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Fußball - Fest der Globalisierung?

21. Juni 2010

Beim Fußballspiel können unterschiedliche Wir-Identitäten entstehen, meint der Politikwissenschaftler Claus Leggewie, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, im DW-Interview.

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Fußball als Globus gestaltet (Foto: Boris Roessler dpa/lhe +++(c) dpa - Report+++)
Bild: picture-alliance / dpa

DW-WORLD.DE: Herr Leggewie, die Fußball-WM wird gerne als ein Fest der Globalisierung bezeichnet – und zwar einer besseren, als wir sie sonst erleben. Ist da was dran?


Leggewie: Da ist was dran. Viele bezeichnen das, was da passiert, sogar als Nebenschauplätze für Konflikte, die auf andere Art und Weise vielleicht nicht so friedlich ausgetragen würden. Der Sport, gerade der Fußballsport, verbindet das Element des Wettbewerbs aufs Schönste mit dem Element des gemeinsamen Spiels, des Zusammenwirkens. Es geht bei diesem Spiel nicht darum, den Gegner grundsätzlich auszuschalten, sondern nur darum, ihn zu besiegen. Insofern ist man an seinem Erhalt und seinem weiteren Bestehen interessiert. Man fügt ihm eine Niederlage zu, aber die soll nicht so fundamental sein wie bei kriegerischen Konflikten.


In Europa ist jetzt erstmals eine Generation von Kindern herangewachsen, die ihre Nationalmannschaft nicht an den weißen Gesichtern erkennt. Die Mannschaften sind längst international. Welche Auswirkungen hat das mittlerweile auf die Zuschauer?


Die Zuschauer werden vor ein sehr komplexes Problem gestellt. Zum Beispiel muss sich ein Fan von Borussia Dortmund für eine Nationalmannschaft einsetzen, in der ein Torwart aus Schalke tätig ist. Das gelingt aber immer ganz gut. Das bedeutet: Wir denken offenbar – und hier wird das Kulturelle dieses Phänomens besonders deutlich – in mehreren Identitätskreisen. Das heißt, ich kann Lokalpatriot sein, ich kann ein lokaler Fan einer Mannschaft sein, in der ich vielleicht sogar selbst gespielt habe. Ich kann diese Identifikation übertragen auf die Nationalmannschaft. Ich kann sie gegebenenfalls sogar in einen national codierten Wettbewerb übertragen, auf eine Mannschaft wie Bayern München, die mir möglicherweise sonst ganz unsympathisch ist, sofern diese in der Champions' League weit kommt. Hier sind offenbar ganz flexible Wir-Identitäten konstruiert, mit denen man im Sport auf sehr spielerische Weise umgehen kann. Es kann immer dieses Moment des "Dissens" sein, dieser Disqualifikation des Gegners, und gleichzeitig das gemeinsame Spiel.

Porträt Claus Leggewie (Foto: Karlheinz Schindler +++(c) dpa - Report+++)
Claus LeggewieBild: picture-alliance/ ZB


Fußball verbindet die Menschen, sorgt aber immer wieder auch für handfeste Konflikte, vor allem auch unter den Fans. Dabei handelt es sich eigentlich nur um ein Spiel. Was lässt den die Emotionen so hochkochen?


Dass es Stellvertreterkonflikte sind. Speziell da, wo Identitätsunsicherheiten vorherrschen, dann werden Sie sehen, dass es nicht so einfach ist, ein verlorenes Spiel zuzugeben. Das können Sie auch ein bisschen auf Kollektive übertragen: Es gibt Nationen, für die ein Erfolg im Fußball Kompensation für Misserfolge oder Schwierigkeiten auf anderen Ebenen ist. Es gibt Nachbarschaftsrivalitäten zwischen Honduras und El Salvador, die dann mit einem Fußballspiel zu einem veritablen Krieg sich entwickeln können. Da lagen ja politische, ethnische und religiöse Spannungen vor. Die Mannschaft der E-Küste ist ein Beispiel dafür, dass in einem ethnisch-religiös gespaltenen Land, das durch Bürgerkrieg zerrissen war, exakt diese Nationalmannschaft so friedensstiftend gewirkt hat. Also Fußball steht in der Mitte. Wie viele Phänomene hat es einerseits problemverursachende Seiten, andererseits auch problemlösende Kapazitäten, das kommt immer auf die Situation an.


Das Gespräch führte Sabine Damaschke
Redaktion: Aya Bach