1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Die Macht der Echoräume

9. September 2019

In ihrem neuen Buch untersucht die Terrorismusforscherin Julia Ebner die Radikalisierung über das Internet. Dafür begab sie sich in rechtsextreme und dschihadistische Foren. Diese haben einiges gemeinsam. Ein Interview.

https://p.dw.com/p/3PJ8f
Symbolbild UN stellen Aktionsplan gegen Hassbotschaften vor
Bild: picture-alliance/blickwinkel/McPHOTO/C. Ohde

DW: Frau Ebner, "Radikalisierungsmaschinen" heißt Ihr neues Buch. Wie hängen Maschinen und Radikalisierung zusammen?

Der Begriff "Maschinen" bezieht sich zunächst auf Suchmaschinen. Denn es geht darum, wie Extremisten zunehmend die neuen Technologien und die sozialen Netzwerke dazu nutzen, neue Mitglieder anzuwerben und zu radikalisieren. Der Online-Raum hat viele dieser Radikalisierungsdynamiken beschleunigt. Leider gelingt es auch extremistischen Gruppen immer mehr, regelrecht maschinenhaft solche Blasen oder Echokammern aufzubauen, in denen die Radikalisierungsprozesse dann fast schon automatisch stattfinden.

Sie haben sich für Ihr Buch in ideologisch ganz unterschiedliche Foren begeben, rechtsextreme ebenso wie dschihadistische. Funktionieren diese Foren auf vergleichbare Weise?

Sie eint, dass es ihnen sehr schnell gelingt, eine starke Bindung der einzelnen Mitglieder an die Gruppe herzustellen. Das geschieht, indem sie eine eigene Kultur, einen eigenen Wortschatz erschaffen. Die Sozialisierungsprozesse innerhalb dieser Räume sind teils sehr raffiniert gestaltet, so dass sich neue Mitglieder sehr schnell als Teil der Gruppe fühlen und es ihnen schwerfällt, die Gruppe zu verlassen. Die Macher sehen für ihre Foren oft sehr klare Regeln und Strukturen vor, die vor allem für Menschen, die nach Ordnung und klaren Strukturen suchen, genau dies bietet. Sie richten sich an Menschen, die auf der Suche nach ihrer Identität oder auch nach Liebe oder Zugehörigkeit sind.

Das heißt, es geht zunächst gar nicht um Politik, sondern eher um psychologische Bedürfnisse?

Julia Ebner Extremismusforscherin
Die Extremismusforscherin Julia EbnerBild: privat

Ja. Ich wollte mit dem Buch aufzeigen, wie stark viele dieser Prozesse auf psychologischer und soziologischer Ebene verlaufen. Die Gruppendynamiken und sozialen Prozesse spielen auch online eine enorme Rolle. Die Bedürfnisse, die wir auch in der physischen Welt haben, werden online aufgegriffen und dynamisiert. Diesen Umstand hat die Politik bislang noch nicht ausreichend berücksichtigt.

Gibt es so einen sozialen Typus, der für Radikalisierung besonders anfällig ist?

Es gibt teils große Unterschiede. Man stößt in den Foren auf Altersgruppen, die Minderjährige ebenso wie Menschen jenseits der 50 umfassen. Auch der sozioökonomische und Bildungshintergrund variiert. Aber natürlich richten sich sehr viele der einzelnen Gruppen ganz gezielt auch an die jüngeren Generationen. Sie verwenden zum Beispiel ein einschlägiges Vokabular oder Popkulturreferenzen, der der Zielgruppe entsprechen. Die Extremisten rekrutieren besonders in Kanälen, die vor allem von jungen Menschen aufgesucht werden. Generell leiden viele der Interessenten unter einer Identitätskrise. Auch maskuline und Heldenbilder sind von Bedeutung.

Und was sind die Spezifika bei Frauen?

Auch bei ihnen geht es um teils geschlechtsspezifische Themen. Es geht um Themen wie Doppelbelastung oder auch Patchworkfamilien, aber auch zum Beispiel um Online-Dating und die negativen Konsequenzen einer schnelleren Dating-Kultur. Mit solchen Themen kann man im Grunde jede Frau ansprechen. Denn schwache Momente hat jeder einmal. Und genau die werden gezielt ausgenutzt.

Sie beschreiben in Ihrem Buch das Phänomen des "Redpilling". Können Sie das erläutern?

"Redpilling" ist eine Strategie, die erstmals die US-amerikanische Alt-right-Bewegung verwendet hat, die jetzt aber auch die neue Rechte in Europa immer mehr verwendet. Zurück geht sie auf den Film "Matrix". Dort gibt es eine rote Pille. Wenn man die isst, heißt es, sehe man die wahre Welt. Erst durch sie erkenne man die Wahrheit. Entsprechend reden die Extremisten potentiellen Anhängern ein, die meisten Menschen sähen die Welt völlig falsch, und allein sie, die Extremisten, hätten den Durchblick. Die Medien würden zum Beispiel Falschinformationen verbreiten, die es zu durchschauen gelte. Es gibt ganze Handbücher, in denen detailliert erklärt wird, wie man Menschen extreme Ideologien nahebringen kann.

Wie lässt sich gegen diese Echoräume vorgehen? Was empfehlen Sie?

Julia Ebner, Radikalisierungsmaschinen

Es gibt viele Schritte, die noch nicht mal im Ansatz unternommen wurden. Auf politischer Ebene wäre es notwendig, die Algorithmen und Geschäftsmodelle der Netzwerkanbieter so zu regulieren, dass sie nicht mehr extremistischen Inhalten automatisch Priorität geben. Die Tatsache, dass man jetzt, wenn man auf Youtube geht, automatisch mit einem neutralen Account innerhalb von 24 Stunden in einer extremen Echokammer landen kann, sollte man auf jeden Fall verhindern. Das wird aber nicht passieren, solange es keine international abgestimmte Politik dazu gibt. Es braucht eine internationale Koordinierung, denn das Problem ist international. Darum kann die Antwort keine nationale sein.

Und gesellschaftlich? Was kann man tun?

Das ist äußerst wichtig. Bei Menschen, die dabei sind, sich zu radikalisieren, ließen sich viel mehr Programme online starten. Der erste Kontakt kann in radikalen Foren und extremen Netzwerken mithilfe von Psychologen, Aussteigern oder eventuell auch Opfern von Terroranschlägen hergestellt und dann in Form von längerfristigen Deradikalisierungsprogrammen fortgesetzt werden. Es gibt hier erste Pilotprojekte, die sehr gut funktioniert haben.

 

Die Extremismus- und Terrorismusforscherin Julia Ebner arbeitet für das Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD). Im Suhrkamp-Verlag ist jetzt ihr Buch "Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren" erschienen.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika