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Die Inszenierung der Macht

Michael Marek13. April 2013

Ob Diktatoren, gekrönte Häupter oder Politiker - sie alle lassen sich gerne abbilden. Dahinter stecken nicht nur Eitelkeiten, sondern vielmehr politische Botschaften. Die entschlüsselt eine Hamburger Forschungsstelle.

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Helmut Kohl Wahlplakat 1994 Copyright: imago/teutopress
Bild: imago/teutopress

Der Kanzler inmitten einer Menge, lächelnd, im Zentrum des Bildes, umringt von unbekannten Bürgern. Kein Bodyguard weit und breit, kein Hinweis auf die Partei, der er angehört, keine Inhalte, kein Slogan. Im Bundestagswahlkampf 1994 setzte die CDU ganz auf die Bekanntheit von Helmut Kohl. Ein Fels in der Brandung.

"Ein ungewöhnliches Wahlplakat", sagt Elisabeth von Hagenow. Die promovierte Kunsthistorikerin arbeitet für die Hamburger Forschungsstelle Politische Ikonographie. Sie ist Spezialistin, wenn es darum geht, visuelle Inszenierungen politischer Ereignisse und ihrer Protagonisten zu untersuchen.

"Kohl erscheint wie ein nackter Herrscher, der es nicht mehr nötig hat, sich mit einer Rüstung oder Bodyguards zu schützen. Er begibt sich unter das Volk und ist so beliebt, dass er keine Angst für Leib und Leben haben muss." Das Bad in der Menge, ein Bildtopos, den es schon seit der Antike gibt, so von Hagenow.

Der politische Raum unter der Lupe

Das Kohlplakat ist nur eines von 300.000 Bildmaterialien, die in der Forschungsstelle Politische Ikonographie katalogisiert worden sind. Seit 1991 sind ihre Mitarbeiter dabei, Verbildlichungen politischer Begriffe und Personen zu sammeln und zu analysieren. Eine "visuelle Enzyklopädie" des politischen Raumes ist seitdem entstanden. Sie gibt Auskunft darüber, wie politische Herrschaft auf Plakaten, Postkarten und Gemälden dargestellt wird. Vor allem aber, welche versteckten Botschaften Nachrichtenfotos, Werbeflächen, gestellte Bilder von Versammlungen, Wirtschaftsgipfeln oder Koalitionsrunden enthalten.

Dieses Bildmaterial, elektronisch nach politischen Schlagworten erschlossen, umfasst alle Richtungen der Kunst- und Kulturgeschichte - von der Antike bis zur Gegenwart: Skulpturen und Gemälde, aber auch Briefmarken und Zeitungskarikaturen. Schon jetzt sind viele dieser Dokumente eingescannt und in einem Multimedia-Archiv online abrufbar. Unter dem Schlagwort "Adolf Hitler" sind beispielsweise Bildpostkarten von 1933 bis 1945 erfasst, die den Diktator in allen möglichen Rollen, Posen und Darstellungen zeigen, um seine Volksnähe darzustellen.

ADOLF HITLER, 1933 Portrait auf Postkarte. Urhebervermerk: ullstein bild - Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl
Adolf Hitler auf Postkarte 1933Bild: Ullstein/Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl

Erinnerungsarbeit

Das griechische Wort "Mnemosyne" zu deutsch Erinnerung, bildet die Widmungsschrift über der hölzernen Eingangstür des Warburg-Hauses. Es ist benannt nach seinem Gründer, dem Kunsthistoriker und jüdischen Kaufmannssohn Aby Warburg. Hier, im vornehmen Hamburger Villenstadtteil Harvestehude, residiert die Forschungsstelle Politische Ikonographie. Mnemosyne ist eine gute Beschreibung für die Arbeit der Forscher, denn Erinnerungsarbeit leisten auch sie.

"Wie stellen sich politische Systeme dar? Demokratien und totalitäre Regime, absolutistische Herrscher und Ständegesellschaften?", fragt der Hamburger Kunsthistoriker und Leibnitz-Preisträger Martin Warnke, auf dessen Initiative die Forschungsstelle zurückgeht. Welche Mittel und Medien nutzen politische Machthaber und Interessengruppen, um die Öffentlichkeit für ihre Ziele zu beeinflussen?

Ehemalige Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg, Quelle: Wikipedia
Das Warburg-Haus: Bis heute gehört Aby Warburg (1866-1929) zu den wichtigsten europäischen Kunstwissenschaftlern.Bild: cc-by-sa/Ajepbah

Politisches Wirken, erläutert Warnke, habe sich bis heute nicht nur in schriftlicher Form niedergeschlagen - in Verträgen, Pamphleten oder Büchern beispielsweise - sondern auch in Zeremonien und Festivitäten, in Theatern, Gärten, Denkmälern und Bildern. Und genau das ist für Warnke und seine Mitarbeiter das Feld der politischen Ikonographie. "Da können Sie zum Beispiel sehen, wie sich die Menschheit Anarchie bildlich vorgestellt hat. Oder wie man Demokratie und Sozialismus mit Hilfe von Bildern bekämpft oder verteidigt hat."

Es gehe darum, "wie mit Kunst politische oder soziale Macht ausgedrückt werden kann", ergänzt von Hagenow und gibt ein Beispiel dafür: Ein Herrscher im Mittelalter etwa hatte eine Burg über der Stadt auf einen Hügel errichtet. Mittels dieser Architektur wollte er zum Ausdruck bringen: "Ich herrsche über die ganze Umgebung!".

Die Macht der Bilder

Heute zählt nicht die Macht der Burgen, sondern die Macht der Bilder. Ein berühmtes Foto von US-Präsident Barack Obama zeigt ihn im Kreis seiner engsten Mitarbeiter - darunter Vize Joe Biden und Außenministerin Hillary Clinton. Aufgenommen 2011 im "situation room" des Weißen Hauses.

Obama im Situation Room, Foto: Pete Souza/The White House via Getty Images
1. Mai 2011: US-Präsident Obama im "situation room" des Weißen Hauses wenige Minuten vor der Tötung Bin LadensBild: The White House/Pete Souza/Getty Images

Die Gesichter der Anwesenden sind angespannt, alle starren auf einen Bildschirm. Sie verfolgen live die Operation "Geronimo" in Pakistan und sehen zu, wie ein Spezialkommando der Navy Seals Terroristenführer Bin Laden jagt. Später erscheint das Foto weltweit auf den Titelseiten. Für Warnke lautet die Botschaft des Bildes: "Meine besten Leute haben mich beraten, ich tue das Beste für mein Volk."

Aby Warburgs Vermächtnis

Die Forschungsstelle Politische Ikonographie bedient sich modernster Computertechnologie, um die Fülle des Bild- und Textbestandes bearbeiten zu können. Dafür arbeiten die Kunsthistoriker mit Informatikern der Technischen Universität Hamburg-Harburg zusammen. Langfristig ist es das Ziel, einen Zusammenschluss von digitalisierten Bild- und Texdatenbanken bereitzustellen: eine Art "elektronischen Zettelkasten", von dessen multimedialen Möglichkeiten man sich neue Einsichten zur politischen Ikonographie erhofft.

Männer laufen an einem Poster des Saddam Art Center in Bagdad vorbei (2002), Foto: AP
Wandgemälde des ehemaligen irakischen Präsidenten Saddam Hussein im Saddam Art Center in Bagdad 2002Bild: ullstein

Ein gutes Beispiel dafür sei eine Darstellung Saddam Husseins aus dem Jahr 2002 an der Wand des Saddam Arts Center in Bagdad. "Ein klassisches Beispiel für die bildliche Umsetzung politischer Botschaften und ein Beispiel für politische Instrumentalisierung von Bildern", kommentiert Kunsthistoriker Warnke.

Verschiebung der Wahrnehmung

Martin Warnke weist darauf hin, dass selbst die Mächtigen sich Zwängen unterwarfen und unterwerfen, wenn es darum geht, ihre Machtfülle zu demonstrieren. "Jahrhundertelang wurden Herrscher als Herkules, Apoll, Christus oder Jupiter dargestellt. Von ihnen wurde verlangt, dass sie wie Herkules dastehen. Das war eine Art Normenanzug, den man ihnen verpasst hat." Politische Führer, sagt Warnke, mögen über einen ausgeprägten Machtwillen verfügen, sie sind aber gleichzeitig Gefangene ihrer eigenen Rolle. Diese Ambivalenz politisch-visueller Inszenierung gelte es in den Massenmedien zu bedenken.

Warnke sieht die Tendenz, dass Fernsehen zunehmend verflache. Dafür stehe der Begriff Infotainment, also eine Mischung aus Information und Unterhaltung. Gleichzeitig sieht der Experte, dass das Fernsehen zunehmend über die Wahrnehmung der Wirklichkeit herrsche. Ganz deutlich sieht er die Tendenz, dass die Massenmedien der Gesellschaft zunehmend ihre eigenen Maßstäbe und Kriterien der Realität aufdrängen. Die Wirklichkeit außerhalb der Medien werde marginalisiert - nach dem Motto: Was nicht im Fernsehen ist, existiert nicht.