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Retter des Vinyls

Silke Wünsch15. Oktober 2015

Die DJs blieben auch mit dem Siegeszug von CD und MP3 der Schallplatte treu. Vor allem ihnen ist es zu verdanken, dass die Plattenfirmen die Vinylproduktion nicht gestoppt haben.

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Symbolbild DJane
Bild: Colourbox/Lev4

Die CD war Ende der 1980er Jahre nicht mehr aufzuhalten. Doch eine Gruppe Unbeugsamer gab es, die der Schallplatte die Treue gehalten haben. Es waren und sind die DJs. Sie schwören auf den analogen und organischen Sound, vor allem auf die tiefen und warmen Bässe, die in Clubs und Diskotheken angesagt sind.

Patrick ist einer der DJs, die dem Vinyl ihre Treue gehalten haben. Er liebt Funk, Soul, Hip Hop bis hin zu Jazz und Klassik. Sein Musikgeschmack ist vielfältig, seine Wohnung ist von Platten "überwuchert", erzählt er. Wie viele er genau hat, weiß er nicht. Klar hat er auch CDs und jede Menge MP3s auf seinem Rechner, aber fürs Auflegen kommt für ihn nur Vinyl in Frage.

DJ Patrick (Foto: Patrick Ruppert)
Musikfreund und -kenner PatrickBild: Patrick Ruppert

Ein MP3-File sei nichts anderes als komprimierte Musik, sagt Patrick. "Wenn man in Discos und Bars unterwegs ist, wo DJs am Werk sind, die sich nicht die Mühe gemacht haben, ihre Musik in Top-Qualität zu digitalisieren, sondern alles in niedrige MP3-Qualität runterrechnen, dann hört man das sofort." Die Höhen werden undeutlich, "matschig" nennt Patrick das, und bei Gesangsstimmen kann ein Lispel-Effekt entstehen.

Schlepperei gegen digitalen Müll

Wichtig ist für Patrick auch der Umgang mit den Plattenspielern. "Das ist ein bisschen, wie wenn man ein Instrument spielt", findet er. "Wenn man zwei Songs ineinander mixt, dann muss man sich voll und ganz auf sein Gefühl verlassen." Bei digitalen Medien sind die Geräte schon so ausgestattet, dass die Stücke automatisch im richtigen Tempo zusammengemixt werden können. Da rümpft ein überzeugter Vinyl-DJ schon mal mit der Nase: Hier ist Handarbeit angesagt. Man muss alles mit seinem Gehör und vor allem mit seinen Händen machen." Diese intensive Arbeit mit der Musik möchte Patrick nicht missen, und dafür nimmt er es auch gerne in Kauf, zwei große schwere Koffer mit Platten zu seinen Jobs zu schleppen.

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DJ und Autor Hans Nieswandt
Bild: picture-alliance/dpa

DJs aus Leidenschaft

Viele DJs, die mit Vinyl arbeiten, haben es sich zur Aufgabe gemacht, eher seltene Musik unters Volk zu bringen. So laufen in den einschlägigen Clubs sogenannte "Rare Tracks", Aufnahmen, die man erst nach langem Suchen und Recherchieren findet. Plattenläden, vor allem Antiquariate, sind der richtige Ort dafür; anders als im Internet kann man hier in die Pllaten reinhören und sie auf ihren Zustand überprüfen. Gefragt sind besondere Musikrichtungen – Northern Soul, Funk, Minimal House, aber auch Punk, Wave oder besondere Remixe. Das Credo der Vinyl-DJs ist: Alles außer Mainstream, Musikmassenware ist tabu. Jeder DJ freut sich, wenn er Songs spielt, die kein anderer hat, und wenn er sein Publikum mit tollen, aber unbekannten Sachen auf die Tanzfläche bringt.

Schallplatten im Jazzlokal

Das "Metronom" ist eine über 40 Jahre alte Jazzkneipe in Köln. Hier klebt der Gilb von Jahrzehnten an der Wand - früher wurde hier extrem viel geraucht. Alles ist voll mit Fotos berühmter Jazzmusiker, dazwischen hängen alte Schallplatten. Hinter der Theke stehen Wirt Mike und und sein Mitarbeiter, hinter ihnen die übliche Batterie von alkoholischen Getränken, ganz oben stehen die Flaschen mit den teuren Whiskeys. Daneben ein sehr langes Regal mit Schallplatten. Es sind ausschließlich Jazzplatten, geordnet nicht etwa nach Künstlern, sondern nach den wichtigsten Instrumenten des Jazz.

In einem Fach darunter schlägt das Herz des Metronoms: Dort steht der Plattenspieler, auf dem sich immer eine Jazzplatte dreht, seltene Aufnahmen, bekannte Aufnahmen. Einige klingen noch ganz frisch, andere dafür schon ziemlich "knusprig". An die 2000 Platten sollen hier stehen, meint "Metronom"-Chef Mike, aber so genau wisse er es nicht.

Legenden auf Platte

An der Theke sitzt Walter, 70 Jahre alt, und trinkt ein Pils. Er erzählt stolz, dass er beim legendären Köln Konzert von Keith Jarrett war, er erinnert sich noch daran, dass Jarrett eigentlich gar nicht spielen wollte, weil der Flügel verstimmt war. Letztendlich habe er es doch getan, weil die Konzertveranstalterin sich quasi vor sein Auto geworfen habe, als der Jazzpianist wieder abreisen wollte. "Hätte Jarrett geahnt, dass daraus das meistverkaufte Klavierkonzert aller Zeiten werden sollte, dann hätte er nicht so rumgezickt", kommentiert Mike trocken.

Hinter der Theke der Musikkneipe "Metronom" (Foto: DW/Silke Wünsch)
Plattenregale hinter der Theke im "Metronom"Bild: DW/Silke Wünsch

Seelenloser Silberling

Mike ist ein wandelndes Jazzlexikon. Zu fast allen Platten kann er sagen, wann die Aufnahmen entstanden sind, wer da mit wem spielt, wer die schlimmste Diva im Aufnahmestudio war, und wer sich vor Konzerten mit wem verkracht hat. So wird vor und hinter der Theke des "Metronoms" gerne gefachsimpelt.

Wie viele Platten er zu Hause stehen hat, weiß Mike nicht. "Man zählt seine Platten auch nicht", meint er, "man HAT sie einfach." Aber eine Zahl nennt er: Zwei. Genau zwei CDs sind in seinem Besitz. Es sind Geschenke, gut gemeinte Gaben von Menschen, die nicht wussten, dass Mike gar keinen CD-Player hat. "So was kommt mir nicht ins Haus", sagt er bestimmt. "Denn CDs haben keine Seele."