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Kunst der Unabhängigkeit

30. März 2010

Mehrere Staaten Lateinamerikas feiern das 200jährige Jubiläum ihrer Unabhängigkeit. Künstler und Intellektuelle haben sich aus ihrer Perspektive Gedanken dazu gemacht. Das Ergebnis ist jetzt in Buenos Aires zu sehen.

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Simón Bolivar hoch zu Pferde. Eine Plakette am Fuß des Standbilds erinnert an die wichtigsten Schlachten Bolivars. (Bild: Hans Kellner)
"Weniger Zeit als Raum"

Der Klang der Unabhängigkeit – so möchte man die akustische Kulisse in der Kunsthalle Palais de Glace in Buenos Aires nennen. In einem kreisrunden Saal reihen sich bunt durcheinanderflimmernde, vielstimmige Video-Installationen von Künstlern, die sich mit dem Bicentenario beschäftigt haben: mit zweihundert Jahren Unabhängigkeit lateinamerikanischer Staaten. "El Arte de la Independencia", die Kunst der Unabhängigkeit, so heißt die Ausstellung wirklich. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt der Goethe-Institute des Subkontinents.

"Regierungen begehen Jubiläen wie das Bicentenario mit feierlichen Akten – auch, um im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, dass sie die Erben der Generation der Unabhängigkeit sind", meint Wolfgang Bader, Regionalleiter für Südamerika. Kunst wolle dagegen nichts verankern, nichts festlegen, sondern Wege öffnen - und manchmal irritieren. "In dieser Ausstellung geht es daher nicht um politische Unabhängigkeit, sondern um eine Unabhängigkeit, die immer wieder aktualisiert werden muss, die nie endgültig ist, die immer wieder neu interpretiert wird, und für die man immer weiter kämpfen muss.“

Bolivianerin mit einen Papierschiffchen auf dem Kopf (Copyright: Goethe-Institut)
Beim Frühstück vom Fest träumen: Video-Installation von Narda AlvaradoBild: Goethe-Institut

Weniger Zeit als Raum

Einem Gedicht des uruguayischen Poeten Mario Benedetti ist der Titel der Schau entnommen: "Menos tiempo que lugar". "Das bedeutet 'weniger Zeit als Raum' oder 'weniger Zeit als Ort'", erklärt Kurator Alfons Hug. Der Satz habe ihm gefallen, weil er zwei Momente verbinde, die für das Bicentenario zentral seien: "Die Vorstellung von Zeit, vom Verlauf der Zeit, und die Vorstellung vom Ort, vom Territorium", so Hug. Verschiedenste Orte auf dem lateinamerikanischen Kontinent haben die Künstler besucht, um dem Puls der Unabhängigkeit nachzuspüren: Kleinstädte im Hinterland, Elendssiedlungen und wuchernde Mega-Metropolen wie Mexiko-City. In der Video-Installation "Traffic Police" etwa beobachtet Maria Vassileva zwei Polizisten, die den chaotischen Verkehr der mexikanischen Hauptstadt regeln, und deren rhythmische Bewegungen einer urbanen Tanz-Choreographie zu folgen scheinen.

Polizisten leiten den Autoverkehr, einer von ihnen in schwungvoller Bewegung (Copyright: Goethe-Institut)
Polizisten-Tanz in Mexico City: Video-Installation 'Traffic Police' von Maria Vassileva.Bild: Goethe-Institut

Bezüge zwischen Lateinamerika und Deutschland

Ausgangspunkt der Ausstellung ist der legendäre "Brief aus Jamaika" des Freiheitshelden Simón Bolívar. Kurator Alfons Hug, Leiter des Goethe-Instituts Rio de Janeiro, verschickte ihn an alle Teilnehmer. In seiner wichtigsten Schrift analysierte Bolívar die Gründe der Unabhängigkeitskämpfe und entwarf seine Idee eines vereinten amerikanischen Kontinents. Mehrfach erwähnte er den deutschen Naturforscher Alexander von Humboldt, der für Amerika mehr getan hätte als alle seine Eroberer. Alfons Hug: "In Venezuela sagen viele, dass es eigentlich Humboldt war, der Bolívar die Idee der Unabhängigkeit beigebracht hatte. Da gibt es schon immer wieder Bezüge zwischen dem lateinamerikanischen Kontinent und Deutschland."

Schwarze Frau mit grauem Haar steht aufrecht in einem Zimmer mit feuchten Wänden und hält ein Manuskript in den Händen, im Hintergrund ein Gitterfenster, durch das helles Licht in den Raum fällt (Copyright: Goethe-Institut)
Einwohner eines Armenviertels in Caracas lesen Bolivars 'Brief aus Jamaika' - Video-Installation von Alexander ApóstolBild: Goethe-Institut

Ausstellung geht auf Tournee

"Die Kunst der Unabhängigkeit: Der zeitgenössische Pulsschlag" soll nach Buenos Aires auch in anderen Städten des Subkontinents sowie in Deutschland gezeigt werden. Auf völlig subjektive und unterschiedliche Weise haben sich die lateinamerikanischen und deutschen Künstler mit dem Bicentenario auseinandergesetzt. Einwohner eines Armenviertels der venezolanischen Haupstadt Caracas lesen den Brief aus Jamaika in der Originalsprache Englisch – der Videokünstler Alexander Apóstol hat sie dabei gefilmt. Der fast unverständliche Wortbrei und die groteske Darbietung sind eine satirische Verballhornung der leeren Reden politischer Heilsbringer. Unterdessen zeigt die Bolivianerin Narda Alvarado in ihrer Video-Installation eine junge Frau, die alltägliche Dinge verrichtet und sich dabei einen Tanz für ein Fest ausdenkt. "Ich wollte etwas zeigen, das sich in den letzten zweihundert Jahren nicht verändert hat. In Bolivien hat seit dem Ende der Kolonialzeit kein wirklicher Wandel der Strukturen und der Mentalität stattgefunden. Und eines der positiven Dinge, die fortbestehen, ist das Fest, die Fiesta."

Autorin: Victoria Eglau
Redaktion: Aya Bach