1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Moderne Segel

Jörn Iken22. September 2008

Die Handelsschifffahrt ist für etwa vier Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Dies und die explodierenden Treibstoffkosten haben neue Ideen entstehen lassen – zum Beispiel Zugdrachen für Frachtschiffe.

https://p.dw.com/p/FJ4A
Die MS Beluga SkySails, Quelle: Werksfoto
Die MS Beluga SkySailsBild: SkySails GmbH & Co. KG

Lutz Held ist bei der Bremer Reederei "Beluga Shipping" so etwas wie ein Testkapitän – er fährt die neuen Schiffe ein. Ein Mann mit mehreren Jahrzehnten Erfahrung, der die ganze Welt gesehen hat. Anfang Januar übernahm er einen ganz besonderen Job. "Wir sind von Bremen über den Nordatlantik nach Venezuela gefahren, dann durch die Karibik nach Mississippi, haben dort geladen und dann wieder retour nach Norwegen."

Probleme mit Wellen

Normalerweise ist an dieser Reiseroute nichts Besonderes. Der 57-jährige Heldt war jedoch der erste Kapitän, dessen Schiff Beluga Sky Sails dabei von einem Drachen gezogen wurde. Im Prinzip wie beim Drachensurfen, nur etwa 80 Mal größer. Der Zugdrachen ist allerdings nur ein Hilfsantrieb und unterstützt die Hauptmaschine. Der 160 Quadratmeter große, rechteckige Drachen fliegt in 300 bis 500 Meter Höhe dem Schiff voraus. Ein starkes Verbindungsseil zieht an der Spitze des Schiffes, das dadurch bis zu einem Drittel des Treibstoffs einsparen soll. Das kleine Hamburger Unternehmen Sky Sails hat das System entwickelt.

Auch das Unternehmen Kite For Sail LLC in Martinez, Kalifornien, beschäftigt sich mit Lenkdrachen als Antriebsquelle, Quelle: Werksfoto
Auch das Unternehmen Kite For Sail LLC in Martinez, Kalifornien, beschäftigt sich mit Lenkdrachen als AntriebsquelleBild: Kite For Sail LLC

Es habe grundsätzlich funktioniert, sagt Heldt. "Wir hatten allerdings zu Anfang große Schwierigkeiten mit der Start- und Landeprozedur. Das hat sich nach einer gewissen Zeit normalisiert."

Zu schaffen machten dem Drachen vor allem lange, hohe Wellen – die so genannte Dünung. "Das Problem mit der Dünung ist, dass das Schiff sehr weit hoch und runter geht, eintaucht und man diese Bewegung nicht von vornherein berechnen kann", erklärt Heldt. "Das Seil strafft sich, zieht den Drachen mit sich runter. Das heißt, die Flugfähigkeit wird verändert, weil der Drachen kippt und dadurch die Gefahr eines Absturzes besteht."

Bis zehn Prozent Ersparnis

Heldt und seiner Mannschaft ist genau das schon Mal passiert. Sechs Stunden hat es gedauert, bis der Drachen wieder an Bord war. Trotz dieser Probleme hat der Drachen aber unterm Strich das getan, was er eigentlich tun sollte: Treibstoff sparen. "Wenn wir den Drachen bei optimalem Wind oben hatten, haben wir mindestens 20 Prozent Treibstoff eingespart", sagt Heldt.

Bereits 2006 wurde die Französin Anne Quéméré zur ersten Person, die in nur 55 Tagen den Nordatlantik mit einem Drachen-gezogenen Boot durchquert, Quelle: Anne Quéméré
Bereits 2006 wurde die Französin Anne Quéméré zur ersten Person, die in nur 55 Tagen den Nordatlantik mit einem Drachen-gezogenen Boot durchquertBild: Anne Quéméré

Die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des Systems bestätigt auch der Reeder Gerd Wessels aus dem emsländischen Haren. Die Familienreederei hat sich auf Frachter für Massengut wie etwa Zement spezialisiert. Wessels sammelte ebenfalls schon erste Erfahrungen mit einem Zugdrachen. Weil der Wind allerdings nicht immer optimal blase, beziffert er die Treibstoffersparnis insgesamt auf nur acht bis zehn Prozent pro Reise. Trotzdem will er weitere zwei seiner 35 Schiffe mit dem Zugdrachen ausrüsten. "Denn bei einem Gesamtvolumen für Treibstoff von 8 bis 10 Millionen Dollar pro Jahr ist auch das eine Riesenersparnis."

Auch ökologisch macht das Sinn: Die Handelsschifffahrt ist für etwa vier Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Problematisch ist auch der hohe Anteil an Staub, Schwefel und Stickoxiden in den Abgasen.

Für Containerschiffe ungeeignet

Die ersten Alltagserfahrungen mit dem Zugdrachen machen aber auch eine grundsätzliche Einschränkung deutlich. "Für Containerschiffe wird sich das System nicht etablieren, weil die einfach zu schnell sind", meint Kapitän Heldt. "Wir können mit diesem System optimal arbeiten, wenn ein Schiff bis zu 15 Knoten läuft. Danach ist es relativ sinnlos, den Drachen arbeiten zu lassen."

15 Knoten sind knapp 30 Kilometer pro Stunde. Die schnell fahrenden und über 300 Meter langen Containerschiffe wohl auch in Zukunft ohne Zugdrachen die Meere befahren. Nach heutiger Sicht der Dinge kann der Windantrieb für die meisten Schiffe nur eine kleine Rolle spielen. Unabhängig davon sieht Kapitän Lutz Heldt neuen Aufgaben entgegen. Er testet demnächst einen doppelt so großen Zugdrachen. "Ich freue mich drauf", sagt er. "Es ist eine Herausforderung, die in der Seefahrt nicht alltäglich ist."