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Chinas neue Aids-Politik

Das Interview führte Sabine Peschel29. November 2006

Jing Jun ist Direktor des Forschungszentrum zur HIV/Aids-Politik und Professor für Soziologie an der renommierten Pekinger Tsinghua-Universität. DW-WORLD.DE sprach mit ihm über die offizielle Behandlung des Themas.

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Am Welt-Aids-Tag 2006 studiert ein Bauarbeiter in Henan eine Aufklärungsbroschüre
Welt-Aids-Tag 2006: Ein Bauarbeiter in Henan informiert sichBild: AP

DW-WORLD.DE: Die öffentliche Position der chinesischen Regierung zum Thema Aids hat sich vor drei Jahren, im November 2003, grundsätzlich geändert. Können Sie uns diese veränderte Haltung erklären?

Jing: Die chinesische Regierung hat früher nie geglaubt, dass es in China zu einer HIV/Aids-Epidemie kommen könnte. Man hielt Aids für eine ausländische, eine westliche Krankheit, nicht für eine chinesische. Und man glaubte, dass Aids in erster Linie durch Geschlechtsverkehr übertragen würde. Die Regierung ging davon aus, dass die Chinesen schon verhindern würden, dass Aids in China eine weit verbreitete Krankheit werden würde.

Nun, diese Hoffnung, besser gesagt, dieser Standpunkt hat sich drastisch verändert. Denn in den letzten drei Jahren sah sich die Regierung mit seriösen Daten konfrontiert, Statistiken, die die Tatsache belegen, dass es in China eine ernsthafte HIV/Aids-Epidemie gibt. Die Schätzungen, wie groß diese Epidemie ist, variieren. Die höchste Schätzung kommt von der WHO, die Chinas Aids-Bevölkerung bei einer Million ansetzt. Die chinesische Regierung kam im letzten Jahr mit einer Zahl heraus, die besagt, dass wir 350.000 Menschen haben, die mit HIV/Aids leben, wobei schon viele Menschen durch die Krankheit umgekommen sind.

Information oder Propaganda? Ein chinesischer Soldat geht an einem Aids-Aufklärungsposter in einer Pekinger U-Bahnstation vorbei
AIDS-Aufklärung für alle

Ich erinnere mich, dass vor fünf Jahren, als ich begann, mich intensiver mit der Forschung zu beschäftigen, noch viele Themen tabu waren: Themen wie Homosexualität, wie gewerblicher Sex, wie Drogenmissbrauch, oder die Ausgabe von Spritzen, um zu verhindern, dass sich immer mehr Menschen an unsauberen Nadeln infizieren - all das war unmöglich, auch die öffentliche Propagierung von Kondomen. Jetzt sind all diese Tabus zerschlagen, so dass es heutzutage über 50 Stellen gibt, an denen Drogensüchtige saubere Spritzen bekommen können. In einigen Provinzen finden sich in den Badezimmern der Hotels Kondome im Angebot, und in allen Apotheken kann man sie für wenig Geld erwerben. Und es werden Ausbildungsprogramme organisiert, um Sex-Arbeiter von ihrem Gewerbe abzubringen.

Ich finde, dass China auf dem Gebiet von Aids mittlerweile Großartiges leistet. Es wird mehr getan als beispielsweise in den Vereinigten Staaten, denn dort kann noch immer keine staatlich finanzierte Ausgabe von Spritzen geschehen, und es wäre nicht möglich, öffentliche Gelder einzusetzen, um das sexuelle Gewerbe einzudämmen. Im Vergleich steht China besser da. Letztlich hat das meiner Ansicht nach etwas damit zu tun, dass ein neuer Staats- und Parteivorsitzender und ein neuer Premierminister an die Macht gekommen sind, Hu Jintao und Wen Jiabao.

Jetzt ist Aids in China ein öffentliches Thema, und es wird - auch in Kooperation mit dem Ausland - viel getan, um die Aids-Ausbreitung zu verhindern und anzuerkennen, dass die Krankheit eine Bedrohung für die Gesellschaft ist. Aids stand jedoch auch vielfach im Zusammenhang mit Korruption. Wie kam das?

Zum Welt-Aids-Tag 2003 unterstützen Studentinnen der Pekinger Tsinghua-Universität die Aufklärungskampagne, indem sie ein Kondom untersuchen
Studentinnen der Tsinghua-Universität untersuchen ein KondomBild: AP

Ich denke, das hatte viel mit dem Markt für menschliches Blut, bzw. Plasma zu tun.

Existiert das Problem noch?

Nein, diesen Markt gab es in den frühen 1990er Jahren, für etwa fünf Jahre. China hatte bei Bioprodukte wie Blutplasma, die wir aus den USA importiert hatten, festgestellt, dass es Verunreinigungen mit dem HI-Virus gab. Also hörte man auf, Blutkonserven aus Übersee zu importieren und erlaubte einheimischen Unternehmen die Produktion. So kam es, dass diese einheimischen Unternehmen in den ärmsten Gegenden Blut sammelten, das für medizinische Zwecke aufbereitet wurde, etwa fünf Jahre lang. Dann erkannte die Zentralregierung, dass dieser Markt ein schwerwiegendes Problem von HIV-Infektionen unter den Blut-Verkäufern verursacht hatte. 1998 folgte die chinesische Regierung dann einem Aufruf der WHO, das System des verkauften, bzw. des bezahlten Blutes durch freiwillige und unentgeltliche Blutspenden abzulösen. Von einer neunzigprozentigen Abhängigkeit von bezahltem Blut ist China inzwischen nur noch zu zehn Prozent von käuflichem Blut abhängig. Dieses Problem existiert also nicht mehr.

In der Provinz Henan leben besonders viele HIV-Infizierte, Bauern in 38 Dörfern, die sich mit dem Virus ansteckten, als sie an dem kommerziellen Programm für Blutspenden und Bluttransfusionen teilnahmen. Was wird heutzutage getan, um den Opfern zu helfen?

Mehr als 25.000 Menschen in Henan haben sich beim Verkauf ihres Blutes infiziert
Mehr als 25.000 Menschen in Henan haben sich beim Verkauf ihres Blutes infiziertBild: AP

Im September 2003 gab der chinesische Gesundheitsminister bei einer HIV/Aids-Konferenz der Vereinten Nationen eine Verpflichtung ab: Er erklärte die Umsetzung einer Politik nach der Devise "Vierfach umsonst, einfache Fürsorge". Das erste Gratisangebot bezog sich auf kostenlose Behandlung, mit anderen Worten, die Infizierten können umsonst Medikamente bekommen, antiretrovirale Medikamente. Das zweite "Umsonst" bedeutet, dass Kinder von Aids-Patienten kein Schulgeld bezahlen müssen. Und das dritte Angebot bezieht sich auf freie Untersuchungen, kostenlose Tests. Die "einfache Fürsorge" betrifft die finanzielle Unterstützung von Not leidenden Familien. Dieses System "Vierfach umsonst, einfache Fürsorge" sollte sicherstellen, dass alle infizierten Blut-Verkäufer in Henan behandelt werden könnten. Ich halte das Problem in Henan für weitgehend gelöst.

Es gibt aber doch viele Berichte über Menschen, die aufgrund ihrer Aids-Erkrankung in großer Armut leben, und die sich keine Behandlung leisten können ...

Oh, auch in Henan leben noch immer viele von ihnen in Armut. Sie waren schon vorher arm, und die Krankheit hat das Ausmaß ihrer Armut noch verschlimmert. Ich will keinesfalls sagen, dass es ihnen besser oder gar gut geht, sie leben immer noch in großer Armut. Aber die Regierung leistet Unterstützung, und das ist ein sehr, sehr großer Unterschied zur früheren Regierung und Verwaltung.