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"Die Situation wird eskalieren"

31. August 2018

Nach dem Abbruch der Gespräche zwischen DFB, DFL und den Fanszenen in Deutschland müssen sich Anhänger und Verbände auf eine ungemütliche Saison vorbereiten. Das Vertrauen ist zerstört, die Proteste könnten laut werden.

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Fußball DFB-Pokal 2018 Fans Proteste
Bild: Getty Images/AFP/D. Roland

Die Techniker hatten gerade begonnen, die Kameras im Innenraum des Borussia-Parks abzubauen, als die noch im Stadion verbliebenen Fans noch einmal tief Luft holten und "Scheiß DFB" anstimmten. Minutenlang hallte der Protestruf durch die Arena. Nicht nur in Mönchengladbach waren diese Rufe zu hören, in nahezu jedem Stadion wurde am 1. Spieltag der Saison verbal protestiert. "Ihr werdet auch in dieser Saison von uns hören", hatte der Zusammenschluss der Fanszenen in Deutschland in der vergangenen Woche in einem Statement angekündigt. Zuvor hatten die Fanvertreter die Gespräche mit der DFL und dem DFB nach einem knappen Jahr wieder abgebrochen.

"Es gab Hoffnung, dass doch wieder ein Dialog zwischen Fans, DFB und DFL zustande kommt, der auch zu Ergebnissen führt, die gesamte Szene beruhigt und uns nicht so trostlos dastehen lässt wie jetzt", kritisiert Sig Zelt, Sprecher der Organisation "ProFans" im DW-Interview den Abbruch und ergänzt: "Später verdichtete sich aber der Eindruck, dass die Verbände die Gespräche nur führen, um die Szene zu beruhigen, aber eben nicht mit dem festen Willen, zu guten Ergebnissen zu kommen."

Einführung der Montagsspiele in der 3. Liga

Ein Auslöser für die Beendigung der Gespräche war die Einführung der Montagsspiele in der 3. Liga, so Zelt. "In einem Treffen wenige Tage zuvor mit Fanszenenvertretern und den Spitzen der Verbände wurde dieses Thema überhaupt nicht benannt. Das wurde in der Fanszenen als großer Vertrauensbruch aufgefasst und als ein gehöriger Schritt rückwärts."

Deutschland DFL-Neujahrsempfang in Frankfurt | Christian Seifert
Nicht der beste Freund der Fans: DFL-Geschäftsführer SeifertBild: picture alliance/dpa/A. Dedert

DFL-Geschäftsführer Christian Seifert reagierte und verwies auf die Zustimmung der meisten Vereine der 3. Liga, was die Einführung der Montagsspiele angeht. "Es ist auch ein nicht ganz richtig verstandenes Dialogverständnis, wenn man den DFB dafür kritisiert, dass er Montagsspiele in der 3. Liga einführt, die von 19 der 20 Vereine ausdrücklich befürwortet werden", so Seifert.

Miteinander gesprochen wird nun nicht mehr. "Um die notwendige Gesprächskultur herzustellen, hätte man viel diplomatisches Geschick benötigt", meint Bernd Sautter, fankultureller Sprecher der Initiative "FC PlayFair", die sich für Faninteressen und gegen überzogene Kommerzialisierung einsetzt, im DW-Interview. "Natürlich ist der Gesprächsabbruch höchst bedauerlich. Dadurch verlieren beide Seiten. Das gegenseitige Vertrauen konnte nicht hergestellt werden. Das liegt unter anderem daran, dass die roten Linien zu schnell angegangen wurden, mit denen beide Seiten ins Gespräch gingen. Bei dem Thema Pyrotechnik zeigten sich die Verbände nicht gesprächsbereit, gleiches gilt auf der Gegenseite für das Thema Montagsspiele", sagt Sautter. "Der Abbruch des Dialoges setzt nun ein fatales Zeichen."

DFB scheitert in Russland

Es brodelt an der Basis, und das schon eine ganze Zeit. Bereits in der vergangenen Saison hatten Fans lautstark ihren Unmut über die Entwicklung und die zunehmende Kommerzialisierung im deutschen Fußball kundgetan. Leuchtreklame, Halbzeitshows, besondere Sponsoren für Ecken, Gelbe oder Rote Karten und Auswechslungen sind längst zur Normalität in deutschen Stadien geworden - und das schmeckt den meisten Anhängern gar nicht.

Dazu kommt das sportliche, aber auch marketingtechnische Desaster der deutschen Nationalmannschaft bei der WM in Russland in diesem Sommer. Besonders die Kampagne #ZSMMN und auch der Begriff "Die Mannschaft" standen und stehen im Zentrum der Kritik. "Ich habe den Vorschlag unseres Präsidenten (Reinhard Grindel, Anm. d. Redaktion) angenommen, den Begriff 'Die Mannschaft' zu analysieren und zu hinterfragen, nachdem ich mit verschiedenen Stakeholdern gesprochen habe", erklärte DFB-Manager Oliver Bierhoff in dieser Woche, wies die Kritik der Überkommerzialisierung der Nationalmannschaft aber zurück.

Sautter: "Jugendkultur trägt ein anarchisches Element in sich"

Auch diese Marketing-Aktionen dürften ein Grund für die zunehmende Entfremdung der DFB-Elf von den eigenen Fans sein. Nicht ausverkaufte Stadien bei Spielen des Ex-Weltmeisters waren bereits in den vergangenen Monaten keine Seltenheit. Ähnliches könnte nun auch die Bundesliga ereilen. So war das Düsseldorfer Stadion am ersten Spieltag nicht ganz voll, obwohl der Traditionsklub nach fünf Jahren wieder in die Bundesliga aufgestiegen war.

Fußball Bundesliga Hertha BSC vs Mainz 05 | Fans
Leere Plätze beim einem Bundesliga-Spiel - vielleicht werden wir uns daran gewöhnen müssenBild: Imago/M. Koch

Euphorie? Fehlanzeige! Noch mehr freie Plätze waren im Berliner Olympiastadion zum Saisonauftakt zu sehen. Hier verzeichneten die Statistiker lediglich eine Auslastung von 72 Prozent (Quelle: statista.com). Insgesamt kommen weniger Zuschauer in die Stadien. Nur ein Trend? Ein Vergleich zeigt, dass die Auslastung in den vergangenen fünf Jahren um knapp drei Prozent zurückgegangen ist.

"Fankultur und der damit verbundene Besuch im Stadion ist durch den ganzen Kommerz nicht mehr so attraktiv. Da sprechen wir besonders von der jungen Zielgruppe", sagt Sautter. "Fankultur, die zu großen Teilen eine Ultrakultur ist, ist eine Art Jugendkultur. Und jede Jugendkultur trägt ein anarchisches Element in sich. Sie erhebt sich mit einem bestimmten Habitus gegen das Establishment und das werden DFB und DFL nie wegkriegen, auch wenn sie es versuchen. Damit muss man sensibel umgehen. Es wirkt so, als hätten manche Verbandsvertreter das noch nicht verstanden“, so Sautter.

Kommen die Hooligans zurück?

Wie weit die kommerzielle Vermarktung des Fußballs gehen kann, zeigt aktuell die Primera Division in Spanien. In dieser Spielzeit wird das erste Mal ein reguläres Liga-Spiel auf US-amerikanischem oder kanadischem Boden stattfinden. Der Vertrag gilt für die kommenden 15 Jahre - eine Horror-Vorstellung der Fans wird Wirklichkeit. "Wenn wir ins Ausland gucken, ist es oft nicht besser, sondern noch schlechter als hier bei uns", sagt Zelt. Die Bundesliga habe nach wie vor ein großes Plus gegenüber manchen ausländischen Ligen. Noch sind die Stadien meist voll und zumindest bei den Top-Teams wie Bayern München, Borussia Dortmund oder Schalke 04 fast immer ausverkauft. Ein Pluspunkt, mit dem die DFL-Verantwortlichen im Ausland auf Werbetour gehen.

Fußball Bundesliga Relegation VfL Wolfsburg - Holstein Kiel
Wird es wieder mehr Pyrochtechnik in Stadien geben?Bild: picture-alliance/dpa

Der Abbruch der Gespräche könnte dieses Bild aber in Zukunft verändern. "Es ist möglich, dass sich die aktiven Fans weitestgehend zurückziehen und wir nur noch ein 'Mitklatsch-Publikum' im Stadion haben und dadurch eine ziemlich sterile Atmosphäre entsteht", skizziert Zelt. "Es ist aber auch möglich, dass die Geschichte in eine ganz andere Richtung kippt und dass die Hooligans wieder stärker werden. Das könnte passieren, wenn sich eben die Leute zurückziehen, die aktuell dafür sorgen, dass es nicht so ist."

Pyrotechnik und Stadionverbote

FC-PlayFair-Sprecher Sautter glaubt an eine unruhige Saison, die den Fans und den Verantwortlichen von DFB und DFL bevorsteht. "Ein Resultat des abgebrochenen Dialoges wird eine ungebremste Kommerzialisierung sein. Die Verbände werden noch weniger Rücksicht auf die engagierten Fans nehmen - und das kann nur schlecht sein", sagt der Fan des VfB Stuttgart. "Auf der anderen Seite wird es sicherlich organisierten Protest im Form von Bannern oder Plakaten geben. Aus dem organisierten Protest könnte aber auch ein wilder Protest werden und dann werden wir wieder Dinge sehen, die die Verbände und viele andere Zuschauer nicht sehen wollen: Es wird wieder vermehrt den Einsatz von Pyrotechnik geben. Auch Stadionverbote werden wieder ausgesprochen - die Situation wird wieder spürbar eskalieren."

Das Verhältnis ist so angespannt wie lange nicht. Weitere Gespräche zwischen DFL, DFB und den Fanszenenvertretern wird es laut ProFans-Sprecher Zelt in naher Zukunft nicht geben. "In vielen anderen Ländern würden sich die Verbände es sehr wünschen, mit den Fans, den Ultras, ins Gespräch zu kommen", erklärt Zelt. "Insofern ist es ganz besonders bedauerlich, dass unsere Verbände diesen Wert der Gesprächsbereitschaft nicht erkennen." Die kommenden Bundesligaspiele werden nun zeigen, in welcher Form die "Kurven" ihren Unmut äußern.