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Umbau der Allianz

Michael Knigge2. Mai 2012

Die klamme Haushaltslage ihrer Mitglieder zwingt die NATO-Staaten, effizienter zu werden und besser zu kooperieren. Doch die Umsetzung des sogenannten Smart-Defence-Konzepts im Bündnis hat gerade erst begonnen.

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Das NATO-Hauptquartier im belgischen Brüssel (Foto: Archiv)
Bild: picture-alliance/dpa

Man kann wirklich nicht behaupten, dass die NATO reform-resistent sei. Ganz im Gegenteil: Wie die National Defense University (NDU) in Washington in einem Sonderbericht bereits im Jahr 2010 darlegte, befindet sich das transatlantische Bündnis seit dem Ende des Kalten Krieges im Dauer-Reform-Modus. Seit 1999 hat die NATO ihr Konzept und ihre Mission durch mindestens sieben verschiedene Reformen mit Namen wie CDI, PCC oder NRF ständig angepasst.

Hinter all diesen Akronymen und der permanenten Transformation verbirgt sich der Wille, die gemeinsamen Kapazitäten zu verbessern und die Zielsetzung der NATO zu schärfen. Dies hat die Allianz nach Auffassung der Autoren der Studie auch geschafft - mit dem Ergebnis, dass "die NATO-Truppen in wichtigen Bereichen besser geworden sind".

Aber die Reformen der vergangenen zehn Jahre sind ein Spaziergang im Vergleich zu den Herausforderungen, die auf das Bündnis künftig zukommen werden.

Mehr Leistung fürs Geld

Denn, so die Schlussfolgerung der NDU-Studie, die NATO muss ihr Reformtempo sogar weiter erhöhen, damit die Verteidigungsausgaben der Mitgliedsländer noch effektiver eingesetzt werden - was für viele Staaten enorm wichtig ist.

Ein Bundeswehrsoldat im Afghanistan-Einsatz hält Ausschau (Foto: Sascha Schuermann/dapd)
Die Sparpolitik hat auch Folgen für den AfghanistaneinsatzBild: dapd

"Wie kann dies in Zeiten mit einem andauernd niedrigen Wachstum oder sogar mit einem Rückgang der Verteidigungsausgaben erreicht werden?", fragten die Wissenschaftler. Seit 2010 hat sich die Wirtschaftslage für die meisten NATO-Staaten nicht verbessert, für viele gar dramatisch verschlechtert.

Und genau hier soll das Smart-Defence-Konzept der NATO ansetzen. Ziel ist es, die Bündnispartner zu bewegen, ihre militärischen Kapazitäten zusammenzulegen und zu teilen, gemeinsame Prioritäten festzulegen und die Kooperation untereinander zu verbessern.

Eine andere NATO

Dies führe zu einem radikalen Wandel bei der Festlegung der Verteidigungshaushalte, der weit über die üblichen Sparmaßnahmen hinausgehe, erklärt Karl-Heinz Kamp, Forschungsdirektor des NATO Defense College in Rom. "Letzten Endes ist das nicht die Frage nach einigen Luftstreitkräften oder Flugzeugen hier oder ein paar Panzern da", sagt Kamp. "Die Frage ist vielmehr, wie kann das Militär sein Geschäftsmodel anders, aber effizient organisieren." Er glaube, dass noch nicht alle verstanden hätten, wie dramatisch die Lage eigentlich sei, fügt Kamp hinzu.

Bereits im vergangenen Jahr zeichnete der Chef des Pentagons, Robert Gates, kurz vor seinem Amtsende ein düsteres Bild der Allianz. Er betonte, dass die USA allein zwei Drittel der gesamten Verteidigungsausgaben der NATO bestritten. Und er ergänzte, dass von den 28 Mitgliedern des Bündnisses nur fünf - die USA, Großbritannien, Frankreich, Griechenland und Albanien - das von der NATO selbst gesteckte Ziel erreichten, nämlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben.

Blick ins Plenum beim NATO-Gipfel in Lissabon 2010 (Foto: AP/Daniel Ochoa de Olza)
Die Transformation wurde schon auf dem NATO-Gipfel in Lissabon 2010 diskutiertBild: AP

Angesichts der anhaltenden Schuldenkrise sind inzwischen auch diese fünf Staaten dazu nicht mehr in der Lage: Alle haben starke Kürzungen der Verteidigungsausgaben beschlossen. Noch weitergehende Maßnahmen sind wahrscheinlich.

Geringeres Engagement der USA

Unter den geplanten harten Einschnitten könnten die militärischen Fähigkeiten der NATO leiden. Bislang galt, dass die anderen NATO-Staaten sich notfalls auf die amerikanische Schlagkraft verlassen konnten. Das könnte sich ändern - und zwar nicht nur wegen der Kürzungen beim US-Militärhaushalt, betont Hans Pung, stellvertretender Vorsitzender der Denkfabrik Rand Europe im britischen Cambridge: "Ich glaube, der zweite Faktor, der nichts mit der Wirtschaftskrise zu tun hat, ist, dass die Vereinigten Staaten ihre Truppen eindeutig in Richtung Asien neu ausrichten. Und ich bin der Auffassung, dass dies wahrscheinlich bedeutet, dass die NATO weniger leicht auf amerikanische Geräte und Einsatzmöglichkeiten zurückgreifen kann als in der Vergangenheit."

Um unter diesen wirtschaftlichen und strategischen Bedingungen zu versuchen, den Status Quo zu erhalten oder ihre militärischen Fähigkeiten gar auszubauen, muss die NATO das Smart-Defence-Konzept vollständig umsetzen. Dies - kombiniert mit dem neuen strategischen Konzept - bedeute jedoch den totalen Umbau der Allianz, betont Karl-Heinz Kamp vom NATO Defense College. Dann ist auch kein Platz mehr für nationale heilige Kühe: Doppelt vorhandene Fähigkeiten müssen abgebaut und Nischenfähigkeiten aufgebaut werden; Ressourcen müssen zusammengeführt und Etatkürzungen gemeinsam beschlossen werden. Und all das muss nicht nur gemeinsam koordiniert, sondern auch dauerhaft stattfinden.

Die Flaggen von NATO und USA wehen im Wind (Foto:picture-alliance/Photoshot)
Nicht immer deckungsgleich: die NATO- und die amerikanischen InteressenBild: picture-alliance/Photoshot

Die Folge werde eine andere NATO sein, als wir sie heute kennen, sagt Kamp. "Wir werden viel weniger stehende Truppen haben. Wir werden viel mehr Truppen in Bereitschaft haben. Wir werden viel weniger physische Präsenz des Militärs in den Ländern haben." Damit Smart Defence gelingen kann, muss das aufhören, was die Experten als "Free-Rider-Mentalität" von einigen NATO-Staaten bezeichnen - also, dass manche Länder sich finanziell zurückhalten und sich auf die anderen Länder verlassen. Die zunehmenden externen Zwänge sollten jedem Mitglied klar machen, dass es seinen Anteil an der Zukunftsfähigkeit der NATO leisten muss. Für den sicherheitspolitischen Experten Pung geht das sogar alle Europäer an: "Das ist wichtig zu betonen, denn ich denke, dies gilt nicht nur im Zusammenhang der NATO, sondern auch im größeren europäischen Rahmen."