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Die Macht des Wortes

Nick Pietzonka28. April 2005

Die Piraten treiben ihr Unwesen in Washington, DC. Mittendrin im politischen Leben der USA, im Kapitol. Die Piraten sind Demokraten. Und ihre Waffen sind Worte, endlos viele Worte.

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Amerika streitet um den Filibuster. Der Begriff leitet sich aus dem französischen Flibustier, Piraten, ab. In Washington machen die Piraten aber nicht die See unsicher, sondern sie verunsichern die Republikanische Partei von Präsident George W. Bush. Mit dem Filibuster ist den oppositionellen Demokraten ein parlamentarisches Instrument an die Hand gegeben, mit dem sie im Senat Entscheidungen verhindern können: per Dauerrede. Jedem Senator ist es gestattet, so lange zu reden wie er will. Dabei muss er sich nicht mal an ein Thema halten; er könnte auch das Telefonbuch vorlesen. Ziel solcher Endlosreden ist es, eine anstehende Abstimmung im Senat zu verzögern und sie letztlich zu verhindern.

Checks and Balances

Den Filibuster gibt es seit über 200 Jahren. Demokraten wie Republikaner haben ihn mit Freude eingesetzt oder verachtet - je nachdem ob sie gerade in der Opposition waren oder im Regierungslager. Jetzt ist er den Demokraten heilig. Sie wollen verhindern, dass Präsident Bush auch noch ihre letzte Bastion schleift: die Justiz. Die Republikaner stellen nicht nur den Präsidenten, sie haben auch die Mehrheit im Abgeordnetenhaus und im Senat. Jetzt wollen sie ihren Einfluss verfestigen. Bundesrichter werden in den USA auf Lebenszeit ernannt. Wer jetzt die anstehenden Neueinstellungen durchsetzt, der kann damit rechnen, sein Weltbild für die kommenden Jahre, ja Jahrzehnte an den Gerichten zu etablieren.

Für die Konservativen ist das eine Wunschvorstellung, für die Demokraten der Albtraum. Und deshalb geben sie sich kämpferisch. Viel kämpferischer und geschlossener als viele das erwartet hatten nach den verlorenen Wahlen des vergangenen Jahres. Themen wie Abtreibung, die Homo-Ehe oder Änderungen in der Sozial- und Umweltgesetzgebung wollen sie nicht vor konservativen Gerichten verhandelt sehen. Bislang haben sie alle Kandidaten, die Präsident Bush zu Bundesrichtern ernennen will, allein durch die Androhung des Filibuster verhindert. Denn einem dauerredenden Senator kann zwar das Wort entzogen werden, aber nur mit den Stimmen von 60 der 100 Senatoren. Die Republikaner stellen aber nur 55. Allein die Ankündigung des Filibusters genügt deshalb, um eine Entscheidung zu verhindern und hinter den Kulissen Gespräche über mögliche Kompromisse in Gang zu setzen. Genau deswegen gibt es den Filibuster auch: Er soll Minderheitenrechte gewähren und den Konsens fördern. Checks and Balances.

Uneinigkeit in den eigenen Reihen?

Die Republikaner geben sich aber wenig konziliant und drohen der Opposition. Der Filibuster, diese "Tyrannei der Minderheit“, soll abgeschafft werden - wenn auch zunächst nur bei der Bestätigung von Richtern. Die Möglichkeit dazu haben die Republikaner. Für eine grundsätzliche Abschaffung genügt nämlich schon die einfache Mehrheit der Stimmen, also 51. Doch noch ist nicht sicher, ob überhaupt alle republikanischen Senatoren dem zustimmen würden. Schließlich stehen in drei Jahren wieder Wahlen an. Gewinnen dann die Demokraten, könnte man sich den Filibuster sehnlichst zurück wünschen. Uneinigkeit in den eigenen Reihen ist derzeit aber das letzte, was die Republikaner gebrauchen können. Schlimm genug, dass etwa John Bolton, der Kandidat Bushs als UN-Botschafter, bislang noch nicht bestätigt wurde. Und das auch, weil republikanische Senatoren Zweifel an seiner Eignung haben.

Auch die Bevölkerung hängt offenbar am Recht zur Marathonrede. Nach einer Umfrage wollen 66 Prozent der Befragten nicht, dass die Regierung ihre Richter durchdrückt, in dem sie den Filibuster aushebelt. Die den Demokraten nahe stehende Bürgerrechtsorganisation People for the American Way hat zur Rettung einen fünf Millionen Dollar teuren Werbespot ins Fernsehen gebracht. Darin sagt Ted Nonini, ein Feuerwehrmann, der mehrfach die Republikaner gewählt hat, dass er froh sei, dass seine Partei das Weiße Haus und den Kongress kontrolliere: „"Aber wir haben ein Zwei-Parteien-System - und Amerika ist am Besten, wenn keine Partei die absolute Macht hat. Also, schreiben Sie Ihrem Senator noch heute und lassen Sie niemanden den Filibuster umbringen!“

Sauna und Dauerrede

Die Diskussion wird hoch emotional geführt. Die Demokraten drohen für den Fall der Fälle sogar damit, dem Senat ganz fernzubleiben und das politische Leben somit zum Erliegen zu bringen. Der Präsident der amerikanischen Handelskammer hat beide Seiten zum Kompromiss aufgerufen. Die Angst vor Stillstand greift um sich. Deshalb wird hinter verschlossenen Türen verhandelt und ein Ausweg aus der verfahrenen Situation gesucht. Kompromissvorschläge, etwa nur den Demokraten besonders unliebsame Richter zu blockieren, andere aber zuzulassen, wurden bislang abgelehnt. Der Ausgang des Streits ist noch völlig offen.

Offen ist somit auch, ob Senator Strom Thurmond für immer als Rekordhalter in die Geschichte eingeht oder ob er noch Herausforderer fürchten muss. Thurmond hatte 1957 die bislang längste Filibuster-Rede gehalten. Sein Rekord steht bei 24 Stunden und 18 Minuten ununterbrochener Rede. Damit er nicht zwischendurch auf die Toilette muss, soll er sich mit einem Saunagang vorbereitet haben, um möglichst viel Flüssigkeit zu verlieren.