1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Lateinamerika und die Oktoberrevolution

Amir Valle
7. November 2017

In ihrem Kampf gegen "den imperialistischen Feind" zeugen die aktuellen Strategien der Linken und der revolutionären Bewegungen vom nachhaltigen Einfluss der Oktoberrevolution in Lateinamerika.

https://p.dw.com/p/2nESO
Kolumbien Bogota FARC-Delegierte
Bild: DW/T. Käufer

Der Jahrestag der Oktoberrevolution ist in Russland noch für Nostalgiker des Sozialismus und altersschwache Zeitgenossen von Bedeutung. Auch im Westen ringt die europäische Linke mit der zunehmenden Bedeutungslosigkeit der russischen Revolution von 1917 für die aktuellen politischen Auseinandersetzungen. Nur in Lateinamerika belegen die Ereignisse der letzten zehn Jahre in Ländern wie Venezuela, Nicaragua, El Salvador, Honduras, Kolumbien, Bolivien und - natürlich - in Kuba den starken Einfluss dieses historischen Ereignisses auf das Zeitgeschehen.

Nehmen wir ein Beispiel: Die jüngste Rede von Rodrigo Londoño alias "Timochenko" zu seiner Kandidatur als Präsidentschaftskandidat seiner Partei, der linksgerichteten FARC, war voll von den gleichen antiimperialistischen Losungen, die man schon in den Siebzigern und Achtzigern in den Reden der Führer der sandinistischen Nationalen Befreiungsfront in Nicaragua, der Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí in El Salvador, den Tupamaros in Uruguay, der Volksarmee Boricua in Puerto Rico, der Peronistischen Bewegung Montonero in Argentinien und selbst in den menschenverachtenden Ansprachen der Anführer des Leuchtenden Pfades in Peru.

Anfängliches Misstrauen gegenüber Kuba

Balkon-Galerie  Fidel Castro 1984
Fidel Castro 1984Bild: picture-alliance/dpa/UPI

Der Triumph der kubanischen Revolution und die Strategie von Fidel Castro, Kuba zum Hauptprotagonisten der Ausweitung des revolutionären Prozesses "von Demütigen und für die Demütigen" gegenüber den übrigen Ländern Lateinamerikas und der Karibik zu machen, schmälerten den sehr starken Einfluss der Ideale der russischen Revolution in der Region. Aber obwohl die kubanische Führung in den ersten Jahren von einigen progressiven lateinamerikanischen Politikern und Bewegungen kritisiert wurde, verschwanden all diese Meinungsverschiedenheiten fast vollständig, als die Beziehungen zwischen Havanna und dem Kreml enger wurden.

Die von Moskau abhängigen internationalen politischen Organisationen, an deren Spitze die Kommunistische Internationale stand, hielten jahrzehntelang eine obsessive Durchdringung der lateinamerikanischen Institutionen und Volksbewegungen aufrecht. Als die kubanische Revolution sozusagen zum Sprecher und zur Koordinationsstelle der linksgerichteten Bewegungen in Lateinamerika wurde, intensivierte sich die ideologische Infiltration mit Havanna als Ausgangspunkt. Das Bemerkenswerte am weiteren Prozess war die Abkoppelung des Mythos der Oktoberrevolution von den Fehlern und Verbrechen Josef Stalins. Stattdessen betonte man die revolutionären Theorien Lenins und das Vermächtnis anderer europäischer Marxisten wie Marx, Engels, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg.

Das sowjetische Modell ist kein Vorbild

Nicaragua Vizepräsidentin Rosario Murillo und Präsident Daniel Oterga in Managua
Nicaraguas Vizepräsidentin Rosario Murillo mit ihrem Ehemann Präsident Daniel OrtegaBild: picture-alliance/dpa/CCC/El 19 Digital

Dieser Bezugsrahmen ist noch heute aktuell. In den meisten Reden der gegenwärtigen Erben der russischen Revolution, wie zum Beispiel bei der Internationalen Konferenz der marxistisch-leninistischer Parteien, die 1994 in Ecuador gegründet wurde, wird das Versagen des Sozialismus in der UDSSR und in den Ländern Osteuropas akzeptiert, und die These beibehalten, dass nicht das sozialistische Model als solches gescheitert ist, sondern dessen praktische Anwendung.

Doch das lateinamerikanische Ersatzmodell, die kubanische Revolution und die jüngsten Ansätze eines Sozialismus des 21. Jahrhunderts, haben auch nicht die sozialen Spannungen in der Region abbauen könne, sie zum Teil sogar eher verschärft. Sie haben Gesellschaften gespalten, korrupte Politiker an die Macht gespült, ein riesiges soziales Chaos geschaffen und eine permanente Diaspora ausgelöst. Das alles erstaunt umso mehr zu einem Zeitpunkt, an dem die Präsidentschaft von Donald Trump die solide Grundlage für einen antiamerikanischen und anti-imperialistischen Diskurs und die Revitalisierung sozialistischer Ideen bedeuten könnte. Stattdessen applaudieren die Anführer der revolutionären Linken zur Verhaftung von Dissidenten in Kuba und Venezuela, rechtfertigen die Angriffe auf die Pressefreiheit in Nicaragua und Ecuador, fordern den venezolanischen Präsidenten Maduro dazu auf, mit harter Hand gegen die Opposition vorzugehen, und akzeptieren die Ansprüche Daniel Ortegas, in Nicaragua weiter an der Macht zu bleiben.

All dies sind just die repressiven Verhaltensweisen, die man sonst Josef Stalin als großen Zerstörer des humanistischen Erbes der Oktoberrevolution in die Schuhe schiebt.