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Irans Sängerinnen kennen Quarantäne

Shabnam von Hein
27. April 2020

Für Irans Musikerinnen ist das Leben unter Quarantäne-Bedingungen nichts völlig Neues: Sie kennen es schon seit der Islamischen Revolution. Wie sie damit umgehen, erzählt die Sängerin Massy Ahadi.

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Iranische Musiker unter Quarantäne
Bild: Massy Ahadi

"Seit zwei Monaten können wir nicht aus dem Haus. Mir fehlt der Austausch und das Singen mit den anderen Frauen", erzählt die 40-jährige Sängerin Massy Ahadi im Gespräch mit der DW aus Teheran. Um das Virus einzudämmen, hat die iranische Regierung alle Bürger aufgefordert, zu Hause zu blieben.

"Die Regierung vermeidet das Wort Quarantäne. Sie verlangt von uns, die Abstandsregeln freiwillig einzuhalten. Ich glaube, sie verordnen keine offiziellen Einschränkungen, damit sich die Regierung nicht um die Menschen unter Quarantäne kümmern muss. Es gibt keinerlei staatliche Hilfe für uns im Iran."

Mit Online-Unterricht durch die Krise

Massy Ahadi finanziert ihren Lebensunterhalt mit Gesangsunterricht für Frauen. Frauen, die sich das leisten können, gehören zu den mittleren und oberen Schichten der iranischen Gesellschaft. Für diese Frauen ist es finanziell kein Problem, zu Hause zu bleiben. Manche von ihnen sind durchaus bereit, Unterricht auch online zu nehmen unddafür zu bezahlen. Massy Ahadi macht sich aber Sorgen: Unter dem Einfluss des Virus könnte sich die ohnehin schlechte wirtschaftliche Situation im Iran noch weiter verschlechtern. Dann würde wohl auch die Zahl ihre Schülerinnen noch mehr abnehmen.

Massy Ahadi ist eine bekannte Sängerin. Berühmt ist sie für ihre Interpretation traditioneller iranischer Musik. Legal kann sie nur auftreten, wenn das Publikum allein aus Frauen besteht. Seit der Islamischen Revolution von 1979 ist es Frauen verboten, in der Öffentlichkeit zu singen. In der Folge haben nach der Revolution zahlreiche populäre Sängerinnen das Land verlassen. Viele von ihnen sind in die USA ausgewandert, so wie viele andere Künstler auch. Besonders viele zog es nach Kalifornien. Dort lebt die größte Gemeinschaft von Iranern außerhalb des Landes. Und dort gibt es heute eine florierende iranische Musikindustrie, welche das junge Publikum im Iran mit moderner Popmusik versorgt.

Musikimpressionen aus Iran - Bilder von Arash Ashourinia
Musikerinnen in geschlossenen Gesellschaften im IranBild: Arash Ashourinia

Auftrittsverbot

"Aber die Liebe zur traditionellen Musik ist auch unter den jungen Menschen im Iran nicht erloschen", sagt Massy Ahadi. "Ich unterrichte viele talentierte junge Frauen, die gerne im klassischen traditionellen Stil singen. Dabei ist ihnen klar, dass sie nie in der Öffentlichkeit auftreten dürfen."

Das Auftrittsverbot in der Öffentlichkeit hat in den letzten 40 Jahren die im Iran gebliebenen Sängerinnen und Musikerinnen gezwungen, ihre Kunst ins Innere der Häuser zu verlegen. Sie singen bei privaten Konzerten im Bekanntenkreis und nur vor einem vertrauenswürdigen Publikum.

Selbst prominente Sängerinnen bieten Gesangsunterricht für Frauen an. So war es auch bei der legendären Sängerin Parvaneh Khatereh, die in den 1950er Jahren als erste Sängerin im iranischen Fernsehen auftrat. Khatereh entdeckte dabei auch die talentierte junge Massy Ahadi und unterrichtete sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2008. Auch Massy Ahadi begann, andere Frauen zu unterrichten. Sie gründete nebenbei das Frauenorchester "Mahna", das bis 2015 zahlreiche Frauenkonzerte gab.

"Wir waren erfolgreich. Es war aber auch anstrengend und deprimierend. Wir brauchten für alles eine extra Genehmigung. Zum Beispiel mussten unser Songs genehmigt werden. Die Liedtexte dürfen keine verbotenen Schlüsselwörter enthalten wie zum Beispiel 'küssen' oder 'umarmen'. Die Besucher werden jedes Mal untersucht, die Behörden wollten nicht, dass jemand eine Kamera mit in den Konzertsaal mitnahm."

Online-Auftritt als Ausweg

Selbst wenn alle Auflagen erfüllt waren: Soloauftritte der Sängerinnen vor Publikum blieben verboten, selbst vor einem nur aus Frauen bestehenden Publikum. Ahadi trennte sich von der Gruppe und begann, ihre Lieder als Solistin in privaten Studios aufzunehmen. Soziale Medien und Plattformen wie Youtube geben ihr die Möglichkeit, gesehen zu werden und sich zu präsentieren.

"Ich will mich nicht mehr anpassen. Natürlich weiß ich, dass ich mich gesetzeswidrig verhalte und in Schwierigkeiten geraten kann. Aber ich will raus aus unserer Dauerquarantäne. Eigentlich stehen wir Frauen schon seit 40 Jahren unter Quarantäne."

In der Corona- Zwangspause hat Massy Ahadi begonnen, mit anderen Musikern an neuen Onlinekonzerten von zu Hause aus zu arbeiten. "Das ist eine gemeinsame Erfahrung und ich hoffe sehr, dass es daraus etwas Schönes entstehen kann. Zum Beispiel eine Zusammenarbeit mit anderen Musikern außerhalb des Irans".