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Die neuen Rabbiner aus Deutschland

Lydia Heller11. Mai 2006

Rund 200.000 Mitglieder zählen die jüdischen Gemeinden in Deutschland - zehnmal mehr als vor der Maueröffnung. Doch nur 23 Rabbiner betreuen die 120 Gemeinden. Nun wird auch in Deutschland Nachwuchs ausgebildet.

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Personalmangel: Kölner SynagogeBild: dpa

Vor allem zugewanderte Juden aus Osteuropa prägen das neu entstehende jüdische Leben in Deutschland. Die Rabbiner in Deutschland wurden allerdings bislang in den USA, in Israel oder in England ausgebildet - bis jetzt. Denn am 13. und 14. September 2006 werden in der Dresdner Synagoge die ersten drei Rabbiner ordiniert, die ihre Ausbildung am Potsdamer Abraham-Geiger-Kolleg durchlaufen haben. Es ist die einzige Ausbildungsstätte dieser Art in Deutschland und das erste Rabbinerseminar in Zentraleuropa nach der Shoa.

Praxis ist Pflicht

Der Raum ist dunkel, winzig und bis unter die Decke vollgestopft mit Büchern. Draußen rumpeln S-Bahnen vorbei. Es ist zwei Uhr nachmittags. Das Hebräisch-Seminar ist gerade vorbei - der Arbeitstag von Yuri Kadnykov noch lange nicht: Neben seinem Studium betreut er eine Gemeinde in Mecklenburg - und am Wochenende stehen Feierlichkeiten an. Es gibt noch eine Menge vorzubereiten.

Synagoge in Rykestrasse Berlin
Synagoge in BerlinBild: dpa Zentralbild

Praktische Gemeindearbeit ist Pflicht für die zwölf Kommilitonen. Sie sind aus der Ukraine hierher gekommen, aus Tschechien, Russland, Schweden, sogar aus Südafrika. Sie alle wollen Rabbiner werden - und dafür absolvieren sie in fünf Jahren ein imposantes Programm: "Es wie ein Doppelstudium", erklärt Erstsemester Adrian Schell. Die Studenten durchlaufen an der Universität ein Vollstudium zum Magister in Jüdischen Studien. "Zusätzlich macht man dann am Kolleg in Berlin eine Ausbildung obendrauf als Rabbiner. Das heißt also, wie gehe ich mit den Quellen um, wie finde ich sie?", sagt Schell. Dazu gehören auch Alltagsfragen von der Geburt bis zum Tod. "Also der Lebenszyklus - wie begleite ich Leute darin? Oder die Liturgie - auch wenn wir unterschiedliche Gesangsqualitäten haben, wir müssen alle die Grundlagen doch lernen."

Schell belegt jüdische Philosophie und Geschichte, Bibelkunde, Religionsgeschichte und Pastoraltheologie an der Uni Potsdam. Dazu kommen Psychologie und Seelsorge am Kolleg in Berlin. Außerdem nimmt er Sprachunterricht. Die angehenden Rabbiner lesen die Tora und den Talmud, die grundlegenden Schriften des Judentums selbstverständlich im Original auf hebräisch und aramäisch. Allgemeine Unterrichtssprache wiederum ist Deutsch.

Bedenken wegen Deutschland

Dass das auch die Sprache des Landes ist, von dem der Völkermord an den Juden ausging, dass hier, im Täterland, nun wieder Rabbiner ausgebildet werden - das ist für die Studenten immer weniger ein Problem. Dennoch - die Bedenken sind noch lange nicht ausgeräumt, sagt Kolleg-Rektor Walter Homolka. So hätten sie gerade in den Anfangsjahren sehr viele bedenkliche und vorsichtige Reaktionen bekommen. Er könne das gut nachvollziehen, sagt Homolka. "Es gab einen holländischen Kollegen, der gesagt hat, er kann mir nicht verzeihen, dass wir auf der Asche der sechs Millionen hier wieder die Tora unterrichten", sagt der Rektor. "Aber auf der anderen Seite, unter pragmatischen Gesichtspunkten, war das der einzig mögliche Weg. Ich denke, dass wir hier Multiplikatoren ausbilden, die dazu beitragen können, ein modernes Deutschland-Bild in der jüdischen Gemeinschaft der Welt zu entwickeln."

Liberales Judentum

Das Abraham-Geiger-Kolleg gilt als Ausbildungsstätte des liberalen, nicht-orthodoxen Judentums. Eine Strömung, so Homolka, auf deren Entwicklung vor allem im wissenschaftlichen Bereich die zentraleuropäischen Juden des 19. Jahrhunderts großen Einfluss hatten. "Das Bemühen deutscher Juden, hier als Staatsbürger Anerkennung zu finden und gleichzeitig aber ihre Tradition als Juden weiterleben zu können - das war ein zutiefst deutsches Problem. Und deshalb hat sich also in diesem Umfeld - Österreich-Ungarns und Deutschlands - diese Richtung besonders entwickelt."

Schon im 19. Jahrhundert versuchte der Berliner Rabbiner Abraham Geiger, jüdischer Theologe und Namensgeber des Kollegs, jüdische Theologie an einer deutschen Universität zu verankern. Aber erst mit der Gründung des Abraham-Geiger-Kollegs als Teil der Universität Potsdam 1999 wurde es schließlich möglich, dass die Vorbereitung auf das jüdisch-geistliche Amt in der akademischen Freiheit einer Universität stattfinden kann. An einem Rabbinerseminar gibt es dagegen nur Juden.

Auch für Frauen

Anders als in orthodoxen Rabbinerseminaren können sich am Abraham-Geiger-Kolleg zum Beispiel auch Frauen ausbilden lassen. Die Studenten studieren hier, um ihre Tradition mit der alltäglichen Lebenswirklichkeit in Einklang zu bringen, nicht andersherum, sagt Yuri Kadnykov.

Aber auch umgekehrt gilt: Wer orthodox leben will, soll das tun. Abgrenzen will man sich nicht am Kolleg. Und schließlich gibt es ja auch noch einen ganz pragmatischen Grund, für die Rabbinerausbildung das deutsche Abraham-Geiger-Institut zu wählen: Anders als in England oder den USA gibt es in Potsdam und Berlin keine Studiengebühren.