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Die mutigen Männer von Washington

Konstantin Klein 28. Januar 2002

"Lebt Euer Leben, wie Ihr es immer gelebt habt" - diese Aufforderung an ihre Mitbürger wiederholen US-Politiker seit den Terroranschlägen am 11. September wie ein Mantra. DW-TV-Korrespondent Konstantin Klein erklärt.

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Nein. Die Terroristen haben nicht gewonnen. Die Washingtonians leben, wie sie immer gelebt haben. Sie lassen sich doch von so ein paar Fanatikern nicht ins Bockshorn jagen.

Sie gehen wie immer unbekümmert an Bord von Flugzeugen. Das heißt, nachdem sie ihr Gepäck zweimal durchwühlen lassen mußten, zweimal ein amtliches Ausweispapier vorgezeigt haben und sich bis auf die Strümpfe ausgezogen haben (was die Schuhe angeht - Hemd und Hose dürfen sie noch anbehalten). Sonst hat sich nichts geändert.

Sie fahren mit ihren Gästen von außerhalb nach wie vor unbekümmert zum Weißen Haus. Die beliebte Sightseeing-Tour durchs Weiße Haus muß zwar entfallen - aus Sicherheitsgründen. Aber sie leben ihr Leben, wie sie es immer gelebt haben. Und von außen ist das Weiße Haus doch auch ganz schön.

Leider fällt auch der Besuch der Westterrasse des Capitols flach, von der aus man immer diesen wunderbaren Blick über Washington hatte. Aus Sicherheitsgründen gesperrt, das müssen sie doch verstehen. Aber sie sollen sich bloß nicht beeindrucken lassen.

Und auch die Lieblingsbeschäftigung eines politisch denkenden Amerikaners, das Schreiben von Briefen an den hauseigenen Abgeordneten oder Senator oder gleich den Präsidenten, muß derzeit leider entfallen - seit den Milzbrandfällen im Oktober nehmen weder Weißes Haus noch Kongress Briefpost und Pakete an. Faxe und Email sind erlaubt. Noch.

Es sind die mutigen Männer, die in Washington das Sagen haben. Die das Abgeordnetenhaus gleich für eine halbe Woche dicht machen, wenn im Senat - wohlgemerkt: in der ANDEREN Kammer des Kongresses, in einem ganz anderen Bürogebäude! - ein Milzbrandbrief entdeckt wird. Die den Vizepräsidenten vor der Öffentlichkeit so effektiv verstecken, daß die ersten schon vergessen haben, wie er eigentlich heißt. Oder aussieht. Die den offiziellen Weihnachtsbaum vor dem Weißen Haus - sonst ein Anziehungspunkt erster Güte - zum Hochsicherheitsbaum erklären. Die alle Touristenattraktionen Washingtons mit Betonbarrieren verrammeln und verschandeln - mit diesen Barrieren, die sowohl gegen Flugzeugattentäter als auch gegen Milzbrandbriefverschicker so wirksamen Schutz bieten. Die den Washingtonians und ihren Gästen sagen, daß all diese Schutzmaßnahmen auf unbestimmte Zeit ergriffen werden. Nicht "für immer", aber auf unbestimmte Zeit.

Und die ihnen sagen, sie sollen doch bloß ihr Leben so wie immer leben. Sonst hätten die Terroristen gewonnen.