer und Jurist Klaus Staeck. In den 70er und 80er Jahren hat er sich in seinen Plakataktionen oft mit Chemieunternehmen, Parteien oder Rüstungskonzernen angelegt.

Über 40 Mal wurde er wegen seiner satirischen Fotomontagen verklagt und musste sich in jahrelangen Prozessen verteidigen. Klaus Staeck hat sie alle gewonnen. "Ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass die Gerichte letztlich im Wesentlichen die Meinungsfreiheit verteidigen. Das ist nicht selbstverständlich."

Von 2006 bis 2015 leitete Klaus Staeck die Akademie der Künste, eines der ältesten europäischen Kulturinstitute. Das Institut wird voll vom Staat finanziert. Denn auch das besagt das Gesetz: Die Vielfalt der Kunst soll nicht nur geschützt, sondern auch gefördert werden. In kaum einem Land werden so viele Theater, Orchester oder Filmproduktionen öffentlich subventioniert wie in Deutschland.

Deutschland, Land der Kulturförderung

Das Gebäude der Akademie der Künste (Foto: Imago)
Die Akademie der Künste in Berlin ist Treffpunkt internationaler KünstlerBild: Imago

Staatliche Einmischung, das könnte die Kunstfreiheit aber auch untergraben, meinen Kritiker. Klaus Staeck hat diese Erfahrung in der Akademie der Künste nicht gemacht: "Wenn die kleinsten Versuche unternommen wurden, uns in irgendeiner Form inhaltlich einzuschränken, habe ich das sofort abgewehrt, und das wurde auch respektiert, obwohl wir finanziell abhängig sind."

Gerade die staatliche Förderung, meint Staeck, führe in Deutschland dazu, dass Künstler und Institutionen sich der Gesellschaft verpflichtet fühlen. "Dazu gehört auch die Solidarität gegenüber allen verfolgten Künstlern."

Die Jugend muss geschützt werden

Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut, aber es gibt natürlich gesetzliche Einschränkungen, die sich durchaus von anderen westlichen Demokratien unterscheiden. Strafrechtlich verfolgt werden hierzulande etwa Angriffe auf das Persönlichkeitsrecht, Volksverhetzung, Gewaltverherrlichung oder die Verherrlichung des Nationalsozialismus. Auch die Verwendung von Nazi-Symbolen ist aus der historischen Erfahrung heraus verboten. Ein Thema, das in den USA zum Beispiel keine Rolle spielt.

Besonders kritisch wird es dann, wenn es um den Jugendschutz geht. Elke Monssen-Engberding ist Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und nimmt Texte, Bilder und Botschaften bei Musik, Filmen, Videospielen und Videoclips kritisch unter die Lupe. Wenn ihre Behörde Medien als jugendgefährdend einstuft, dürfen sie nicht mehr frei zugänglich sein und verbreitet werden.

CDS mit rechtsradikalen Liedern und Symbolen (Foto: picture-alliance/dpa/Sebastian Kahnert)
Rechtsradikale Tonträger, die auf dem Index stehenBild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

"Das ist dann zum Beispiel Musik aus dem rechten Bereich mit Rassismus, Antisemitismus oder Homosexuellenfeindlichkeit", erzählt Elke Monssen-Engberding. Auch IS-Propagandavideos, in denen Hinrichtungen gezeigt werden, versucht sie aus dem Verkehr zu ziehen. Das hat mit Kunst zwar gar nichts zu tun, aber die Machart der Videos der Terroristen wird immer professioneller, und die Inhalte suggerieren oft Abenteuerlust in Hollywoodmanier.

Vorauseilender Gehorsam mit der "Schere im Kopf"?

In den USA werden seit einiger Zeit Warnungen vor bestimmten Inhalten nicht nur im Rahmen des Jugendschutzes ausgesprochen. Die Literaturwissenschaftlerin Susanne Scharnowski war mitverantwortlich für eine Vortragsreihe an der Freien Universität Berlin, die sich mit den Grenzen der künstlerischen Freiheit auseinandergesetzt hat. An einigen US-Universitäten gäbe es auch für Erwachsene Warnungen vor bestimmten Inhalten, etwa in Büchern, weiß die Dozentin. Und zwar dann, wenn sie der Psyche schaden könnten. Diese sogenannten "Triggerwarnungen" führen in den USA zu heftigen Debatten. "Goethes Werther zum Beispiel thematisiert einen Selbstmord, und dann wird gewarnt, dass Leute, die selbstmordgefährdet sind, das nicht lesen sollten. Das ist für uns ziemlich abstrus."

Doch auch in Deutschland sieht die Literaturwissenschaftlerin eine zunehmende Selbstzensur: die sogenannte "Schere im Kopf". In Kinderbüchern wurden zum Beispiel anstößige Wörter wie "Neger" durch andere Begriffe ersetzt. "Der Wunsch ist ja sehr edel", meint Susanne Scharnowski. "Man denkt, indem man bestimmte Begriffe tilgt, die Ausdruck eines problematischen Bewusstseins sind, verändert man die Welt."

Mut zur Konfrontation!

Entwurf für einen Kölner Karnevalswagen zu Charlie Hebdo (Foto: picture-alliance/dpa)
Aus Angst vor Terroranschlägen wurde diese Vorlage für einen Mottowagen im Kölner Karneval nicht umgesetztBild: picture-alliance/dpa

Natürlich präge die Sprache unsere Wahrnehmung, aber man mache es sich zu einfach, meint Scharnowski. "Wir scheuen die Auseinandersetzung, wie man über bestimmte Dinge denkt, und wie man zum Beispiel gegen Rassismus vorgehen kann. Man schafft eine angenehme Benutzeroberfläche, um diese intellektuelle Auseinandersetzung zu umgehen. Das finde ich problematisch."

Die Schere im Kopf beobachtet Susanne Scharnowski seit den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" auch verstärkt in den Medien und spricht von einer allmählichen "Erosion des Freiheitsrechts der Kunst".

Der Satiriker Klaus Staeck spürt diese Schere im Kopf heute genauso wenig wie in den 80er Jahren. Er will sich in seiner Kunst weder von rechten, noch von muslimischen Extremisten einschüchtern lassen. "In dem Moment, wo man nicht mehr bereit ist, sich als Künstler und Satiriker für die Meinungsfreiheit einzusetzen, sollte man seinen Beruf aufgeben. Die freie Gesellschaft lebt nun mal vom freien Wort."