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Die Herzensretter von Berlin-Wedding

16. Juni 2011

Anfangs als "gigantische Fehlplanung" kritisiert, ist das Deutsche Herzzentrum Berlin heute, nach 25 Jahren, eine renommierte Spezialklinik für Herzkrankheiten. Sein Kunstherzprogramm ist das größte der Welt.

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Das Deutsche Herzzentrum in Berlin (Foto: B. Nickolaus/DHZB)
Das Deutsche Herzzentrum in BerlinBild: B.Nickolaus/Presse/DHZB

Klein, schwarz und unscheinbar ist die Handtasche über der Schulter von Wolfang Festa. Trüge er sie nicht, müsste er sterben. Die Tasche enthält die außerhalb des Körpers liegenden Teile eines Kunstherzens, das dem ehemaligen Bundeswehroffizier vor gut drei Jahren im Deutschen Herzzentrum Berlin implantiert wurde. Ein Steuergerät und zwei Akkus. Ein Kabel verschwindet unter Festas Pulli.

"Das geht in den Körper rein", erklärt der 65-Jährige. "Drin ist eine Pumpe, die den Blutfluss übernimmt und das Herz unterstützt." Ein Akku reiche viereinhalb Stunden, mit zweien komme er gut durch den Tag, sagt Festa. "Man gewöhnt sich dran. Frauen haben ja auch immer eine Handtasche um."

Wolfgang Festa ist einer von mehr als 1.700 Patienten, die seit 1988 am Deutschen Herzzentrum in Berlin ein Kunstherz oder eine Herzunterstützungspumpe bekommen haben. Nirgendwo sonst, sagt Roland Hetzer, der Ärztliche Direktor der Einrichtung, seien mehr künstliche Pumpen implantiert worden. Nirgendwo sonst sei die Erfahrung mit Herzunterstützungs- und -ersatzsystemen verschiedenster Jahrgänge, Technologien und Hersteller so umfangreich.

Prof. Roland Hetzer während einer Herzoperation (Foto: B. Nickolaus/DHZB)
Prof. Roland Hetzer (li.) während einer HerzoperationBild: B.Nickolaus/Presse/DHZB

Das erste Kunstherz, erklärt Hetzer, habe er bereits 1987 hier implantiert, ein gutes Jahr nach der Eröffnung des Herzzentrums. "Ursprünglich ging es darum, die Patienten am Leben zu erhalten, bis ein Spenderherz zur Verfügung steht. Aber dann habe ich gesehen, dass das funktioniert! Dass man auf diese Weise Patienten monatelang am Leben erhalten kann."

Kunstherzen als Alternative zur Transplantation

2005 feierte das Herzzentrum den weltweit ersten Patienten, der länger als 1.000 Tage, knapp drei Jahre, mit einem Kunstherzen lebte. Inzwischen gibt es Patienten, deren künstliche Herzpumpen bereits eine Lebensdauer von fünf bis zu knapp acht Jahren erreichen – bei Anzeichen von Verschleiß besteht die Möglichkeit, ein neues Kunstherz zu implantieren.

Zudem werden in absehbarer Zeit kleinere und effizientere Systeme verfügbar sein, die weniger Reibungsverluste aufweisen, weniger Energie verbrauchen und ohne Kabel auskommen. Künstliche Herzen werden daher zunehmend zur Dauernutzung, als Alternative zur Transplantation eingesetzt.

"Das ursprüngliche Konzept der Überbrückung bis zur Transplantation ist tatsächlich immer weniger bedeutsam geworden", sagt Roland Hetzer. "Zum einen wissen wir, dass die Pumpen langfristig funktionieren. Zum anderen ist die Chance, dass ein Mensch ein Transplantat bekommt, sehr gering. Wir können den Bedarf nicht decken."

Herzunterstützungspumpe der Firma Berlin Heart (Foto: B. Nickolaus/DHZB)
Herzunterstützungspumpe der Firma Berlin HeartBild: B.Nickolaus/Presse/DHZB

Kinderherzpumpen "made in Berlin"

1990 gelang es Roland Hetzer und seinen Kollegen, zum ersten Mal auf der Welt auch einem Kind erfolgreich ein Kunstherz einzupflanzen – ein Modell der Firma Berlin Heart, an deren Gründung das Herzzentrum maßgeblichen Anteil hatte und mit der es eng zusammenarbeitet. "Die Firma lebt von diesen Kinderherzpumpen. Für Kinder und Säuglinge gibt es weltweit nichts Vergleichbares", versichert Roland Hetzer. "Nicht einmal in Amerika."

Wird irgendwo auf der Welt eine Berlin-Heart-Kinderherzpumpe implantiert, werden Kardiotechniker und Herzchirurgen des Herzzentrums Berlin häufig hinzugezogen. Zwar sei die entsprechende Technik in der Regel überall verfügbar, erklärt Felix Berger, der Leiter der Kinderkardiologie. Wesentlich für den Erfolg hochkomplexer Operationen wie einer Kunstherzverpflanzung, gerade bei Säuglingen oder Kindern, sei aber zudem die eingespielte Zusammenarbeit von Chirurgen, Kardiologen und Anästhesisten. Und die habe sich am Herzzentrum über Jahre entwickeln können.

Dass Kunstherz der Firma HeartWare ist eine der am häufigsten implantierten Marken (Foto: B. Nickolaus/DHZB)
Das Kunstherz der Firma HeartWare ist eine der am häufigsten implantierten MarkenBild: B.Nickolaus/Presse/DHZB

Trainings für Herzspezialisten weltweit

Regelmäßig finden im Herzzentrum internationale Trainings für Kunstherzspezialisten statt, sowohl für die Kinder- als auch für die Erwachsenenchirurgie. Monatlich gibt es einen englisch- und einen deutschsprachigen Kurs für bis zu zehn Interessenten, in denen diese umfangreich in allen Aspekten trainiert werden, die mit der Implantierung von Kunstherzen zusammenhängen. Zudem bestehen Kooperationen mit Universitätskliniken in Bosnien-Herzegowina und Russland.

Neben ihrer klinischen Arbeit betreuen die meisten Abteilungsleiter des Hauses Forschungsprojekte, alle sind auch Professoren des Berliner Uniklinikums Charité. Man setzt auf flache Hierarchien, eine offene Kommunikationskultur und kurze Entscheidungswege. Das jährliche Budget beträgt 95 Millionen Euro – und dank der Organisation des Hauses als Stiftung werden alle Gewinne vollständig in die kontinuierliche Verbesserung der Ausstattung und die Weiterbildung des Personals investiert. Ziel sei, sagt Felix Berger, den Patienten eine in jeder Hinsicht optimierte Therapie auf dem Stand der Wissenschaft bieten zu können. "Von daher innovieren wir alle unser Fachgebiet eigentlich täglich, so dass wir morgen schon wieder neue Erkenntnisse haben. Das ist der Geist, der hier im Herzzentrum gelebt wird."

Wolfgang Festa hat davon bereits profitiert. Sein Kunstherz, sagt er, möchte er so lange wie möglich behalten. "Es geht mir so gut, dass ich jetzt noch nicht transplantiert werden möchte. Ich kann im Prinzip alles machen: Gartenarbeit, Rasenmähen – ich war sogar Fallschirmspringen. Nicht alleine, es war nur ein Tandemsprung. Das geht alles."

Autorin: Lydia Heller
Redaktion: Judith Hartl