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Wie der Schulanfang in Deutschland gefeiert wird

Kate Müser15. August 2018

Manche Kinder freuen sich darauf, andere haben eher Scheu. Doch er kommt unvermeidlich: Der erste Schultag. Der Schulanfang in Deutschland wird mit vielen Ritualen gefeiert. Ganz wichtig dabei: die Schultüte.

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Eine bunte Schultüte (Foto: picture-alliance/dpa/A. Weigel)
Bild: picture-alliance/dpa/A. Weigel

Die Einschulung ist ein Wendepunkt im Leben eines Kindes und einer Familie - und er wird in Deutschland besonders ausgiebig gefeiert. Volkskunde-Expertin Christiane Cantauw erklärt im DW-Gespräch was in den verschiedenen Epochen in die Schultüte reinkam, wie viel Geld Eltern für den Spaß ausgeben, und wie der Brauch an ausländische Mitbürger weitergegeben wird.

DW: In Deutschland bekommt jedes Kind zur Einschulung eine Schultüte. Woher kommt dieser Brauch?

Cantauw: Es geht darum, dass man den Übergang von einem Status in einen anderen Status deutlich machen will. Dieser Übergang ist mit vielen Veränderungen für das Kind und für die Familie verbunden und das will man durch ein Ritual hervorheben.

Seit wann gibt es dieses Ritual?

Älteste Quellenbelege gibt es für das ausgehende 18. Jahrhundert. Damals können wir nicht von irgendwelchen vorgefertigten Schultüten sprechen, sondern das waren meistens Spitztüten wie sie im Handel auch verwendet wurden, um Süßwaren zu verpacken.

Christiane Cantauw (Foto: Christiane Cantauw)
Christiane CantauwBild: C. Cantauw

Erste Belege stammen aus Mitteldeutschland - Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, vielleicht noch Rheinland-Pfalz. Das sind die hauptsächlichen Verbreitungsgebiete - wie eine Bauchbinde quer durch Deutschland. Das sind auch genau die Gebiete, wo ein sehr ausgeprägtes Brauchtum um diese Schultüte herum entstanden ist.

Die Schultüte selber ist allerdings kein Brauch, sondern ein Brauchelement und auf der anderen Seite auch Verpackung. Sie wird manchmal auch Berufsschülern oder Fachschülern geschenkt. Daran sieht man, dass es ein Zeichen für ein Neubeginn ist.

Was befand sich in den Schultüten früher?

Darin befand sich eigentlich das, was heute zum Teil auch noch drin ist. Damals nannte man es "Zuckerzeug" - also Süßigkeiten. Heute hat man Süßigkeiten, etwas zum Spielen im weitesten Sinne und Schulsachen.

Wurde dieser Brauch in den letzten Jahrhunderten durchgehend umgesetzt - auch während der Weltkriege?

In diesem hauptsächlichen Verbreitungsgebiet hat man sich schon bemüht, das weiterhin zu machen, weil man dem auch sehr viel Bedeutung beimaß. Natürlich haben wir rund um die Weltkriege herum das Problem, dass überhaupt nicht genügend Dinge vorhanden waren, die man in die Tüten hätte reintun können - gerade bei der ärmeren Bevölkerung. Da half man sich dann anders: Die Schultüte ist ja eigentlich Verpackung. Das heißt, man kann gar nicht reingucken und sie wird auch erst zu Hause aufgemacht. Das heißt, wenn ich wirtschaftlich nicht in der Lage bin, die Schultüte voll zu machen, kann ich die auch einfach ausstopfen. Da wurden dann zum Beispiel Kartoffeln und Papier reingetan. Ich habe in einem Fall gelesen, dass ein Holzschuh unten reinkam. Daran sieht man, dass dieses Insigne des Schulanfängers so wichtig war, dass man nicht darauf verzichten wollte.

Deutschland geht es zurzeit relativ gut. Wie hat sich der Brauch in den letzten Jahren geändert?

Wie bei vielen Dingen hypertrophiert es. Es wird unglaublich viel Geld dafür ausgegeben. Für die Tüte selber werden 3 bis 40 Euro ausgegeben. Ich habe eine kleine nicht-repräsentative Umfrage in Münster gemacht, was nicht das Hauptverbreitungsgebiet ist. Dort war es so, dass Dreiviertel der Befragten angegeben haben, die Tüte selber gebastelt zu haben und ein Viertel kauften eine.

Dann kommt ja noch der Inhalt dazu. Da wurde angegeben, der Inhalt würde zwischen 5 - das war aber der Ausreißer - und 100 Euro kosten. Das ist eine ganze Menge, aber nur die Spitze des Eisbergs.

In dem hauptsächlichen Verbreitungsgebiet ist es so, dass zum ersten Schultag nicht nur eine Tüte verschenkt wird, sondern mehrere. Zweitens werden Kuchen mit dem Namen des Kindes vom Bäcker bestellt. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel ist das ganz üblich. Es wird - und wurde auch im 19. Jahrhundert schon - Tage vorher gebacken und gemacht und getan, um die Verwandten und Nachbarn zu verpflegen. Und es wurden auch für die Nachbarskinder kleine Geschenke verpackt.

Historisches Foto von einem Mädchen mit Schultüte (Foto: picture-alliance/akg-images)
Historische Postkarte aus dem Jahr 1925Bild: picture-alliance/akg-images

Es gibt zurzeit viele neue Flüchtlingskinder, die an deutsche Schulen kommen. Wenn die Eltern mit dem Brauch nicht vertraut sind, stechen die Kinder heraus. Wie wird damit umgegangen?

In Leipzig ist es mir begegnet, dass Geld gesammelt wurde, um allen Kindern eine Tüte zukommen lassen zu können. Da wird schon eine ganze Menge getan, damit alle Kinder eine Tüte auf dem Arm halten können. In Leipzig ist das die "Aktion Zuckertüte" von der Leipziger Kinderstiftung. Das ist für alle Bürger in Leipzig, nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für die, die es sich nicht leisten können.

Auf der anderen Seite ist es interessanterweise so, dass Menschen, die schon längere Zeit in Deutschland leben, das inzwischen kennengelernt haben. Auch Eltern, die selber keine Schultüte bekommen haben, schenken ihren Kindern eine.

Wenn Sie diese Woche eine Schultüte für Ihr eigenes Kind packen müssten, was würde reinkommen?

An Schulsachen, was zum Spielen und Süßigkeiten geht kein Weg vorbei. Ich würde darauf achten, nicht zu viel von allem reinzutun. Wichtig ist eher der Überraschungseffekt - und dass man so etwas einfach auch hat.

Christiane Cantauw ist Geschäftsführerin der Volkskundlichen Kommission in Münster. Das Interview führte Kate Müser 2016.

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