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Politik

Die USA wollen im Ukraine-Russland-Konflikt vermitteln

4. Mai 2021

Deutschland und Frankreich waren jahrelang die Länder, die sich um eine Friedenslösung in dem Konflikt bemühten. Jetzt prescht US-Präsident Joe Biden vor.

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USA Russland Kombo Joe Biden und Putin
Bild: Eric Baradat/Pavel Golovkin/AFP

Es gibt neue Hoffnung im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine: Der russische Präsident Wladimir Putin ist einem Gipfeltreffen mit US-Präsident Joe Biden im Sommer nicht abgeneigt, das der neue Mann im Weißen Haus angeregt hat. Man habe Bidens Vorschlag "positiv aufgenommen", so Außenminister Sergej Lawrow im russischen Fernsehen. Als mögliche Gastgeber haben sich bereits die militärisch neutralen Länder Österreich und Finnland angeboten.

Schon Mitte dieser Woche reist US-Außenminister Antony Blinken in die Ukraine und will dem Land nach den Worten von Außenamtssprecher Ned Price die "standhafte Unterstützung der ukrainischen Souveränität und territorialen Integrität angesichts fortwährender russischer Aggression" zusichern.

Massiver russischer Truppenaufmarsch

Tatsächlich fühlt sich die Ukraine massiv bedroht: Moskau ist tagelang mit zehntausenden Soldaten an der ukrainischen Ostgrenze und auf der annektierten Krim aufmarschiert und macht Anstalten, das Asowsche Meer abzuriegeln, über das wichtige ukrainische Seehäfen wie Mariupol Zugang zum Schwarzen Meer haben. Im Osten des Landes kontrollieren außerdem seit Jahren russlandtreue Kämpfer zwei "Volksrepubliken", die von Russland unterstützt werden.

Infografik Russlands Armee an der Grenze zur Ukraine DE

Seit Jahren haben sich vor allem die Regierungen Deutschlands und Frankreichs um Vermittlung in dem Konflikt bemüht, das erste Mal 2014 kurz nach der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim. Im sogenannten Normandie-Format (nach einem ersten Treffen in Nordfrankreich) kamen mehrmals die Staats- und Regierungschefs Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs zusammen. Ein Jahr später wurde sogar ein Friedensplan vereinbart, der Konflikt schwelt aber weiter und bricht immer wieder in offene Gewalt aus.

"Vielleicht braucht Putin ein Gegenüber wie die USA"

Unter dem Eindruck akuter Bedrohung greift der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj jetzt nach jedem Strohhalm. Zwar hat er nach Gesprächen mit der Pariser und der Berliner Regierung einen weiteren Gipfel im Normandie-Format gefordert. In einem Interview mit der britischen "Financial Times" zeigte er sich aber auch offen für eine größere Rolle der USA.

Entgleitet hier Deutschland und Frankreich die diplomatische Initiative? Der CDU-Europaabgeordnete und Außenpolitiker Michael Gahler jedenfalls sieht hier "keinen Konflikt". Er sei "sehr einverstanden, wenn sich auch die Vereinigten Staaten engagieren", so Gahler gegenüber der Deutschen Welle. 

Deutschland und Frankreich hätten schon früher bei den Normandie-Verhandlungen "in enger Abstimmung mit den USA am selben Strang" gezogen. Aber er fügt einen möglichen psychologischen Aspekt hinzu: "Vielleicht braucht Putin in seinem Selbstverständnis ein Gegenüber wie die USA, um sich zu einer Lösung durchzuringen."

Paris Ukraine-Gipfel PK
"Normandie"-Format: Selenskyj, Merkel, Macron und Putin im Dezember 2019 in ParisBild: picture-alliance/AP Photo/C. Platiau

Fragen nach Deutschlands Neutralität

Eine entscheidenden Streitpunkt gibt es allerdings zwischen Berlin und Washington: Die Bundesregierung hält an der fast fertigen Ostsee-Gasleitung Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland fest. Verschiedene europäische Länder und ganz entschieden eben auch die USA sind gegen die Pipeline, weil sie dadurch eine zu starke Abhängigkeit Deutschlands von Russland befürchten.

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Die Erdgasleitung Nord Stream 2 auf dem Grund der Ostsee ist fast fertigBild: Bernd Wuestneck/dpa/picture alliance

Der Europapolitiker Michael Gahler hält zwar im Gegensatz zur offiziellen CDU-Parteilinie die politische Unterstützung Deutschlands für das Projekt "seit jeher für einen Fehler". Gleichwohl stehe die deutsche Position bei Nord Stream 2 "einer glaubwürdigen Vermittlung nicht entgegen, da alle Welt weiß, dass wir nicht äquidistant zwischen der Ukraine und Russland stehen". Das Völkerrecht habe allein Russland verletzt und stehe "mit Truppen und Söldnern auf dem Territorium des anderen". Deutschland benenne klar "Russland als Schuldigen".

Baerbock als neue Merkel?

Die treibende Kraft bei den Normandie-Vermittlungsversuchen war immer Angela Merkel. Doch da sie nach der nächsten Bundestagswahl im September abtreten will, gilt sie außenpolitisch als "lahme Ente". Aber auch andere wichtige Berliner Regierungsmitglieder halten sich in der Ukraine-Frage bedeckt. Außenminister Heiko Maas (SPD) will vor allem "eine militärische Eskalationsspirale" verhindern und spricht sich gegen neue Russland-Sanktionen aus.

Und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hält es vor allem für wichtig, "dass die Ukraine auch weiß, dass sie sich auf uns verlassen kann", wie sie bei einer Unterredung mit ihrer französischen Amtskollegin Florence Parly sagte. Worauf genau verlassen, das ließ sie offen.

Russland Ukraine | Das russische Militär führt auf der Krim massive Übungen durch
Russische Manöver Ende April auf der annektierten KrimBild: Russian Defense Ministry Press Service/AP/picture alliance

Bezeichnenderweise ist es in Deutschland vor allem die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die weitere Verhandlungen im Normandie-Format fordert. Baerbock hält gleichzeitig Nord Stream 2 für "geostrategisch falsch", wie sie im Februar der DW bei der Münchener Sicherheitskonferenz sagte, weil "diese Leitung massiv eingesetzt wurde auch mit Blick auf die Destabilisierung der Ukraine."

NATO-Mitglied Ukraine nicht in Sicht

Präsident Selenskyj denkt allerdings weiter als bis zu einer möglichen nächsten Vermittlungsrunde. Er sucht dauerhaften Schutz seines Landes in westlichen politischen Bündnissen und besonders in Sicherheitsstrukturen. Die Ukraine könne nicht "auf unbestimmte Zeit im Wartesaal der EU und der NATO bleiben", sagte Selenskyj Anfang April.

Aber solche zunehmend verweifelte Rufe verhallen in Brüssel - und auch in Berlin. Es gebe zwar eine "grundsätzliche EU-Beitrittsperspektive", so Gahler, aber "der Weg ist lang". Und was einen NATO-Beitritt betrifft, so steckt Gahler zufolge der Westen in einem Dilemma. Denn es könne einen NATO-Beitritt nur geben, "wenn es ein Gewinn für die Sicherheit der bisherigen NATO-Mitgliedstaaten ist. Genau das verhindert Putin durch die Fortsetzung der Konflikte. In gewisser Weise machen wir uns zu seinem Gefangenen."

Ukraine Kiew 2008 | Besuch George W. Bush, US-Präsident | mit Wiktor Juschtschenko
2008 warb US-Präsident Bush (l. mit dem ukrainischen Präsidenten Juschtschenko) für einen NATO-Beitritt der UkraineBild: Jim Watson/AFP/Getty Images

2008 hatte ein NATO-Gipfel den Beitrittsantrag der Ukraine abgelehnt, obwohl die USA unter Präsident George W. Bush ihn unterstützten. Die Politikerin, die sich damals vor allem querstellte, hieß übrigens Angela Merkel.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik