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USA und die Eurokrise

28. Oktober 2011

In der derzeitigen europäischen Schuldenkrise haben sich die USA und Europa gegenseitig den schwarzen Peter zugeschoben. Die Ergebnisse des Krisengipfels von Brüssel tragen in den USA zu etwas Entspannung bei.

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US-Präsident Barack Obama (Foto: dapd)
Angst vor der Krise aus Europa: ObamaBild: dapd
Barack Obama mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Petr Necas (Foto: dapd)
Necas zu Gast im Weißen Haus bei US-Präsident ObamaBild: dapd

Der Zufall wollte es, dass US-Präsident Barack Obama am Tag nach dem EU-Gipfel am Donnerstag (27.10.2011) einen Europäer im Weißen Haus zu Gast hatte: den tschechischen Ministerpräsidenten Petr Necas. Und so konnte der US-Präsident aus erster Hand erfahren, wie die Europäer planen, ihre gemeinsame Währung zu retten. Obama zeigte sich zufrieden: "Wir haben gesehen, dass sich die Länder der Euro-Zone und alle europäischen Länder dem Europäischen Projekt trotz aller Komplikationen verpflichtet fühlen und sicherstellen wollen, dass es fortgeführt wird."

Mahnende Wort hatte Obama Anfang Oktober an die Europäer gerichtet: Sie müssten schnell handeln, denn die Unsicherheit um Griechenlands Staatsfinanzen und die Schulden der anderen südeuropäischen Länder würde das weltweite Finanzsystem ernsthaft strapazieren. Und sich auch negativ auf die USA auswirken. Auch dieses Mal erklärte Obama, die Beschlüsse von Brüssel seien ein "wichtiger erster Schritt". Aber entscheidend sei jetzt, "dass sie vollständig und entschieden umgesetzt werden." Immerhin ergänzte er, habe er "großes Vertrauen in die europäische Führung, dass das geschehen wird."

Geht es Europa schlecht, leidet auch Amerika

Angela Merkel, Enda Kenny und David Cameron beim EU-Gipfle in Brüssel (Foto: dapd)
Einigung in Brüssel - positives Signal weltweitBild: dapd

Denn die Amerikaner blicken mit Sorgenfalten auf der Stirn nach Europa. "Wenn Europa schwach ist, wenn Europa, unser größter Handelspartner, nicht wächst", erklärte Obama, "dann hat das einen Einfluss auf unsere Firmen und die Fähigkeit, hier in den USA Arbeitsplätze zu schaffen." Letzteres ist in den USA das zentrale Thema angesichts einer Arbeitslosenquote von mehr als neun Prozent vor der anstehenden Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr.

Der Experte Jacob Kirkegaard des Washingtoner Peterson Instituts für Internationale Wirtschaftswissenschaften bewertet die Brüsseler Einigung positiv. Die Krise würde zwar nicht beendet, aber die schlimmsten Katastrophen würden verhindert werden, wie eine ungeordnete Staatspleite Griechenlands. Auch die Gefahr eines plötzlichen Zusammenbruchs einer der großen europäischen Banken sei kleiner: "Das bedeutet, dass das Risiko für die US-Wirtschaft erheblich reduziert wurde."

Euro-Krise hausgemacht?

Euro-Münze liegt auf Euro-Geldscheinen (Foto: pa/dpa)
Misstrauen in die europäische WährungBild: picture-alliance/dpa

Sebastian Mallaby, Wirtschaftsexperte des Council on Foreign Relations, ist skeptischer und verweist unter anderem darauf, dass der 50-prozentige Schuldenerlass durch die Banken für Griechenland bisher lediglich auf freiwilliger Basis festgelegt sei. Auch eine Staatsverschuldungsquote der angestrebten 120 Prozent bis 2020 sei immer noch sehr hoch. Die Auffassung, dass die europäische Schuldenkrise eine Folge der US-Finanzkrise sei, teilt er nicht.

In einer Telefonkonferenz mit Journalisten erklärte Mallaby: "Ich glaube, dass sich die staatliche Verschuldungsquote in Griechenland in eine unhaltbare Richtung entwickelt hat, unabhängig davon, was auf dem US-amerikanischen Häuserkreditmarkt passierte." Auch die Häuserblase in Spanien und Irland sei unabhängig von den USA. Das Problem sei vielmehr ein Designfehler des Euros: Die Währungspolitik habe nicht für alle Mitgliedstaaten gepasst. Sie sei für die schnell wachsenden, inflationsgefährdeten Länder zu locker gewesen.

USA als Vorbild?

Emily McArthur of Jamaica Plain, Mass., schreit in ein Megafon während einer Demonstration in Boston (Foto: dapd)
Viele Probleme in den USA - die Menschen wehren sichBild: dapd

Mallabys Kollege Benn Steil machte ein Zugeständnis: "Ich würde sagen, dass die Probleme im US-Häusermarkt ein entscheidender Auslöser für die derzeitige Krise in Europa waren." Die US-Immobilienkrise, so der Wirtschaftswissenschaftler, habe die signifikanten unterschwelligen Schwächen des europäischen Finanzmarktes, der sehr abhängig ist von Banken, enthüllt. Die europäischen Banken seien auch wesentlich abhängiger von der Finanzierung von unberechenbaren kurzfristigen Großhandelsmärkten als US-Banken, die sich eher auf staatlich versicherte Bankeinlagen stützen.

In einem Kommentar für die Financial Times schrieb Präsident Obama am Donnerstag, dass die USA als größte Wirtschaft der Welt weiterhin eine führende Rolle spielen wollten. Er gab sich selbstbewusst: "In den USA hatten wir 19 Monate lang ununterbrochenes Wachstum auf dem privaten Arbeitsmarkt und haben 2,5 Millionen Arbeitsplätze geschaffen." Schon in seiner Pressekonferenz Anfang Oktober hatte er die USA zum Vorbild erklärt. Die aggressiven Maßnahmen, die man dort gleich nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers eingeführt habe, "haben uns geholfen, den Finanz- und Bankensektor in einer Weise zu stärken, die die Europäer nicht nachvollzogen haben."

Amerikaner haben keine Autorität mehr

Jacob Funk Kirkegaard (Foto: PIIE)
Gutes Signal aus Brüssel, meint Jacob KirkegaardBild: PIIE

Die USA könnten schon ein bisschen mit dem Finger auf Europa zeigen, meint Jacob Kirkegaard, zum Beispiel was die Rekapitalisierung der Banken angeht. Die Eurozone sei aber organisatorisch wesentlich schlechter aufgestellt, denn sie habe kein gemeinsames Finanzministerium, wie die USA es habe. "Der Vergleich ist also nicht fair", sagt Kirkegaard.

Das Ansehen der USA sei international nicht besonders hoch und der Einfluss nicht mehr besonders groß, sagt Sebastian Mallaby, weil die Europäer den Amerikanern die Schuld für die Krise zuschieben.

Sebastian Mallaby, Director of the Maurice R. Greenberg Center for Geoeconomic Studies (Foto: CFR)
Die USA haben ebenso große Probleme wie Europa, meint MallabyBild: CFR

"Wir haben einfach nicht die moralische Autorität zu sagen, Leute hört zu, wir wissen, wie man Wirtschaftspolitik macht," sagt Mallaby, und nennt mehrere Gründe dafür: "Wir hatten die Finanzkrise, wir haben Schuldenkrisen und wir kriegen unsere Finanzpolitik nicht geregelt." In Washington herrsche Stillstand und der Präsident habe trotz der schwachen Konkurrenz einen harten Wahlkampf vor sich.

Die Europäer sind also auf sich allein gestellt und dürfen, anders als in der Vergangenheit, von den Amerikanern nicht allzu viel erwarten. Alle Experten sind sich aber darin einig, dass mit den Ergebnissen von Brüssel auf jeden Fall erst einmal der größte Druck von allen Beteiligten genommen ist - vor allem mit Blick auf den G-20 Gipfel in Cannes Anfang November. Und damit besteht derzeit kein Grund für gegenseitige Schuldzuweisungen.

Autor: Christina Bergmann, Washington
Redaktion: Nicole Scherschun