1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Gier nach Papier und ihre Folgen

26. Oktober 2019

Biologisch abbaubar, natürliche und nachwachsende Rohstoffe: Anders als Plastik gilt Papier heute als nachhaltiges Material. Dabei führt der stetig wachsende Papierverbrauch weltweit zu Abholzung und Artenschwund.

https://p.dw.com/p/3Ris9
Bildergalerie Zeitschriften
Bild: Luis Davilla/Cover/Getty Images

Seit zwölf Jahren zeichnet der "Papieratlas" Städte, Landkreise und Hochschulen in Deutschland aus, die ausschließlich oder besonders viel Recyclingpapier mit dem Label Blauer Engel nutzen, das aus 100 Prozent Altpapier hergestellt wird. In diesem Jahr können sich Oldenburg, Höxter und Ahrweiler sowie die Technische Universität Kaiserslautern über die Ehrung freuen.

Erstellt wird der Papieratlas von der Initiative Pro Recyclingpapier (IPR), einem Verband aus 25 Wirtschaftsunternehmen und -verbänden. Die Initiative macht vor allem eines deutlich: Papier ist weniger umweltfreundlich als sein Ruf. Dessen Papierverbrauch frisst ganze Wälder auf.

Eukalyptus-Monokulturen für Papier

Darauf verweisen Papierexperten der Beraterorganisation Forum Ökologie und Papier (föp): Etwa jeder fünfte Baum, der auf dieser Welt gefällt wird, lande in der Papierherstellung. Doch das Holz stamme längst nicht nur aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern.

Global Ideas Südafrika Eukalypten
"Grüne Wüsten" werden Eukalyptus-Monokulturen auch genanntBild: picture-alliance/blickwinkel/J. Hauke

Um den Bedarf zu decken, würden neben der Abholzung naturnaher Wälder teilweise auch schnell wachsende Plantagen, zum Beispiel Eukalyptus, genutzt, so die IPR. Diese Monokulturen verringerten die Biodiversität und könnten durch ihren hohen Wasserbedarf zur Absenkung des Grundwasserspiegels führen. Darüber hinaus seien Monokulturen anfälliger für Waldbrände, die sich dort schneller ausbreiten können als in Mischwäldern.

Und der Papierverbrauch der Welt steigt weiter. Einer der weltweit größten Verbraucher ist Deutschland. 2017 lag die Bundesrepublik auf Platz vier der papierhungrigsten Staaten der Welt. Der Zellstoff für die Papierproduktion in Deutschland stammt laut IPR zu 75 Prozent aus anderen Ländern, vor allem aus Brasilien, Schweden und Finnland.

Infografik Papierindustrie Verbrauch weltweit DE

540 Prozent Zuwachs bei Verpackungen

Während der Anteil grafischer Papiere, also etwa für Bücher, Zeitschriften, Druck- oder Schreibpapier, in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken ist, machen mittlerweile Verpackungen den Löwenanteil des Papierverbrauchs aus. 

"Der Anteil von Papier-, Papp- und Kartonverpackungen ist seit 1996 um 540 Prozent gewachsen", sagt Almut Reichart, Expertin für Zellstoff- und Papierindustrie beim Umweltbundesamt (UBA). Verantwortlich für diesen Anstieg seien Pappbecher und -teller für Speisen zum Mitnehmen, Verpackungen im Lebensmittelbereich und besonders der gestiegene Online-Handel. Neben der hohen Zahl von Päckchen und Paketen fällt auch ins Gewicht, dass Kartons in Standardgrößen verschickt werden und dadurch die Verpackung größer ausfällt als nötig.

Infografik Papierindustrie Verbrauch Deutschland DE

Beim föp befürchtet man, auch das schlechte Image von Plastik könne dazu führen, dass Verbraucher verstärkt Papier als Verpackungsmaterial nachfragen. "Dabei hat Mehrweg-Plastik eine deutlich bessere Ökobilanz als Papier - insbesondere wenn es sich nicht um Recyclingpapier handelt", sagt Evelyn Schönheit vom föp.

Umweltsünde Papiertüte

Ein Negativbeispiel ist die Papiertüte. Sie kommt zwar oft in ungebleichtem Braun daher, aber aus Altpapier ist sie deswegen noch lange nicht. Im Gegenteil: Damit die Taschen bei schweren Einkäufen nicht reißen, sind für ihre Produktion besonders lange und reißfeste Zellstofffasern notwendig, schreibt die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Solche Fasern ließen sich aber am besten aus frischem Holz gewinnen. 

Braune Papiertüte
Papiertüten muten oft "öko" an, sind es aber meistens nicht Bild: Fotolia/koosen

Doch es gibt Alternativen zum Holz als Zellstofflieferant: Die Hoffnung liegt auf Zellstoff-Pflanzen, die als sekundäre Biomasse anfallen, wie Gras oder Stroh. Voraussetzung sei aber, dass diese nicht an anderer Stelle, etwa als Viehfutter fehlten, sagt Almut Reichart vom UBA.

Graspapier und -pappe könnten in Zukunft vor allem als Verpackungsmaterial eingesetzt werden, so die Expertin vom UBA: "Bei der Herstellung von Zellstoff-Pellets aus Gras kommt man fast ohne Chemie aus, und man kann sie in jeder Papierfabrik verwenden - das sind die Vorteile.

Der Nachteil ist ihre Optik. Sie sind deutlich weniger homogen als Holzfasern, haben etwa dunkle Punkte in der Struktur." Ihr Einsatz zum Beispiel im Buchdruck sei damit eingeschränkt, so Reichart. Hier liefen derzeit Forschungen mit Stroh, das deutlich längere Fasern biete.

Graspapier
Äpfel auf Gras, ähm.. auf GraspappeBild: REWE-Pressestelle

Altpapier - ein wertvoller Rohstoff

Die beste erforschte Umweltbilanz hat derzeit Recyclingpapier. Dieses spart laut UBA in der Produktion 60 Prozent Energie und sogar 70 Prozent Wasser gegenüber Papier aus frischen Fasern ein. Die Frage nach einer Flächenkonkurrenz im Anbau stellt sich auch nicht.

Das Interesse an Recyclingpapier ist in Deutschland allerdings gesunken. 2018 lag der Recyclinganteil bei Büropapieren und Zeitschriften nach Angaben der Verbraucherzentralen Bayern und Nordrhein-Westfalen bei gerade einmal 30 Prozent. Im Bereich der Schulhefte schrumpfte er von 50 bis 70 Prozent zu Beginn der 1990er Jahre auf aktuell nur noch 5 bis 10 Prozent. In Hygienepapieren wurden 1996 noch 68 Prozent Altpapierfasern verarbeitet, 2015 nur noch 48 Prozent. 

Papierkonsum einschränken

Noch besser als Recyclingpapier zu nutzen, sei es den Papierverbrauch generell einzuschränken und bereits vorhandenes Papier mehrfach zu nutzen, sagen die Papier-Expertinnen von UBA und föp. Das hieße: beidseitig zu drucken, Rückseiten von Briefen als Schmierzettel zu nutzen und mit eigenen Tragetaschen lokal einzukaufen. Auch ein Aufkleber mit"Werbung - nein danke!" auf dem Briefkasten sei sinnvoll. 

Evelyn Schönheit sieht in diesem Punkt allerdings auch den Gesetzgeber gefragt. "Ich sollte meinen Briefkasten nicht erst schützen müssen. Es sollte vielmehr die Regel gelten, dass Werbung nur mit Erlaubnis eingeworfen werden darf."

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin mit Fokus auf Klima- und Umweltthemen