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Die lange Geschichte der Auskunftstelle

Pascal Pfitzenmaier9. März 2005

Gegründet wurde die "Wehrmachtauskunftstelle für Kriegerverluste und Kriegsgefangene" 1939. Ihr Rechtsnachfolger, die "Deutsche Dienststelle", arbeitet noch immer an der Bewältigung der Folgen des Zweiten Weltkriegs.

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Welches Schicksal verbirgt sich hinter diesen Resten eines Wehrpasses?Bild: dpa

"Wir sind vielleicht die einzige Behörde, die seit ihrer Gründung 1939 bis heute durchgearbeitet hat", sagt Peter Gerhardt, stellvertretender Direktor der "Deutschen Dienststelle" - auch Auskunftstelle genannt. Er sitzt in seinem Büro in einer ehemaligen Munitionsfabrik im Norden Berlins. An der Wand hängen Ölgemälde. Darauf abgebildet: Kriegsschiffe der deutschen Marine. Seit über 40 Jahren arbeitet Gerhardt nun schon in der "Deutschen Dienststelle". Begonnen hat er als Praktikant im Marinearchiv.

"Die Archive leben", erzählt Peter Gerhardt. Wir befinden uns in der so genannten Zentralkartei, in der 18 Millionen Soldaten alphabetisch katalogisiert sind. Jedem Soldaten ist eine Karteikarte zugeordnet. "Die Zentralkartei bildet das Herzstück der Auskunftstelle", erklärt Gerhardt. Bei jedem Suchantrag steht sie am Anfang und verweist auf weitere Karteien. Bei Anfragen durch Behörden oder auch Angehörige vermerken die Mitarbeiter diesen Vorgang handschriftlich und aktualisieren so die Zentralkartei.

Besatzungskinder suchen ihre Väter

1939 Einmarsch deutscher Truppen in Polen
Beim Einmarsch deutscher Truppen in Polen am 1.September 1939Bild: dpa

Seit vier Jahren häufen sich Anfragen aus dem Ausland: Kinder deutscher Besatzungssoldaten suchen ihre Väter. "Von ihren Vätern kennen sie häufig nicht mehr als den Vornamen, manchmal den Dienstgrad, eventuell dessen Heimatstadt," erzählt Gerhardt. "In diesem Fall ist die Recherche geradezu kriminalistisch. Die Bearbeitungszeit kann zwischen sechs bis zwölf Monaten dauern." Die Zahl der Suchanträge schätzt Gerhardt auf zehn bis fünfzehn monatlich. Sie kommen aus ehemals deutsch besetzten Ländern wie Norwegen und Dänemark, aus den Niederlanden, Belgien und Frankreich.

Warum es bis heute keine Suchanträge aus dem besetzten Italien oder Osteuropa gibt, kann Gerhardt nur spekulieren. "Ich habe mich kürzlich mit einem italienischen Fernsehteam unterhalten. Sie meinten, die bürgerkriegsähnlichen Zustände im Italien nach dem Krieg hätten die Erinnerung an die Besatzungszeit überdeckt. Aber auch der Katholizismus könnte ein Grund sein: Die Familien haben die Mütter und ihre Besatzungskinder gedeckt."

Anders liegen die Ursachen in Osteuropa, vermutet Gerhardt. Hier sei es bis 1990 politisch unerwünscht gewesen, Fragen nach seiner Herkunft zu stellen. Sollte sich dies noch ändern, so sei dies eine Zeitfrage. Die Kinder der Besatzungssoldaten sind inzwischen über 60 Jahre alt und ihre Väter häufig schon verstorben.

Das Wehrmachtsarchiv diente der Kriegsführung

Die Auskunftstelle ist ein Relikt des Zweiten Weltkriegs. Gegründet wurde die Wehrmachtsbehörde wenige Tage vor Kriegsbeginn, am 26.8.1939. Vordergründig waren ihre Aufgaben humanitär: Das Genfer Abkommen 1929 verpflichtete die Unterzeichner, im Kriegsfall über die Gefangenen Buch zu führen und das Rote Kreuz zu benachrichtigen.

Die Auskunftstelle diente der Wehrmacht aber zunächst einmal der Erfassung der eigenen Soldaten. Im Krieg dokumentierte die Behörde jede Erkrankung, Verwundung oder Vermisstenmeldung ihrer Soldaten. Im Todesfall informierte sie die Angehörigen. Neben diesen humanitären Aspekten sollte die Behörde vor allem eines: die Truppenstärke der Wehrmacht kontrollieren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte die US-Armee das Wehrmachtsarchiv vernichten. Sie fürchtete, Deutschland könnte mit Hilfe des Archivs eine neue Armee aufbauen. Die Franzosen wehrten sich. Sie argumentierten, mit Hilfe des Archivs Franzosen aus russischer Kriegsgefangenschaft befreien zu können, die von der Wehrmacht zwangsverpflichtet worden waren. Mit Beschluss des Alliierten Kontrollrats wurde die Auskunftstelle 1946 der Kontrolle durch die Franzosen unterstellt. Sie zog in den französischen Sektor Berlins.

Archiv in Bewegung

1949 übergab Großbritannien seine Kriegsgefangenenkartei an Deutschland. Frankreich folgte 1952, die USA 1962. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 prüfte die Behörde die Rentenansprüche ehemaliger Wehrmachtsangehöriger aus der DDR.

60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges arbeitet die Behörde noch immer an den Folgen des Krieges. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks sind in der ehemaligen Sowjetunion Archive zugänglich geworden, die das Schicksal vermisster Soldaten klären können. Im ehemaligen Ostblock werden seit Jahren Einzelgräber von Soldaten zu Sammelgräbern vereint. Bei einer solchen Umbettung informiert die Auskunftstelle die Angehörigen. Zugleich aktualisiert sie ihre Kriegsgräberkartei.

Nach Ländern sortiert füllen dies Karteien der Auskunftstelle ganze Räume und Etagen. Die Regale ragen bis zur Decke und der Weg durch die Archive ist Schwindel erregend. Insgesamt archiviert die Behörde am Eichborndamm heute über 45 Tonnen an Akten mit mehr als 10 Millionen Einzelmeldungen. Und noch immer warten viele Schicksale, aufgeklärt zu werden.