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Das geheime Genie

29. Januar 2012

Genie und Schrulligkeit liegen oft nah beieinander. So auch beim britischen PC-Pionier Alan Turing. Der Mathematiker pflegte skurrile Marotten und entschlüsselte im Zweiten Weltkrieg kriegsentscheidende Funksprüche.

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Computerpionier Alan Turing (Foto: Heinz Nixdorf Museumsforum)
Bild: HNF

Knapp 2,3 Milliarden Suchergebnisse in 0,12 Sekunden, wenn man "Alan Turing" bei Google eingibt – das ist eher wenig, zumindest im Vergleich zu jemandem wie dem Apple-Gründer Steve Jobs. Der kommt auf rund 60 Milliarden Treffer. Das digitale Gedächtnis hat Alan Turing wohl vergessen. Und das, obwohl der Brite dessen Vordenker ist. In diesem Jahr wäre er 100 Jahre alt geworden. Grund genug für das Heinz Nixdorf Museumsforum in Paderborn, dem Computer-Pionier eine Ausstellung zu widmen.

Eine Ausstellung über Alan Turing zu gestalten, ist allerdings nicht leicht. Nicht zuletzt, weil er einen Großteil seines Lebens unter Verschluss halten musste. Denn Turing arbeitete während des Zweiten Weltkriegs als Codeknacker für die Briten. Die Ausstellungsmacher haben keine realen Exponate aus seinem Leben – kein Manuskript, kein Brief, nicht einmal einen Hut von ihm. Alles, worauf sie aufbauen können, sind seine Forschungsergebnisse und Berichte von ehemaligen Kollegen, Freunden und Bekannten über ihn. Die sind teilweise skurril: Er habe seine Teetasse immer mit einem Fahrradschloss an seine Heizung gekettet und sei mit Gasmaske Fahrrad gefahren. "Er hat sie zweckentfremdet, um sich gegen seinen Heuschnupfen beim Fahrradfahren zu schützen", weiß der Kurator der Ausstellung, Dr. Jochen Viehoff.

Das Genie und die künstliche Intelligenz

Alan Turing war aber offensichtlich nicht nur schrullig, er war tatsächlich genial. "Building a brain" – mit diesem Slogan könnte man die Arbeit des Mathematikers und Logikers zusammenfassen. "Ihn hat immer interessiert, wie und ob man eine Maschinen bauen kann, die wie ein Gehirn funktioniert und so etwas wie Intelligenz zeigt", sagt Viehoff. Schon in den 1940er Jahren wusste Turing, dass dafür die Software entscheidend ist, nicht die Hardware eines Geräts. "Damals hat man Maschinen gebaut, um ein einziges Programm abzuarbeiten. Das war ihm nie genug. Deshalb sagt man, dass Alan Turing Mitbegründer der Informatik ist und dessen, was wir heute als Computerwissenschaften zusammenfassen", so Viehoff.

Blick auf die deutsche Codiermaschine "Enigma" (Foto: Jochen Viehoff / HNF)
Die Enigma verschlüsselt geheime BotschaftenBild: Jochen Viehoff/HNF

Turing wäre bestimmt zufrieden, wenn er sehen würde, wie viel Software es inzwischen gibt, die jeden Computer zu einer universellen Maschine macht, und das Smartphone zur multifunktionalen Alltagshilfe. "Aber Turing wäre sicherlich auch ein bisschen enttäuscht darüber, dass wir im Bereich der künstlichen Intelligenz noch nicht das erreicht haben, was er für das Jahr 2000 in etwa vorausgesagt hat: nämlich, dass ein Computerprogramm den Turing-Test bestehen kann", meint Viehoff. Dieser Test besteht darin, dass Mensch und Maschine ein Gespräch führen – chatten zum Beispiel. Ein Schiedsrichter müsse dann anhand der Konversation entscheiden, welche Antworten vom Menschen stammen und welche von der Maschine geschrieben wurden.

Das Genie und der Kampf gegen Hitlerdeutschland

Verbunden wird der Name Alan Turing aber vor allem mit seiner Arbeit für den britischen Geheimdienst. Während des Zweiten Weltkriegs hat er auf einem harmlos wirkenden Landsitz nördlich von London gearbeitet. Dort, in Bletchley Park, dem britischen Zentrum für Kryptoanalyse, fand Turing eine Methode, mit der man die Funksprüche der deutschen Kampf-U-Boote entschlüsseln konnte. Er knackte die berühmte deutsche Codiermaschine "Enigma". Damit hat er den U-Boot-Krieg im Nordatlantik mit entschieden und vermutlichen vielen Menschen das Leben gerettet.

Die "Turing-Bombe", eine Maschine, mit der der Mathematiker Alan Turing die Codiermaschine "Enigma" geknackt hat (Foto: Jochen Viehoff / HNF)
Turings Entschlüsselungs-MaschineBild: Jochen Viehoff/HNF

Seine Arbeit: die eines Kriegshelden. Sein Lohn: die völlige Anonymität. "Turing hat das fürchterliche Pech gehabt, dass sich die Engländer dafür entschieden haben, die ganzen Errungenschaften rund um die deutsche Enigma auch nach Kriegsende geheim zu halten", weiß Jochen Viehoff. Der ehemalige Premier Churchill habe alles, was Turing entwickelt hat, vernichten lassen. Deshalb wurde Turing nach dem Krieg nicht als Held gefeiert, sondern kehrte unauffällig in seinen Beruf als Mathematikprofessor zurück. Erst Mitte der 1970er Jahre wurde bekannt, was Turing in Bletchley Park geleistet hatte, er selbst erlebte dies nicht mehr.

Das Genie und der vergiftete Apfel

1954 nam Turing sich das Leben, denn die Zeit war noch nicht bereit für den Computer-Pionier: Alan Turing war homosexuell - im Großbritannien der 1950er Jahre ein Verbrechen. Als seine Affäre mit einem jungen Mann aufflog, wurde er 1952 verurteilt und konnte wählen zwischen Gefängnis und einer Hormonbehandlung. Er entschied sich für Letzteres. Ein Jahr lang bekam er das weibliche Hormon Östrogen verabreicht. Sein Biograf, Andrew Hodges, schreibt, damit sei eine "chemische Kastration" beabsichtigt gewesen. Turing entfremdete sich durch die Hormone von seinem eigenen Körper, wurde depressiv. Kurz vor seinem 42. Geburtstag vergiftet er sich mit Zyanid. “We're sorry. You deserved so much better“, hat sich der britische Premierminister Gordon Brown 2009 für die entwürdigende Verfolgung Turings entschuldigt.

Das Alan-Turing-Denkmal in Manchester (Foto: dpa)
Alan-Turing-Denkmal in ManchesterBild: picture-alliance/dpa

Ein Leben wie aus einem Drehbuch: Es fällt nicht schwer, den unerreichbaren, den geheimnisvollen Codeknacker zu heroisieren und zu idealisieren. Der deutsche Dramatiker Rolf Hochhuth schrieb 1987 über Turing als den "Vater des Computers", und bezeichnete ihn als Held und Schönling. Turings Leben soll demnächst tatsächlich verfilmt werden – Hollywood munkelt, dass ihn Leonardo DiCaprio mimen könnte. Doch das komplexe Leben des geheimen Genies wird wohl kein Hollywoodstar jemals wirklich abbilden können.

Autor: Laura Döing
Redaktion: Marlis Schaum