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Die neuen deutschen Soldaten

24. Juni 2011

Das Deutsche Theater Göttingen bringt den Krieg auf die Bühne. Es durchforstet die Erlebnisse deutscher Soldaten von heute im Auslandseinsatz. Ehemalige und Aktive haben den Theatermachern ihre Geschichten erzählt.

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Szene aus dem Theaterstück "Soldaten" des Deutschen Theaters Göttingen", feiert am 24.6.2011 Premiere (Foto: DTG)
Bild: Deutsches Theater Göttingen

Ein Mann in Bundeswehruniform steht mitten in einem halbdunklen Raum, leise fängt er an zu erzählen, von 20 bis 25 scharfen Beschüssen zu jeder Tages- und Nachtzeit, davon dass schon am ersten Tag abgezählt wurde und jeder zweite raus musste vors Camp, da wo es nur Sand gab - zum Sandsäcke füllen. Und schliesslich vom Beschuss durch feindliche Scud-Raketen und dem Moment, in dem man seinen Spaten fallen lässt, den Schutzanzug anzieht und einfach dasteht, bis es vorbei ist.

Der Mann ist kein echter Soldat, er ist einer der Schauspieler im Theaterstück "Soldaten". Einem Stück über Männer im Kriegseinsatz, die aus einem Land kommen, von dem man lange nicht gedacht hätte, dass es wieder Soldaten in Auslandseinsätze schickt. Männer, die seit mehr als zehn Jahren etwas tun, was man sich in Deutschland nach der düsteren Zeit des Dritten Reiches nicht vorstellen konnte - sie sind im Krieg. Oder in einem Zustand, der von deutschen Politikern lieber als kriegsähnlich bezeichnet wird.

Die Macht der Gewohnheit

Waren Anfangs noch die Proteste gegen einen möglichen Einsatz der Bundeswehr im Ausland groß, hat mittlerweile eine Gewöhnung eingesetzt, so scheint es. Kaum jemand regt sich noch darüber auf, wenn deutsche Soldaten in Afghanistan oder am Horn von Afrika stehen. Aber was tun sie dort eigentlich und wie geht es ihnen? Immer mal wieder sind Soldaten in den Medien, wenn es wieder einen verheerenden Anschlag gegeben hat oder wenn die unzureichende Ausrüstung der Bundeswehr bemängelt wird - aber was sagen die Männer, die ihren Kopf hinhalten dazu? Die Göttinger Theatermacher wollten es herausfinden.

Szene aus dem Theaterstück "Soldaten" des Deutschen Theaters Göttingen", feiert am 24.6.2011 Premiere (Foto: DTG)
Bild: Deutsches Theater Göttingen

"Unsere Grundüberlegung war, dass wir nach einem zeitgemäßen Soldatenbild suchen wollten" sagt die Regisseurin des Stücks, Julia Roesler. Sie hat das Rechercheprojekt "Soldaten" des Deutschen Theaters sorgfältig vorbereitet. Mit mehr als 20 Männern, die im Einsatz waren oder noch sind, hat sie gesprochen und ein authentisches Bild entworfen. Roesler sagt, sie wolle das Publikum mitnehmen zu den Schauplätzen und ihm eine Chance geben sich damit auseinanderzusetzen, dass Bundeswehrsoldaten wieder auf der ganzen Welt an Kriegseinsätzen teilnehmen. Zugleich wolle sie zeigen, welchen Einfluss diese Einsätze auf den Soldaten als Mensch haben.

Das Publikum geht mit an die Front!

Fünf Schauspieler halten meist Monologe oder diskutieren miteinander als säßen sie in einem beliebigen Feldlager irgendwo in einem Krisengebiet. Sie fragen sich nach dem Sinn des Einsatzes oder reden über ihre Gefühle, darüber wie sie jetzt über ihre Entscheidung zur Armee zu gehen denken, jetzt, da sie wirklich im Krieg stecken, womit die meisten nie gerechnet hätten, weil sie dachten die Bundeswehr sei ein sicherer Arbeitgeber. Die Schauspieler erzählen Geschichten aus dem Leben ihrer Rollenvorbilder, ungeschönt im direkten und unzensierten Sprachduktus, der an der Front zu erwarten ist. Die Zuschauer bekommen ein Gefühl dafür, wie es sein muss zum Beispiel in der Wüste Kuwaits bei 40 Grad im Schatten seinem Auftrag nachzukommen.

Szene aus dem Theaterstück "Soldaten" des Deutschen Theaters Göttingen", feiert am 24.6.2011 Premiere (Foto: DTG)
Bild: Deutsches Theater Göttingen

Martin Schnippa ist einer der Schauspieler, der eindringlich die Gefühle eines Soldaten schildert, der ständig darauf vorbereitet sein muss, von irakischen Scud- Raketen mit chemischen und biologischen Waffen getroffen zu werden und in voller Schutzmontur mit Gasmaske steckt: "Wenn man mit diesen Scheiss-Schutzanzügen durch 40 oder 50 Grad Hitze gelaufen ist, dann muss man ja auch mal duschen, und dann gibt es währenddessen auch mal Beschuss - und was willst du da machen - ja, klar, nix, dann duschst du einfach weiter. Das sind so Momente, in denen man mit dem Leben abschließt. Und davon gab es verdammt viele."

Wohin mit den Soldaten nach dem Einsatz?

Körperlich erschöpft, seelisch gebrochen, jahrelang an den Erinnerungen an diese Extremsituationen leidend kommen viele deutsche Soldaten aus den Auslandseinsätzen zurück. Regisseurin Julia Roesler sagt, das Stück sei nicht nur vor dem Hintergrund des Libyen-Konflikts aktuell, es solle auch verdeutlichen, wo überall in der Welt deutsche Soldaten kämpfen und gekämpft hatten - und oft nicht mehr wissen, wofür eigentlich.

Zwischen zehntausenden leeren Patronenhülsen deklamieren die Schauspieler ihre Texte. Mehr Bühnenbild braucht es nicht im alten Speicher der Saline Luisenhall, in der die Aufführung stattfindet. Die Stimmung ist fast gespenstisch ruhig und nachdenklich. Was ist aus den Männern geworden, die dieses Land in den Krieg geschickt hat? Zumindest eine Antwort auf die Fragen, die das Stück aufwirft, gibt Regisseurin Rösler, nämlich die Antwort auf die Frage nach der Verantwortung für die Rückkehrer. Sie sagt, die deutsche Regierung, die mehrheitlich gewählt worden ist, habe die Soldaten in die Auslandseinsätze geschickt. Und wenn sie dann krank zurückkämen, müsse die Gesellschaft sich auch um sie kümmern.

Autor: Jürgen Jenauer

Redaktion: Marlis Schaum