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Europäisch-türkisches Literaturprojekt "Yollarda" geht zu Ende

26. Juni 2010

Eines der größten Projekte zum Literaturaustausch zwischen EU und Türkei, "Yollarda", feiert seinen Abschluss. Nach Reisen durch die Türkei und acht EU-Staaten trafen sich die Schriftsteller zu Gesprächen in Brüssel.

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Poster "European Literture goes Turkey"
Unterwegs in Europa und der TürkeiBild: DW
Autoren und Gäste bei der Abschlussveranstaltung des Kulturprojekts "Yollarda"
Zeit und Raum für den GedankenaustauschBild: DW

Unzählige Fotoapparate klicken, Häppchen werden gereicht, an den Stehtischen herrscht buntes Stimmengewirr. Nur wenige EU-Parlamentarier sind zum Empfang im Brüsseler Europaparlament gekommen, aber das tut der guten Stimmung keinen Abbruch. Es wird das Ende eines langen Weges gefeiert: Das Projekt "Yollarda", was auf Deutsch soviel heißt wie "Unterwegs", geht zu Ende - eines der größten Literaturprojekte des Goethe- Instituts.

Die Initiatorin und Leiterin des Goethe-Instituts in Istanbul, Claudia Hahn-Raabe, strahlt über das ganze Gesicht: "Erschöpft, glücklich, und wenn ich an die jungen Menschen denke, sehr sehr zufrieden", sei sie. Schon im Jahr 2007 hatte sie sich überlegt, ein Literaturprojekt zu organisieren: "Das Erzählen ist eine Tradition in der Türkei. Und wir wollten die türkische Bevölkerung, die Studenten, die Schüler zusammenbringen mit Autoren."

Teil 1 - europäische Autoren in der Türkei 

Zusammen gebracht hat das Projekt rund 40.000 - vornehmlich junge - Menschen in der Türkei mit 48 Autorinnen und Autoren aus acht EU-Ländern. Im Verhältnis zu 500 Millionen EU-Bürgern und 73 Millionen Türken sei das natürlich nicht viel, sagt der EU-Botschafter in der Türkei Marc Pierini, aber: "Wir haben ein enormes Interesse festgestellt, und die Vorurteile bauen sich schnell ab, wenn Menschen über Kultur reden." Die Beitrittsverhandlungen seien kompliziert, man habe Visaprobleme, so Pierini weiter. Trotz vieler Sprachbarrieren sei der Literaturaustausch, "exakt das, was wir brauchen, um die Barrieren aus Ignoranz und Vorurteilen zu durchbrechen."

Gemeinsames Abschlusstreffen in Brüssel
Gemeinsames Abschlusstreffen in BrüsselBild: DW

Gelesen und diskutiert wurde vor allem an Schulen und Universitäten, aber auch unter freiem Himmel. Die österreichische Autorin Renate Welsh zeigt sich von der Gastfreundschaft der Türken überwältigt: "Es war nicht so, dass ich Vorurteile abzubauen gehabt hätte, aber es haben sich viele Puzzle-Steinchen in dieses Bild gefügt. Natürlich waren manche beklemmend, und sehr viele waren ungeheuer bewegend."

Für eine potenzielle EU-Mitgliedschaft der Türkei sei der Austausch enorm wichtig, findet Welsh. "Die Fremdheit anerkennen als fremd ist die Voraussetzung, dass man auch vom Fremden etwas übernehmen kann, das uns fehlt. Solange man so tut, als sei das alles problemlos, lernen wir nichts von den anderen und sie nichts von uns." Über die lebendige urbane Kultur in Ostanotolien zeigte sie sich überrascht. "Da hatte ich eine Bildungslücke!"

Ein neues Bild von Anatolien, aber Auftrittsverbot an Schulen

Björn Kern Schriftsteller
Björn Kern, deutscher SchriftstellerBild: DW

Genau wie seine Kollegin Renate Welsh musste auch der deutsche Autor Björn Kern sein Bild von Ostanatolien revidieren. Zumindest die jungen Menschen seien dort so offen und interessiert gewesen wie die Schüler in Antalya. "Mag natürlich sein, dass es da konservative Bürgermeister gibt", aber die habe er nicht kennengelernt.

Kern reiste mit seinem Jugendbuch "KIPPpunkt" im Gepäck in die Türkei. Doch die Geschichte eines Zivildienstleistenden, der eine alte Frau im Heim pflegt, sorgte für Komplikationen. Björn Kern bekam Auftrittsverbot in den Schulen: "Zensur war das nicht, es gibt keine Zensur in der Türkei. Keiner kann dort ein Buch verbieten. Wohl aber kann das Kultusministerium untersagen, dass ein Buch an den Schulen gelesen wird." Das habe dann einfach dazu geführt, dass er den gleichen Text wie geplant vor den gleichen Schülern gelesen hat - aber auf der Straße. "Am Ende war das eher noch sehr witzig und hat dem Projekt ganz sicher nicht geschadet."

Teil 2 - türkische Autoren in der EU

Nachdem der EU-Bücherbus von Ostanatolien bis nach Istanbul gerollt war, startete im Mai 2010 die zweite Etappe. Auf dem Weg nach Brüssel besuchten 16 türkischen Autoren acht europäische Städte. Zu den Lesungen in Sofia, Bukarest, Pécs, Wien, Venedig, Zürich und Essen gab es immer auch ein Musik- und Kulturprogramm.

Projekt Yollarda
Diashow mit Eindrücken von der Tour durch die TürkeiBild: DW

Der türkische Autor Mario Levi sieht den Kulturaustausch als kleinen, aber wirksamen Schritt in die richtige Richtung: "Ich weiß, dass Europa die Türkei noch nicht genug kennt. Und was hilft, ein Land kennenzulernen? Die Kunst und die Literatur!" Ein Literat könne sich durchaus als Kultur-Botschafter seines Landes fühlen, so Levi: " Warum nicht? Ich denke, wir haben alle die Verpflichtung, unser Land bekannt zu machen."

EU-Mitgliedschaft auch Thema beim Kulturaustausch

In der Türkei hat der deutsche Autor Björn Kern derweil festgestellt, "wie wenig akzeptiert sich ein großer Teil der türkischen Öffentlichkeit durch die EU fühlt." Das sei immer wieder Thema gewesen, so der Autor: "Da kann Angela Merkel noch so lange von ihrer privilegierten Partnerschaft sprechen, bei denen kommt doch nur an: Die wollen uns nicht." 

Claudia Hahn-Raabe Leiterin des Goethe-Instituts Istanbul
Claudia Hahn-Raabe, Leiterin des Goethe-Instituts IstanbulBild: DW

Bei den Lesungen sei das Gerangel um einen möglichen EU-Beitritt der Türkei in einigen Jahren lediglich der Rahmen für offene Diskussionen gewesen, sagt Claudia Hahn-Raabe vom Goethe-Institut: "Es ist der politische Hintergrund, aber mir ist es wichtig, dass die Menschen in der Türkei die europäische Literatur, aber auch das Denken, die Gefühle der Menschen Westen kennenlernen und umgekehrt." Denn nur so könne das Ziel des Projekts "Yollarda" erreicht werden: "Sich begegnen und verstehen."

Autorin: Susanne Henn
Redaktion: Mareike Röwekamp

„Yollarda“ wurde gefördert im Rahmen des „Cultural Bridges“-Programms der Europäischen Union.